Über das Buch »Politik des Hungers« von Walden Bello 

Bauer sucht Land

In seinem Buch »Politik des Hungers« beschreibt Walden Bello die barbarischen Auswirkungen der globalen kapitalistischen Umwandlungsprozesse in der Landwirtschaft.

Die Vollendung des Durchsetzungsprozesses der kapitalistischen Produktionsweise bestand für Karl Marx darin, dass auch der Agrarbereich vollständig in die industrielle Produktion und die globale Arbeitsteilung eingeordnet sein würde. Im »Kapital« formulierte er dies folgendermaßen: »In der Sphäre der Agrikultur wirkt die große Industrie insofern am revolutionärsten, als sie das Bollwerk der alten Gesellschaft vernichtet, den Bauern, und ihm den Lohnarbeiter unterschiebt.« Über die barbarische Seite dieses Prozesses machte er sich dabei allerdings keine Illusionen, konnte er am englischen Beispiel doch bereits dessen Auswirkungen studieren. Die Enteignungen durch Grundherren hatten hunderttausende ehemaliger Bauern ins Elend getrieben. »Wie in der städtischen Industrie«, so Marx weiter, würde »in der modernen Agrikultur die gesteigerte Produktivkraft und größre Flüssigmachung der Arbeit erkauft durch Verwüstung und Versiechung der Arbeitskraft selbst«. Im Gegensatz zu seinen Erwartungen ließ die »Lösung der Agrarfrage« allerdings erheblich auf sich warten, und so blieben Analysen dieses Umwandlungsprozesses seitens der po­litischen Linken eine Seltenheit, was sich zusätzlich noch dadurch verschärfte, dass der Marxismus des 20. Jahrhunderts spätestens seit der chinesischen Revolution zunehmend zur Ideologie der Bauernrevolutionen wurde.
Die globale Nahrungsmittelkrise von 2007 und die daraufhin einsetzenden Hungerrevolten haben die Organisationsprinzipien der globalen Landwirtschaft wieder in die öffentliche und auch linke Diskussion zurückgebracht. Einig waren sich die meisten Analysten darin, dass nicht etwa Missernten für die sich teilweise verdreifachenden Nahrungsmittelpreise verantwortlich waren, die dafür gesorgt haben, dass zu den hunderten Millionen unterernährten Menschen nach Schätzungen der UN-Welternährungsorganisation weitere 75 Millionen Hungernde hinzukamen. Sowohl die Uno als auch die meisten Nichtregierungsorganisationen, wie etwa die deutsche Weed, kamen damals zu dem Ergebnis, dass die Preissteigerungen eine Folge der verstärkten Spekulation auf dem Welt­agrarmarkt gewesens seien.
Dass diese angesichts der Finanzkrise sehr modische Einschätzung viel zu kurz greift, darauf weist Walden Bello, philippinischer globalisierungskritische Soziologe und Träger des Alternativen Nobelpreises, in seiner bemerkenswerten Studie über die »Politik des Hungers« hin, die nun auch in deutscher Übersetzung vorliegt. Für Bello stellen die Spekulationen lediglich die Oberfläche von »Nahrungsmittelkriegen« – »The Food Wars« lautet der englische Originaltitel – dar, in deren Folge sich die Ernährungssituation für Milliarden von Menschen permanent verschärfe. Als zentrale Ursache identifiziert Bello die »als Strukturanpassung bekannte massive Neuausrichtung der Agrarpolitik«, wie sie von Weltbank und Internationalem Währungsfonds mehr als 90 Entwicklungs- und Schwellenländern vor allem seit den beginnenden achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts aufgenötigt worden sei. An vier regionalen Beispielen – Mexiko, den Philippinen, dem subsaharischen Afrika und China – untersucht Bello die Grundlagen und Folgen dieser Strukturanpassungsprogramme.
Als allen Strukturanpassungen gemeinsame Ziele offenbaren sich hier die Zurückdrängung des bäuerlichen Betriebs gegenüber der »Ausweitung und Hegemonie industrieller Landwirtschaft«, der Abbau von Schutzzöllen und die Revision der Landreformen, die in verschiedenen Ländern stattgefunden haben, um den »Ausbau global integrierter Produktionsketten« zu begünstigen. Die Folgen sind verheerend. Die Zerstörung der regionalen Subsistenzwirtschaften, die Umstellung auf bewässerungsintensive und letztlich die Böden auslaugende Monokulturen und die Nutzung von Getreide als Futtermittel für die Fleischproduktion haben die Ernährungssicherheit in immer weiteren Teilen der Welt in Frage gestellt. Hinzu kommen noch die von der Welthungerhilfe auf über 215 Milliarden US-Dollar jährlich geschätzten Subventionierungen der US-amerikanischen und europäischen Landwirtschaft, deren so gepäppelten und hochproduktiven Anbietern die kleinbäuerlichen Betriebe in den Entwicklungsländern nichts entgegenzusetzen haben.
Ein eigenes Kapitel widmet Bello der Expansion der Agrotreibstoffproduktion seit der Jahrtausendwende. Nicht nur dass, wie der Autor feststellt, ein ökologischer Nutzen »nicht nachweisbar« sei, sondern vor allem, dass im Zuge dieser Umstellung erstmalig seit Jahrzehnten die Lebensmittelproduktion pro Kopf der Weltbevölkerung gesunken sei, mache die in den Indus­trieländern als Alternative zum Erdöl gefeierte Umstellung auf Agrotreibstoffe zur Katastrophe für die globale Ernährungssicherheit. Eines sei dabei sicher, so Bello, das »Heer der Hungernden und Landlosen wird wachsen, und auch die Umweltbelastungen werden zunehmen«.
Fast anderthalb Jahrhunderte nach Marx’ Überlegungen zur »Lösung der Agrarfrage« sieht Walden Bello nun in den aktuellen Prozessen die »letzte Etappe« der Verdrängung der bäuerlichen durch die kapitalistische Landwirtschaft mit den diversen destruktiven Folgen. In explizitem Gegensatz zu Marx, der diesen Prozess für unaufhaltsam hielt und auf eine Revolution der zu Lohnarbeitern gewordenen ehemaligen Bauern hoffte, schlägt Bello allerdings als Ausweg aus diesem deprimierenden Bild der globalen Agrarindustrialisierung eine Rückbesinnung auf eine regional die Ernährungssicherheit gewährleistende Landwirtschaft von Kleinbauern und regional verankerten Farmern vor, wie sie etwa von dem internationalen Bauernnetzwerk La Via Campesina gefordert wird.
Ob dies angesichts der in den letzten Jahren in den Entwicklungsländern in großem Umfang erfolgten Landkäufe durch multinationale Konzerne und Staatsfonds realistisch ist, darf aber bezweifelt werden. Denn die Aktionen von globalisierungskritischen Gruppen wie La Via Campesina können nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Bauernrevolten, die in den antikolonialen Bewegungen nach dem Zweiten Weltkrieg einen gewichtigen Faktor darstellten, kaum noch über Dynamik verfügen und zudem aufgrund der von Bello selbst geschilderten Umwandlungsprozesse zunehmend ihrer sozioökonomischen Basis beraubt werden. Das Verdienst Bellos bleibt dennoch, die Barbarei der »Lösung der Agrarfrage«, die Marx lediglich antizipiert hatte, konkret analysiert zu haben. Immerhin hier dürften sich beide einig sein. Denn das folgende Zitat von Marx könnte auch der »Politik des Hungers« entnommen sein: »Die kapitalistische Produktion entwickelt daher nur die Technik und Kombination des gesellschaftlichen Produktionsprozesses, indem sie zugleich die Springquellen alles Reichtums untergräbt: die Erde und den Arbeiter.«

Walden Bello: Politik des Hungers. Assoziation A, Berlin/Hamburg 2010. 199 S., 16 Euro