Die Auflösung des MAD

Geheimdienst an der Waffe

Als bekannt wurde, dass bei der Bundeswehr heimlich Feldpost geöffnet worden ist, wurde auch der MAD verdächtigt, dahinter zu stecken. Unabhängig von dieser bislang ungeklärten Affäre könnte der »Verfassungsschutz der Bundeswehr« gerade seine letzten Tage erleben.

»Der Militärische Abschirmdienst ist ›Rund um die Uhr‹ unter dem Telefonanschluss ›MAD – der bessere Weg‹ zum Ortstarif zu erreichen«, teilt der Nachrichtendienst auf seiner Homepage mit. Geht es nach Finanzpolitikern im Bundestag, könnte unter der dort angegebenen Nummer in naher Zukunft nicht mehr der MAD, sondern der Bundesnachrichtendienst (BND) oder das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) erreichbar sein. Union und FDP forderten Ende Oktober im geheim tagenden Vertrauensgremium des Haushaltsausschusses die Bundesregierung auf, »die Möglichkeiten und Wege für eine Überführung der Aufgaben des MAD in die Aufgabenbereiche des BND sowie des BfV zum Zwecke einer größtmöglichen Effizienzsteigerung und Entlastung des Bundeshaushaltes zu prüfen und gegebenenfalls ein entsprechendes Konzept vorzulegen«. Am 1. April soll das Bundesverteidigungsministerium den Prüfbericht vorlegen. SPD, Grüne und Linke ent­hielten sich.
»Angesichts der zugespitzten Sicherheitslage müssen wir uns auf die zentralen Herausforderungen konzentrieren, anstatt ineffektive Dreifach-Strukturen zu unterhalten«, begründete FDP-Fraktionsgeschäftsführer Christian Ahrendt in der Neuen Osnabrücker Zeitung den Vorstoß zur Umstrukturierung der Nachrichtendienste. Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg äußerte sich dagegen zurückhaltend. Man müsse ein Gesamtkonzept für eine Reform der Dienste erarbeiten und zusehen, dass ein »kluges Kons­trukt« dabei herauskomme, das aber könne er »bisher nicht feststellen«. Der verteidigungspolitische Sprecher der Union, Ernst-Reinhard Beck, verteidigte den Geheimdienst sogar: »Den MAD aufzulösen, halte ich für indiskutabel.«

Mit etwa 1 300 Mitarbeitern und einem Budget von 65 Millionen Euro ist der MAD der kleine Unbekannte unter den drei offiziellen bundesdeutschen Nachrichtendiensten. Als Nachrichtendienst des Bundesministeriums für Verteidigung ist er für den Schutz der Bundeswehr zuständig, hat aber nicht den Rang eines umfassenden militärischen Aufklärungsdienstes. Seit 2004 ist der MAD offiziell auch im Bereich »Besondere Auslandverwendungen« außerhalb Deutschlands aktiv, Vertreter des MAD sind in den Vernetzungsstrukturen der Sicherheitsorgane wie dem Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ), dem Gemeinsamen Analyse- und Strategiezentrum illegale Migration (Gasim) und im Gemeinsamen Internet­zentrum der Sicherheitsbehörden vertreten.
Mit anderen nachrichtendienstlichen Einheiten der Bundeswehr war der MAD 2007 an der Überwachung der Proteste gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm beteiligt. Die Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Grünen dazu liest sich wie eine Auflistung militärischer Nachrichtendienststrukturen: »Für die Erstellung der militärischen Sicherheitslage anlässlich des G8-Gipfels wurden durch das Zentrum für Nachrichtenwesen der Bundeswehr die Meldungen aus dem Bereich Bundeswehr zur regionalen Sicherheitslage Bundeswehr, die Meldungen vom Wehrbereichskommando I ›Küste‹ zur militärischen Sicherheitslage im Wehrbereich I, die Meldungen und Lagefortschreibung des Militärischen Abschirmdienstes zum G8-Gipfel sowie Informationen aus Internet- und Medienrecherchen des Streitkräfteunterstützungskommandos erfasst und ausgewertet.«
Hintergrund der Auseinandersetzungen um die Zukunft des MAD sind die schon lange bestehenden Konflikte zwischen den Bundesministerien um die Kompetenzen und Finanzen der ihnen unterstellten Nachrichtendienste. Vor der Bundestagswahl 2009 sickerten Informationen über einen sogenannten Wunschzettel aus dem damals von Wolfgang Schäuble geleiteten Innenministerium an die Süddeutsche Zeitung durch, wonach darin die Ausweitung der Kompetenzen des VS auf Polizeiniveau gefordert wurde. Im dem Bundeskanzleramt unterstehenden Auslandsnachrichtendienst BND rumorte es bereits 2008. In einem von Focus publizierten Text klagten Mitarbeiter des BND anonym über ein »Stimmungstief« in großen Teilen des »Apparats«: »Abteilungen und Referate bekriegen sich in quälenden Grabenkämpfen. Für verdeckte Operationen, also Einsätze unter einer Tarnidentität, fehlt unseren Chefs der Schneid. Sie haben Angst, irgendetwas falsch zu machen und dafür öffentlich verprügelt zu werden. Überall nur Zögerer und Zauderer. Und am schlimmsten: Unsere Führung hat keine Strategie gegen die grassierende Lethargie.«

Auch seitens der Bundeswehrführung wird die Kritik an den nachrichtendienstlichen Strukturen immer lauter. Es sei »die Realität der Einsätze, die uns schonungslos Grenzen und Defizite des Systems Bundeswehr erkennen ließ«, sagte der Generalinspekteur der Bundeswehr Volker Wieker am 23. November 2010 bei der Bundeswehrtagung in Dresden. Die Bundeswehr habe »unzweifelhaft strukturelle Defizite im Bereich des Militärischen Nachrichtenwesens«. Es mangele an einer Fusion aller verfügbaren Quellen, es fehlten ein umfassendes Lagebild und zeitgerecht verfügbares aktionsrelevantes Wissen. »Dem werden wir durch den Umbau des Kommandos Strategische Aufklärung in ein Kommando Militärisches Nachrichtenwesen begegnen. Dies wird u. a. umfassend zuständig sein für die Weiterentwicklung des Militärischen Nachrichtenwesens, die Ausbildung des Fachpersonals, die Gestellung von Kräften für den Einsatz sowie den Zugriff auf ›Reachback Expertise‹.«
Bei der von Wieker angekündigten Reform zeigt sich die gewachsene Bedeutung der Bundeswehr. Sie soll ihre eigenen Spionagestrukturen perfektionieren. Das Kommando Strategische Aufklärung (KSA) ist mit etwa 5 500 Soldaten und 500 Zivilmitarbeitern derzeit der größte Verband der Bundeswehr. In einem sieben Etagen tiefen Bunker in Gelsdorf bei Bonn ist ihre Zentrale stationiert. Während des Georgien-Kriegs 2008 wurde dort der Funkverkehr der russischen Luftwaffe abgehört und ausgewertet. Hacker des KSA trainieren für den Cyberkrieg, der Geheimdienst lauscht in der weltweiten Telekommunikation mit und seit 2008 verfügt die Bundeswehr über ein eigenes, mit Hilfe Russlands ins All gebrachtes weltweites Satellitenüberwachungssystem namens SAR-Lupe (Jungle World 4/2011).

Die Bundeswehr stellt ihre Fähigkeiten recht öffentlichkeitswirksam zur Schau, sie demonstriert die Rückkehr zur deutschen Traditionslinie eines direkt im Militär integrierten Aufklärungsdienstes. Dem MAD hingegen haftete aus Sicht der Konservativen stets der Makel an, eben keine militärische Aufklärung zu leisten. Der Ausdruck »Abschirmdienst« sei gewählt worden, »um das Wort ›Abwehr‹ zu vermeiden, das von der Reichswehr und von der deutschen Wehrmacht bekanntlich für einen Nachrichtendienst gebraucht wurde, der zugleich ›abwehrend‹ im eigentlichen Wortsinne und aufklärend tätig war«, schrieb der Historiker Gert Bucheit 1969.
Der MAD, der auch schon mal als »Verfassungsschutz der Bundeswehr« bezeichnet wird, begleitete bei Gründung der Bundeswehr auch die Eingliederung von ehemaligen Angehörigen der Waffen-SS. Der MAD »sieht es als seine besondere Pflicht an, Rehabilitierungsmaßnahmen konsequent und bis zum entlastenden Abschluss zu verfolgen. Der MAD schafft dadurch eine für die Lösung seiner Schutzaufgaben notwendige Vertrauensbasis in der Truppe«, so ein Nachrichtendienstler in dem vom konservativen Publizisten Gerd Klaus Kaltenbrunner 1985 herausgegebenen Buch »Wozu Geheimdienste?«.
Zwar ist der MAD das Ziel der Sparvorschläge der FDP, die traditionell dem BND nahe steht. Doch CDU und CSU verhalten sich in der Auseinandersetzung um die Kräfteverlagerung zwischen VS, BND, MAD und Bundeswehraufklärung zurückhaltender. Das liegt auch daran, dass die an einer Partnerschaft mit den USA orientierten Atlantiker, die in der Union zwar geschwächt, aber nicht ohne Einfluss sind, Alleingänge eines zu offensiv in Konkurrenz zur USA auftretenden militärischen Aufklärungsdienstes vermeiden wollen. Sie hoffen, mit einer Verbindungsstelle zwischen Bundeswehraufklärung und BND am alten Standort in München/Pullach einen Ausgleich zwischen den Diensten herstellen zu können. Der grundsätzlichen Neuorientierung des deutschen Militärs auf Unabhängigkeit von den USA wird das aber keinen Abbruch tun. Wenn von BND-Leuten gegen das »unverschämte Auftreten der Amerikaner während des Irak-Kriegs« gewettert wird, wie 2008 im Focus, gehört das längst zum neuen Normalbetrieb.