Über den Film »To Die like a Man

Silikon und Tränen

In seinem beeindruckenden dritten Kinofilm schildert João Pedro Rodrigues das Altern eines Travestiestars im Lissaboner Nachtleben.

Wie gerne würde ich in der Mehrzahl leben, ich möchte viele sein«, heißt es in dem von Tonia gesungenen Fado-Lied. Die Melodie bringt auf gänzlich unwehleidige Art eine Sehnsucht zum Ausdruck, die sich im Leben der alternden Drag-Queen nicht erfüllen lässt. Ihr junger Liebhaber Rósario, mit dem sie in ein kompliziertes Abhängigkeitsverhältnis verstrickt ist, das in seiner schmerzhaft sezierenden Darstellung an die Filme von Fassbinder erinnert, möchte, dass aus ihr endlich eine »richtige Frau« wird. Doch Tonia (Fernando Santos), die früher Antonio hieß und sich über die Jahre mit Hilfe von Hormonen und plastischer Chirurgie fast vollständig in ihre Bühnenfigur verwandelt hat, kann sich zu diesem allerletzten Schritt nicht durchringen. Während ihr Arzt über die Geschlechtsumwandlung spricht, als handele es sich dabei bloß um »das Filetieren eines Steaks«, fürchtet Tonia, damit ein Verbrechen gegen Gott zu begehen. Sie ist in einem einsamen, mitunter quälenden Zwischenzustand gefangen, den sie erst am Ende des Films – der Titel deutet es an – aufzugeben bereit ist.
Der portugiesische Regisseur João Pedro Rodri­gues erzählt in seinem dritten Spielfilm – nach »O Fantasma« (2000) und »Two Drifters« (2005) – die Geschichte eines langsamen Abschieds. Es ist, als würde sich die schillernde Figur Tonia allmählich, aber unaufhaltsam auflösen. Denn Tonia ist krank, und ihr Körper verbraucht seine gesamte Energie, um sich gegen das Silikon der Implantate zu wehren, die sich buchstäblich ihren Weg nach draußen bahnen. Ihre Karriere als Travestiestar des Lissaboner Nachtlebens geht einem baldigen Ende entgegen. Jenny, eine imposante Konkurrentin, versucht ihr die Position als einzige Blondine des Clubs streitig zu machen, und nach und nach verliert Tonia ihre Anhängerschaft. Zé Maria, ihr verlorener Sohn aus einer heterosexuellen Beziehung, taucht überraschend wieder auf, aber nur um ihr seine Ablehnung umso heftiger entgegenzuschleudern. Mit einer Freundin zerstreitet Tonia sich wegen einer Lappalie. Ihr treuester Gefährte ist Agustina, ihr kleiner, wuscheliger Hund.
Anfangs verläuft die Erzählung, die Rodrigues in meist gedehnten Einstellungen filmt, in wiederkehrenden Bewegungen, tritt sogar absichtsvoll etwas auf der Stelle. Als sich der Junkie Rósario mit dem Fernseher und anderen Habseligkeiten seiner Geliebten plötzlich davonmacht, geschieht dies offensichtlich nicht zum ersten Mal. Das anschließende Szenario – Tonia sucht mitten in der Nacht die Stadt nach ihm ab, findet ihn zitternd und ohne Schuhe auf der Straße und richtet ihn wieder auf – wirkt in seiner verzweifelten Dramatik dennoch eine Spur zu müde und routiniert. »Nichts ändert sich jemals, es wird immer so weiter gehen« – aus dieser Erkenntnis der Hauptfigur spricht eine tiefe Resignation. Sie bringt ihrem Freund eine Form von Zuwendung entgegen, in der nicht zuletzt mütterliche Gefühle eine Rolle spielen.
Doch dann weicht die Geschichte auf märchen­hafte Weise von ihrem vorgezeichneten Weg ab. Auf einem Ausflug verlaufen sich Tonia und Rósario und kommen zu einem Haus mitten im Wald, das von zwei Transvestiten bewohnt wird. Abgeschieden von der Außenwelt inszeniert dort der glamouröse Transvestit Maria Bakker (Gonçalo Ferreira De Almeida) ein geradezu bühnenreifes Leben der großen Gesten und flamboyanten Auftritte, angefangen von abendlichem Gesang über elegantes Rauchen bis hin zu aufgebauschten Ansagen (»Eine Frau ist nicht komplett ohne schmerzhafte Füße«) und dem expressiven Rezitieren von Gedichten Paul Celans. Zu später Stunde nimmt Maria Bakker ihre Gäste mit auf eine Schnepfenjagd bei Vollmond. Pilze werden gesammelt, Glühwürmchen eingefangen, und irgendwann formiert sich die Nachtwanderungsgesellschaft zum Tableau Vivant. Während sich das Bild rot färbt und ein leicht wehmütiger Song erklingt, verharren die Figuren andächtig auf ihren Positionen – um der Musik zu lauschen, vielleicht auch nur, um ein bisschen Luft zu holen für das sich ankündigende Ende. Es ist eine wunderbar surreale Szene in einem Leben, in dem sich die Realität mitunter sehr ungnädig zeigt. Doch von konventionellen Wirklichkeitsvorstellungen ist »To Die Like a Man« ohnehin weit entfernt. Die Figuren agieren in einem stilisierten, räumlich begrenzten Setting, das von der Außenwelt regelrecht abgeschnitten wirkt und dem Geschehen etwas Kammerspielartiges und Intimes verleiht. Rodrigues zeigt den Club immer aus der Backstage-Perspektive und verzichtet konsequenterweise darauf, die Bühnenauftritte zu filmen. Auch Tonia wirkt ungeschützt, fast etwas nackt, wenn sie sich außerhalb des Rollenrepertoires der Drag-Performance bewegt. Die Zuschauer sind zwar von der Garderobe aus zu hören, doch die Verbindung zum Publikum scheint gekappt worden zu sein. Die Bilder des hässlichen Interieurs werden kontrastiert durch die Aufnahmen des nächtlichen Waldes. Die Ruhe, das monoton-meditative Grillengezirpe und die nur spärlich ausgeleuchteten Figuren im unübersichtlichen Schwarz geben dem Film eine Großzügigkeit und Weite, die erholsam ist. An dieser Stelle gerät »To Die Like a Man« zweifellos ein bisschen religiös. Denn die Schwierigkeiten einer zwischen zwei Körpern gefangenen Identität lösen sich für diesen Moment sowohl in der Gemeinschaft als auch in der sie umgebenden Natur auf.
»In fertigen Schablonen kann ich mich nicht formen … und ich weiß nicht, ob ich mich selber formen möchte«, singt Tonia einmal selbstversunken auf einem Friedhof. Immer wieder wird die Erzählung durch Musik unterbrochen, es gibt abrupte Brüche in Form überraschender Szenenwechsel oder angedeutete Enden, die sich dann doch als kurzes Innehalten herausstellen. Anfangs fällt es nicht immer leicht, den dramaturgischen Bewegungen, Verfremdungen und Irritationen zu folgen, doch wenn man sich der eher ungerichtet flanierenden als fortschreitenden Erzählung einmal anvertraut hat, wird man in ihren lyrischen Rhythmus hineingezogen. Oft entfalten sich die Bezüge zwischen Szenen und Motiven erst im Nachhinein. Wenn anfangs der Soldat Zé Maria vor einer Manöverübung einem anderen Soldaten das Gesicht mit Camouflagefarbe bemalt und anschließend das Ergebnis anerkennend kommentiert – nämlich als ästhetisch gelungen –, ist das im Grunde gar nicht so weit entfernt von den Verwandlungen der Drag Queens in der Garderobe des Clubs, umso mehr, als es später zwischen den beiden Soldaten zu einer sexuellen Begegnung im Wald kommt.
»To Die Like a Man« verbindet auf einzigartige Weise Realismus und Märchen, Melodram und Tragödie, emotionale Intensität und distanzierte Betrachtung, Silikon und Tränen. Tonia weiß um ihre hoffnungslose Abhängigkeit von individuellen und gesellschaftlichen Zwängen und um ihre Machtlosigkeit gegenüber den Rebellionen des Körpers. Sie leidet darunter und begegnet ihnen dennoch mit einer stoischen Tapferkeit, die im abschließenden Gesang des Fado zu einer entrückt-divenhaften Größe anwächst.

»To Die Like a Man« (Frankreich/Portugal 2009). ­
Regie: João Pedro Rodrigues. Darsteller: Fernando Santos, Alexander David, Chandra Malatitch. Start: 3. Februar