Sayed Yaqub Ibrahimi, afghanischer Journalist im Gespräch über den deutschen Einsatz in Afghanistan

»Die Deutschen sind Teil des Krieges«

Der 30jährige Reporter Sayed Yaqub Ibrahimi arbeitet für das britische »Institute for War and Peace Reporting« (IWPR) und für mehrere Tageszeitungen und Internetmedien in Afghanistan. Seine Berichterstattung über Menschenrechtsverbrechen von Warlords, über Korruption und organisierte Kriminalität haben ihn international bekannt gemacht – und zu einem Verfolgten. Seit vier Monaten lebt er nach zahlreichen Morddrohungen wieder im Ausland.

Ende vergangener Woche wurde im deutschen Bundestag ein neues Mandat für den Bundeswehreinsatz in Afghanistan beschlossen. Was halten Sie vom Einsatz deutscher Truppen in Afghanistan?
Die deutsche Regierung unterstützt genauso wie andere Nato-Staaten eine korrupte Regierung. Im Norden Afghanistans kooperieren die deutschen Soldaten direkt mit den Warlords. Das mögen Zugeständnisse sein, um die eigenen Soldaten zu schützen, aber für die Bevölkerung ist das ein verheerendes Signal, denn de facto werden Netzwerke von Kriegsverbrechern unterstützt, obwohl man eigentlich für den Wiederaufbau und neue demokratische Strukturen eintritt. Sind die Deutschen nun Teil der Warlord-Struktur in Afghanistan? Schließlich geben sie den Warlords zumindest teilweise auch Geld – das sind in den Augen der Bevölkerung sehr widersprüchliche ­Signale.
Aber wäre ein sofortiger Abzug denn die bessere Entscheidung gewesen?
Es herrscht Krieg und die Deutschen sind Teil des Krieges. Wenn sie abziehen würden, wäre die direkte Folge, dass der Krieg an Intensität verlieren würde – er würde kleiner werden. Das wäre aus meiner Sicht durchaus positiv.
Allerdings nehmen die deutschen Soldaten genauso wie die anderen Nato-Truppen für sich in Anspruch, sich um den Wiederaufbau ziviler Strukturen zu kümmern. Gibt es denn eine afghanische Zivilgesellschaft?
Es gibt einige Nichtregierungsorganisationen, die versuchen, zivilgesellschaftliche Strukturen aufzubauen, aber das steht alles am Anfang und ist teilweise auch von außen finanziert und nicht immer glaubwürdig. Einige dieser Organisationen würden sicherlich ohne das Geld von der Nato und anderen Organisationen nicht existieren. Wir stehen ganz am Anfang beim Aufbau zivilgesellschaftlicher Strukturen und ich bin der Meinung, dass wir eine afghanische Zivilgesellschaft ganz ohne Hilfe von außen aufbauen müssen – zumindest wenn wir eine authentische Zivilgesellschaft wollen.
Ist das denn realistisch?
Vor einigen Monaten habe ich einen alten Mann in der Provinz Helmand nach den Perspektiven für Demokratie und Zivilgesellschaft befragt. Er antwortete mir folgendes: »Unter den Sowjets trugen wir einen Maulkorb. Heute gibt man uns ein Megaphon, damit wir Krach schlagen. Aber wenn wir Krach schlagen, hört uns trotzdem niemand zu.« Das ist nur ein Beispiel für den Vertrauensverlust, den ich überall in Afghanistan registriere. Die Bevölkerung glaubt nicht mehr an die Versprechen der internationalen Truppen. Ein Beleg dafür ist die Wahlbeteiligung von gerade mal 40 Prozent bei den letzten Wahlen.
Wie ist es denn um die Pressefreiheit bestellt?
Die Situation für Journalisten ist ausgesprochen schwierig, denn aus meiner Erfahrung kontrollieren drei Gruppen den Informationsfluss: Warlords, die für zahlreiche Kriegsverbrechen verantwortlich sind; die im Westen ausgebildeten korrupten Technokraten; und die dritte Gruppe sind die fundamentalistischen Islamisten. Die erste Gruppe, die Warlords, unterdrückt die freie Meinungsäußerung und die journalistische Recherche. Die Warlords wissen genau, dass dadurch ihre Kriegsverbrechen zu Tage gefördert werden und das Risiko steigt, dass sie vor internationalen Gerichten zur Rechenschaft gezogen werden. Die im Westen ausgebildeten Technokraten fürchten hingegen, dass die Medien aufdecken könnten, dass sie hemmungslos korrupt sind. Und das Problem mit der dritten Gruppe, den Fundamentalisten, ist, dass sie ideologische Probleme mit der freien Meinungsäußerung haben. Aus deren Sicht wäre die freie Meinungsäußerung ein Einfallstor für die Säkularisierung der afghanischen Gesellschaft.
Wie läuft die Kontrolle der Medien durch diese drei Gruppen ab?
Diese drei Gruppen haben eine rote Linie gezogen. Wenn man Informationen publik macht, die die Pfründe dieser drei Gruppen in Frage stellen, dann sieht man sich schnell einer Fülle von Problemen gegenüber – Drohungen, Gefängnis, Anschläge.
Sie haben offenbar diese rote Linie verletzt – wodurch?
Ich habe zu Menschenrechtsverletzungen in Afghanistan gearbeitet, zu Korruption und Drogenhandel, aber auch im Bereich von Kriegsverbrechen und der Verletzung von Frauenrechten habe ich recherchiert und publiziert.
Was waren die Folgen?
Ich habe Morddrohungen erhalten, aber auch zahlreiche Anrufe mit Bestechungsangeboten. Die habe ich allerdings ausgeschlagen. Dann ist mein Bruder Parvez K. Ibrahimi in den Fokus meiner Gegner geraten. Er wurde verhaftet, inhaftiert und gefoltert. Ein islamisches Gericht hat ihn zum Tode verurteilt, weil er einen Text aus dem Internet heruntergeladen hat, der die Frauenrechte im Islam kritisch behandelt. Doch ich glaube, dass dies nur ein Vorwand war, um mich zu treffen.
Wie geht es Ihrem Bruder heute?
Es geht ihm besser und er ist in Sicherheit. Er lebt außerhalb Afghanistans und macht gesundheitliche Fortschritte – er erholt sich von der Folter im Gefängnis.
Wird über derartige Fälle denn in den afghanischen Medien berichtet?
In Afghanistan gibt es eine Menge Selbstzensur in den Medien. Man weiß genau, was passiert, wenn man diesen oder jenen Artikel über diesen oder jenen Kriegsverbrecher veröffentlicht. Daher wird sehr genau abgewogen, die Redaktionen sind übervorsichtig und reißen sich nicht gerade darum, derartige Themen aufzugreifen. Aber es gibt auch Journalisten wie mich, die mit interna­tionalen Medien zusammenarbeiten, und auch in Afghanistan gibt es ein paar Journalisten, die regelmäßig über solche Fälle berichten.
Haben die Warlords oder die Regierung direkten Einfluss in den Redaktionen?
Die drei besagten Gruppen sind in allen Bereichen des Staates präsent: in der Regierung, im Parlament und im Justizsystem. Sie sind Teil des Staates. Viele Warlords haben zudem ihre eigenen Medien – Zeitungen, Radiostationen, Fernsehsender –, auch wenn wir durchaus unabhängige Medien in Afghanistan haben. Aber innerhalb der letzten zwölf Monate ist mir nicht ein einziger Bericht über Kriegsverbrechen in Afghanistan in die Hände gefallen.
Welche Bedeutung hat die Nato in diesem Kontext? Sie soll doch, so wird immer wieder betont, für mehr Sicherheit für die Zivilgesellschaft und damit auch für die Sicherheit der Medien sorgen, oder?
Die Nato-Truppen fördern die Medien mit Geld und sichern ihnen zu, ihre Arbeit zu unterstützen, aber indirekt zeigen sie ihnen durchaus Grenzen auf. Auch sie haben ihre roten Linien, und wenn ein Sender sie übertritt, dann wird ihm die Unterstützung entzogen. Das widerspricht dem Credo der freien Meinungsäußerung. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass die Nato eine Menge Workshops für Journalisten anbietet.
Was bräuchte es denn für den Aufbau eines unabhängigen Mediensystems?
Wir haben unabhängige Journalisten in Afghanistan, wir haben unabhängige Medien, was wir brauchen, ist ein politisches Umfeld, das den Journalisten die Arbeit ermöglicht. Wir müssen die Tabus auflösen, die Kriegsverbrechen aufklären, die Verantwortlichen zur Rechenschaft ziehen – das sind zentrale Herausforderungen. Derzeit kümmern sich die Journalisten meines Landes um die alltägliche Berichterstattung, aber eben nicht um die wirklich brenzligen Hintergründe. Es fehlt an investigativ arbeitenden Medien oder Redaktionen.
Das klingt, als ob die Journalisten bereitstünden und auf ein Signal warten würden – ist das so?
Nein, es gibt zwar investigativ arbeitende Journalisten, aber sie sind sicher nicht in der Mehrheit. In den letzten neun Jahren starben 23 Journalisten in Afghanistan, viele leben wie ich im Ausland und setzen dort ihre Arbeit fort, so gut es geht. Für sie ist die Arbeit in Afghanistan zu risikoreich, weil sie die rote Linie mehrfach überschritten haben. Viele haben diese Risiken akzeptiert.
Viele aber sicherlich auch die roten Linien, oder?
Oh ja, und sie sind in der Mehrheit.
Wie arbeiten Sie derzeit?
Ich arbeite für Zeitungen innerhalb und außerhalb Afghanistans, aber auch für Blätter in den Nachbarländern. Zudem schreibe ich für zwei Websites in Afghanistan und beziehe mich dabei auf meine Quellen in Afghanistan und auf Kollegen – ich telefoniere viel. Generell ist der beste Platz für meine Arbeit Afghanistan, und ich möchte natürlich zurück – ich bin alles andere als zufrieden im Exil und werde versuchen zurückzugehen.
Woher nehmen Sie die Energie für Ihre Arbeit?
Ich habe vor zehn Jahren begonnen, journalistisch zu arbeiten. Damals gab es einen Umbruch, die Herrschaft der Taliban war gefallen, es roch nach einem Neuanfang und es gab viele Möglichkeiten zu arbeiten und viele Workshops und Seminare, bei denen man etwas lernen konnte. Damals habe ich die Idee wieder aufgenommen, über Kriegsverbrechen zu schreiben, denn ich bin schon als Kind Zeuge zahlreicher Kriegsverbrechen geworden.
Wo war das?
Ich bin in Kabul aufgewachsen, aber auch in Masar-i-Sharif und ich habe begonnen, mich mit den Kriegsverbrechen zu beschäftigen. Und die Medien hatten Interesse, das auch zu drucken. Das hat mich motiviert. Ohne Gerechtigkeit wird es keine stabile Gesellschaft in Afghanistan geben.