Über die Biografie des Schweizer Bankiers François Genoud

Vom Dritten Reich zur Dritten Welt

Er arbeitete für die Nationalsozialisten, finanzierte den palästinensischen Terror und war zeitlebens ein glühender Antisemit: Die Biographie des Schweizer Bankiers François Genoud muss man gelesen haben.
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Welche Geschichte klingt unglaubwürdiger? Dass ein ehemaliger SS-Untersturmführer als Agent der CIA das Bundeskriminalamt aufbaut, dessen Präsident und schließlich dank alter NS-Kontakte auch Präsident von Interpol wird, oder dass ein anderer alter Nazi, der Geld mit dem Nachlass von Joseph Goebbels verdient, unter den Augen diverser Geheimdienste die marxistisch orientierte Palästinensische Befreiungsfront PFLP bei Flugzeugentführungen unterstützt? Oder wie wär’s damit: dass einer, der als 17jähriger Adolf Hitler die Hand schüttelt und ihn fortan zeitlebens als seinen »Chef« bezeichnet, sowohl enger Vertrauter des Muftis von Jerusalem als auch des Terroristen Iljitsch Ramírez Sánchez, genannt Carlos, wird? Oder: dass ein Schweizer Bürger sich am algerischen Unabhängigkeitskampf beteiligt, eine arabische Bank gründet und die NS-Verbrecher Adolf Eichmann und Klaus Barbie bei ihren Prozessen unterstützt? Und wie unglaubwürdig klänge es erst, wenn jemand behauptete, all dies habe – mehr oder weniger direkt – mit einem einzigen Mann zu tun?
Es klingt nach einer wirren verschwörungstheoretischen Räuberpistole, und in der Tat ist die Biographie des François Genoud, um den all diese Geschichten kreisen, immer wieder Gegenstand diverser Verschwörungstheorien – sogar mit dem 11. September 2001 soll der bereits 1996 durch Suizid verstorbene Genoud zu tun gehabt haben, wurde geraunt. Das ist Quatsch, aber all die anderen Geschichten sind mehr oder weniger gut dokumentiert und nun von Willi Winkler in einem Buch zusammengetragen worden: »Der Schattenmann – Von Goebbels zu Carlos: Das mysteriöse Leben des François Genoud«.
Es geht dabei nicht um eine Verschwörung, sondern um einen Menschen, der durch seinen Lebenslauf, seine vielfältigen Kontakte und seine Überzeugung Bindeglied war zwischen Nationalsozialismus, arabischem Nationalismus und Linksterrorismus und den deshalb verschiedene Geheimdienste beobachteten. Wer der Meinung ist, dass die Weltbilder linker Antiimperialisten, faschistischer Nationalisten und arabischer Antizionisten auf drei völlig verschiedenen Planeten angesiedelt seien und, wenn überhaupt, dann ausschließlich antagonistisch miteinander in Kontakt geraten könnten, der sollte unbedingt dieses Buch lesen.
Als Jugendlicher wird der Schweizer François Genoud nach Deutschland in ein Internat geschickt und sitzt dort einmal mit Adolf Hitler zusammen am Esstisch. Seitdem ist der junge Mann restlos begeistert vom »Führer«. Er reist 1936 in den Mittleren Osten und gerät in Bagdad zufällig in den arabischen Aufstand. Er ist fasziniert. Für Genoud ist dies derselbe Kampf, wie ihn seine deutschen NS-Idole führen: der Kampf gegen das »internationale Judentum« im Rahmen einer antikolonialen Freiheitsbewegung. Vermutlich hat er diesen Zusammenhang erst richtig erfasst, als er auf derselben Reise in Palästina den Mufti von Jerusalem, Amin al-Husseini, trifft. Al-Husseini, der diese Ideologie offensiv vertritt und der eng mit den deutschen Nationalsozialisten zusammenarbeitet, wird zu Genouds Idol – und später auch Partner.
Die antikoloniale Bewegung und insbesondere der arabische Nationalismus haben es Genoud angetan. Nach dem Kriegsende entdeckt er den algerischen Befreiungskampf für sich. In Ägypten wimmelt es damals von alten Nazis, die aus Deutschland geflohen sind, und der arabische Nationalist Gamal Abdel Nasser, der mit Nazi-Deutschland sympathisiert und zusammengearbeitet hat, regiert das Land. Als sich in Kairo die algerische Befreiungsfront FLN gründet, zeigen einige Nazis mehr als bloß Interesse.
Genoud beteiligt sich an der Bewegung in Al­gerien und gründet schließlich eine Bank in der Schweiz, auf der er Gelder der FLN verwaltet. Der überzeugte Nazi freundet sich mit dem ebenfalls in Algerien engagierten »linken« oder eher: stalinistischen Anwalt Jaques Vergès an. Der Pol-Pot-Freund verteidigt zunächst die FLN-Kämpferin Djamila Bouhired und palästinensische Terroristen, später wird er bekannt als Anwalt übler Despoten und Massenmörder, auch Slobodan Milosevic und – auf Vermittlung Genouds – der NS-Kriegsverbrecher Klaus Barbie sowie der Söldner-Terrorist Carlos gehören zu seinen Kunden. Genoud bleibt bis zu seinem Tod intimer Vertrauter des in Paris inhaftierten Carlos. Bereits in den siebziger Jahren unterstützt er finanziell Wadi Haddad und George Habash von der PFLP, die Teil der PLO war, die wiederum sowohl mit der deutschen RAF als auch mit deutschen Neonazis zusammenarbeitete. 1972 ist Genoud sogar an der Entführung der Lufthansa-Maschine »Baden-Württemberg« beteiligt, indem er die Lösegeldforderung der Palästinenser überbringt.
Doch Genoud ist nicht etwa nach der Niederlage des Nationalsozialismus zum Linken mutiert, er hat nicht die Seiten gewechselt. Die Unterstützung des antiimperialistischen, vor allem des antiisraelischen Kampfes ist für ihn vielmehr wesensgleich mit der NS-Ideologie. Er bleibt ein überzeugter Nazi alten Schlages. Er streitet um die Urheberrechte an Schriften von NS-Größen wie Hitler, Martin Bormann, Joseph Goebbels. Die Familie Goebbels erteilt ihm eine Handlungsvollmacht und er sichert sich so die Rechte am »literarischen Nachlass«, also auch den Tagebüchern, des ehemaligen Propagandaministers. Doch Genoud bereichert sich nicht persönlich. Er lebt bescheiden und setzt sein Geld für »die Sache« ein: Er hilft alten Kameraden, finanziert die Verteidigung Adolf Eichmanns und Klaus Barbies.
Die Geschichte Genouds, wie sie Willi Winkler erzählt, ist nicht nur die Geschichte von politischen Querfronten, sondern auch die Geschichte nationalsozialistischer Kontinuitäten im Nachkriegsdeutschland. Und die Darsteller im großen Querfronttheater sind beileibe nicht nur Ex­tremisten der einen oder anderen Seite. Vielmehr tauchen auch Personen aus der Mitte der Gesellschaft auf: etwa Stern-Herausgeber Henry Nannen, der die Eichmann-Entführung nach Israel kritisierte und später die Manuskripte von Eichmanns Memoiren aufkaufte. Oder Goebbels’ ehemaliger Staatsekretär Werner Naumann, der die systematische Unterwanderung der FDP und ihre Umwandlung in eine NS-Kampftruppe geplant hatte. Und nicht zuletzt Paul Dickopf. Der SS-Untersturmführer beim ­Sicherheitsdienst und gute Freund Genouds war 1943 angeblich vor den Nazis in die Schweiz geflohen. Genoud, der damals mit Kenntnis des Schweizer Geheimdienstes in der Schweiz für die Deutschen als Agent arbeitete, verschaffte ihm die passende Legende. Tatsächlich aber war Dickopf dort wohl als deutscher Agent für die Devisenbeschaffung tätig. Zum Kriegsende wurde er von der CIA angeworben, in der Bundesrepublik war er dann am Aufbau des Bundeskriminalamts beteiligt und wurde 1965 sogar dessen Präsident. 1968 wählte man Dickopf zum Präsidenten der internationalen Polizeibehörde Interpol, und dies verdankte er wiederum seinem alten Freund Genoud, der ihm die noch fehlende letzte Wahlstimme des algerischen Polizeichefs verschaffte. Übrigens sind heute noch Straßen nach Dickopf benannt.
Wurde bisher die Verbindung zwischen dem antisemitischen Vernichtungsprogramm der Nazis und dem antizionistischen Kampf gegen Is­rael, den palästinensische Terroristen bis heute führen, an der Figur des Muftis von Jerusalem nachgezeichnet, so bietet sich an, auch auf der Grundlage des nach und nach klarer werdenden Bildes der Rolle François Genouds, ­einerseits die tatsächlichen personellen Kontakte und Verbindungen zwischen rechtem, linkem und bürgerlich-liberalem sowie arabischem und islamistischem Antisemitismus zu untersuchen, andererseits die ideologischen Schnittmengen.
Es kann dabei nicht um eine pauschale Denunziation des Antikolonialismus als Vorläufer des heutigen Antiimperialismus gehen, aber doch darum, die Vorstellung, der antikoloniale Befreiungskampf sei per se, also aus sich selbst heraus emanzipatorisch gewesen, in Frage zu stellen. Es geht darum, die Frage zu beantworten, weshalb dieser Durch-und-durch-Nazi Genoud Sätze wie diese folgenden, von Winkler zitierten, sagen konnte: »Der Kampf für Algerien, der die Krönung der Dekolonialisierung darstellt, wurde weltweit enthusiastisch begrüßt. Die meisten Kämpfer kamen von weit links, wo man an die großen Prinzipien glaubt. Ich kam aus einer anderen Ecke, vom arabischen Nationalismus, von Gamal Abdel Nasser und vom Kampf für das Palästina Hadj Amin al-Husseinis. Ich war glücklich, Männer und Frauen zu begegnen, die einen anderen Hintergrund hatten, einer anderen Generation angehörten, mit denen ich aber das eine gemeinsam hatte: das Engagement für die Entkolonialisierung der ›Dritten Welt‹.« Jedenfalls kann die Antwort nicht einfach lauten, der Mann sei eben verrückt gewesen.
Doch wie die Geschichte Genouds zeigt, gibt es keinen Grund für die vermeintliche Mitte der deutschen Gesellschaft, schadenfroh auf die vermeintlichen »Ränder« links und rechts zu zeigen. Denn die Mitte der Gesellschaft selbst wurde in Deutschland in großen Teilen aus der alten NS-Gesellschaft geboren, und der antisemitische Israel-Hass eines Jürgen Möllemann kann nur richtig eingeordnet werden, wenn man weiß, wie dominant der Einfluss alter Nazi-Seilschaften gerade auch in der FDP Anfang der fünfziger Jahre gewesen ist.
Obwohl die Geschichte Genouds eine internationale ist und ihr Zentrum in der Schweiz liegt, ist sie auch ein Stück deutsche Nachkriegsgeschichte, eine, die davon erzählt, welche Rolle Antisemitismus und Antizionismus in ihrer Kontinuität für alle politischen und gesellschaftlichen Bereiche auch als verbindendes und damit gesellschaftsprägendes Element gespielt haben und teilweise bis heute spielen. Die handwerklichen und auch analytischen Schwächen des Buches sollen daher an dieser Stelle vernachlässigt werden. Die Geschichte des Schweizer Bankiers und seiner vielen Freunde muss man gelesen haben.

Willi Winkler: Der Schattenmann. Von Goebbels zu Carlos: Das mysteriöse Leben des François Genoud. Rowohlt, Reinbek 2011, 352 Seiten, 19,95 Euro