In Tansania will die Regierung eine Autobahn durch die Serengeti bauen

Die Gnus brauchen Vorfahrt

Die Serengeti ist eine einzigartige Savannenlandschaft, in der sich jährlich die weltweit größte Wanderung von Landsäugetieren beobachten lässt. Nun möchte die ­Regierung Tansanias eine Autobahn durch den Nationalpark bauen.

»Ihr werdet alle sterben«, hat der Künstler Albert Oehlen 1997 auf eines seiner Plakatbilder geschrieben. Dabei stellen die Herde Zebras, die im Hintergrund seines Bildes trabt, und der davor sitzende Löwe den Bezug zur Serengeti und Bernhard Grzimeks berühmtem Film »Serengeti darf nicht sterben« her. Was bei Oehlen aber ein am Punk geschulter Witz gegen den hohen Klageton der Naturschützer war, könnte demnächst auf eine Weise Wirklichkeit werden, die Oehlen bestimmt nicht gemeint hat. Die Serengeti ist wieder einmal in Gefahr. Diesmal könnte sie aber endgültig in der Form zerstört werden, in der sie ihren ­Namen einzig verdient, nämlich als jene Landschaft, die das letzte Refugium der größten Säugetiermigration der Erde ist. Die tansanische Regierung plant den Bau einer großen Auto­trasse direkt durch den Nationalpark. Dies würde das Ende der Tierwanderungen bedeuten.

Um die Folgen des Einschnittes deutlich zu machen, den der Autobahnbau für das Ökosystem bedeuten würde, muss man etwas weiter ausholen: Von Juli bis September wandern Herden von Gnus, Zebras, Antilopen und Büffeln aus der südlichen Serengeti in Tansania in das kenianische Reservat Masai Mara. Mehr als zwei Millionen Tiere bewegen sich dann durch die Serengeti, um der Dürre im Süden zu entkommen. Die größte Gruppe in dieser Massenwanderung bilden etwa 1,3 Millionen Gnus, große Kuhantilopen, die in riesigen Herden leben.
In der nördlichen Serengeti regnet es etwa dreimal so viel wie in der südlichen, das liefert den Tieren nicht nur das nötige Wasser, sondern auch Gras in mehr als ausreichender Menge. Hinzu kommt, dass der Fluss Mara im Norden das ganze Jahr über Wasser führt. Er ist bisher selbst in den größten Dürrezeiten nie ausgetrocknet und bildet die Lebensgrundlage der ganzen Region. Der sich im weiten Bogen durch den Norden der Serengeti ziehende Fluss ist aber mit seinem Wasser nicht nur ein Segen, er kann auch zur tödlichen Barriere werden. Über weite Strecken hat sich der Strom tief in den Boden gefressen, so dass die Steilwände am Ufer bis zu 15 Meter hoch sind. Zudem lauern im Mara Krokodile, die wie aus dem Nichts fast zwei Meter aus dem Wasser schnellen können und so versuchen, Gnus zu erbeuten. Bilder von einem solchen Vorgang fehlen in keiner längeren Dokumentation über die Serengeti, die Dramatik beschränkt sich aber auf die Wanderungszeiten der Gnus.
Die Beschreibung der Wanderungen gehört vor allem in der öffentlichen Wahrnehmung zur Geschichte der Serengeti. Nachdem 1951 der Serengeti-Nationalpark gegründet worden war, kam es zu Konflikten mit den ursprünglich dort ansässigen Masai. Der Park sollte ein Refugium ausschließlich für wilde Tiere werden, Menschen und Vieh sollten draußen bleiben. Da die Masai sich aber teilweise heftig und berechtigt zur Wehr setzten, um entweder ihre alten Weidegründe zu behalten oder neue zu bekommen, mußte der Park neu vermessen werden. Man wusste bis dahin zwar, dass die Gnu-Herden zwischen dem Kraterhochland im Süden und den Buschsteppen im Nordwesten hin- und herwanderten, es war aber wenig über die Gründe und Ausmaße der Wanderungen bekannt. Da diese der Anlass für die Parkgründung waren, mussten die Wege der Gnus erst einmal erforscht werden.

Dieser Aufgabe nahmen sich der Frankfurter Zoologe Bernhard Grzimek und sein Sohn Michael an. Die beiden hatten die geniale, damals neue Idee, die Gnus aus dem Flugzeug zu beobachten, zu zählen und dabei ihre Wanderrouten zu erforschen. Die heutige Grenzziehung, die die südliche tansanische Savanne vom kenianischen Masai-Mara-Reservat trennt, ist das Ergebnis der Forschungen der Grzimeks. Auf der Grundlage ihrer Beobachtungen konnte die Serengeti in einer bestimmten räumlichen Ausdehnung als Nationalpark ausgewiesen werden. So wurde es möglich, die größte Migrationsbewegung größerer Landsäugetiere auf der Erde unverändert zu erhalten.
Nun plant die tansanische Regierung eine Autobahn von Ost nach West zu bauen, die direkt durch die Wanderroute der Gnus führen würde. Die Straße soll Musama, das wirtschaftliche Zentrum am Victoriasee, mit Arusha östlich des Nationalparks am Kilimandscharo verbinden und damit die Region an das bis zum Indischen Ozean reichende Verkehrsnetz anschließen. Dabei steht die wirtschaftliche Notwendigkeit der Autobahn außer Frage. Tansania erlebt wie Uganda und Ruanda einen für afrikanische Verhältnisse gewaltigen wirtschaftlichen Aufschwung. Es wird vor allem um die Streckenführung gestritten. Es gibt Entwürfe für eine Route, die den Park südlich umgehen und somit weder die Gnus noch das sonstige Leben im Nationalpark beeinträchtigen würde.
Zu den engagiertesten Befürwortern dieser südlichen Streckenführung gehört dabei die Frankfurter Zoologische Gesellschaft (ZGF). Sie ist eine international arbeitende Naturschutzorganisation mit Sitz in Frankfurt am Main. Der Schwerpunkt ihrer Bemühungen liegt in Ostafrika, was wiederum auf das Engagement Grzimeks für die Serengeti zurückgeht. An die Seite der ZGF ist in jüngster Zeit eine zunehmende Zahl von Wissenschaftlern getreten. So hat kürzlich eine Gruppe von 27 Tierschutzexperten um Andrew Dobson von der Princeton University im Wissenschaftsmagazin Nature dargelegt, dass eine Straße quer durch die Serengeti das Ende des Nationalparks bedeuten dürfte. »Keine Wildbrücke über die Trasse könnte doch breit genug oder lang genug für die Wanderung von 1,5 Millionen Gnus und Zebras sein«, zitiert die Süddeutsche Zeitung die Wissenschaftler.
Nach Simulationen könnte die Population der Gnus auf 300 000 Tiere fallen. Das würde eine Vielzahl verheerender Folgen nach sich ziehen. Im gesamten Gebiet würde das Gras nicht mehr im heutigen Ausmaß durch die weidenden Gnus kurz gehalten werden. Die Pflanzen könnten hoch wachsen, in der Trockenzeit verdorren und regelmäßig flächendeckende Buschfeuer verursachen. Die Zirkulation der Pflanzennährstoffe ginge drastisch zurück, wenn eine Million weniger Gnus fressen, verdauen und ausscheiden würden. Abgesehen davon fänden auch Geparden, Löwen und Wildhunde weniger Beute, ihr Bestand sänke ebenfalls. Mit den Löwen und Geparden verschwänden die neben den Elefanten, Büffeln und Gnus bei Touristen beliebtesten Tiere. Es ist also absehbar, dass in der Folge eines Autobahnbaus die Serengeti versteppen und die Region den wirtschaftlichen Vorteil durch die Straße gleich wieder einbüßen würde, weil das Tourismusgeschäft in Tansania und der Serengeti ­vorüber wäre.

Es geht bei dem Streit um die Autobahnlinie also nicht nur um eine tier- und landschaftsschützerische Herzensangelegenheit, sondern um das ökologische und ökonomische Wohl einer ganzen Region. Hinzu kommt, dass das ökologische Szenario einer rapide abnehmenden Zahl von Gnus bereits bekannt ist. Die Bestände waren Anfang der fünfziger, Ende der sechziger Jahre bereits einmal auf weniger als 200 000 Tiere geschrumpft. Die Ursache war damals eine Rinderpest-Epidemie, die Krankheit sprang von den Rindern der Masai auf die Gnus über. Die Folge war, dass die Savannen vertrockneten, dafür aber die Zahl der Tsetsefliegen zunahm und mit ihnen auch die Häufigkeit der von ihnen übertragenen Krankheiten. 1963 wurde die Rinderpest endlich durch Impfungen besiegt. Seitdem vermehrten sich die Gnus von 200 000 auf die knapp eineinhalb Millionen Tiere, die es derzeit gibt.
Da das Vorhaben, die Autobahn zu bauen, noch nicht über das Planungsstadium hinausgelangt ist, stehen die Chancen nicht so schlecht, die Serengeti noch einmal zu retten. Und es könnte auch in diesem Fall ein Film sein, der den Blick auf die einzigartigen Savannen der Serengeti lenkt, nur heißt er diesmal nicht »Serengeti darf nicht sterben«, sondern einfach nur »Serengeti«. Der deutsche Tierfilmer Reinhard Radke hat die Dokumentation gedreht, die diese Woche in die Kinos kommt. Radke, 1948 geboren, ist studierter Biologe und gilt als ausgesprochener Kenner der Tierwelt Ostafrikas. Und obwohl sein Film keinen agitatorischen Anspruch hat, sondern sich als Hymne an die Schönheiten der Serengeti versteht, wird klar, was verloren gehen würde, sollte die Straße tatsächlich die Grassteppen zerschneiden.