Was essen Linke?

Schlemmen und raven gegen Deutschland!

Hedonismus ist Voraussetzung linker Politik. Der aktuelle Diskurs um bewusste, ethische Ernährung, Gesundheit und Askese ist Folge der veränderten Anforderungen des Marktes für humane Ressourcen in der flexibilisierten Arbeitswelt.

Jetzt also mal wieder Konsumkritik. Nach Antidemokraten und Wutbürgern haben nun die »Lohas« mit ihren »Lifestyles of Health and Sustainability« die Feuilletons übernommen, um der durch Klimawandel, Atomkompromiss und Wirtschaftskrise angeknacksten Befindlichkeit des bewussten Konsumenten mit ihren Vegetarierfibeln und »Eine bessere Welt ist möglich«-Pamphleten ablassbriefgleich verzichtsethischen Balsam ins Gemüt zu schmieren. Discounter führen Bioprodukte ein und mittlerweile berichten selbst etablierte Medien über Verhaltensauffälligkeiten wie Straight Edge oder politischen Veganismus.

Daran ist nicht alles schlecht. Konsumkritik bedeutet immer auch Gesellschaftskritik, und Gesellschaftskritik, die finden wir Linke gut. Die schlechte Nachricht allerdings folgt sofort: Wo von »bewusstem« oder »ethischem« Konsum gesprochen wird, ist auch die Rede von echten, natürlichen Bedürfnissen nicht weit, und eben von jenen, die nach Auffassung der Apologeten des Glücks durch Unterlassung nicht dazu zählen sollen. Tiere sollen nicht mehr gequält, der CO2-Ausstoß reduziert und die Warenproduktion durch Verweigerung ihrer Angebote zivilisiert werden. An den Bedingungen, die die Nachfrage nach billigem Fleisch, nach billigen Flügen oder anderem vermeintlich Verzichtbaren erst erzeugen, ändert sich nichts, aber immerhin ist das Gewissen beruhigt, denn ein wenig gelitten hat man schon.
Beunruhigend hingegen ist die Tatsache, dass diese Verzichtsethik politisch aufgeladen und ideologisch verbrämt auch in der radikalen Linken vermehrt Anhänger findet. Dort, wo aus guten Gründen Parteidisziplin und Askese im Dienste der Sache Absagen erteilt wurden, versagt man sich herrschaftskritisch Schnitzel und Lederschuhe, erklärt Nüchternheit zur Aktivistentugend und propagiert, wie manche Vertreter eines vermeintlich linken Straight Edge, ernsthaft damit einhergehende Werte wie Verantwortung, Unabhängigkeit oder Konzentrationsvermögen; Begriffe, die man so aus der flexibilisierten Arbeitswelt kennt und die vor allem durch die veränderten Anforderungen des Marktes für humane Ressourcen den Weg in die Debatte gefunden haben.
Den falschen Angeboten und künstlich erzeugten Bedürfnissen werden solche entgegengesetzt, die nicht materieller Art sind und auf natürlichem Wege Befriedigung verschaffen sollen: Familie, Freundschaft, Liebe, Individualität oder Krea­tivität, Dinge eben, die man für Geld schlecht kaufen kann. Wenn den herrschenden Verhältnissen schon nicht auf eine grundlegende Art beizukommen und die eigene Ohnmacht nicht mehr auszuhalten ist, macht man sich so wenigstens selbst zum Projekt und das Private wird wieder politisch. Derart moralisch gestärkt, lässt es sich offenbar besser durch die Zumutungen des falschen Ganzen kämpfen.

Wo ich in Hinblick auf den Lifestyle, sich vegan zu ernähren, noch versöhnlich der Meinung bin, ein jeder, der es sich leisten kann, soll doch ruhig selbst entscheiden, was ihm auf den Teller kommt, so reagiere ich verständnislos auf die bewusste Entscheidung, auch Rauschmittel jeglicher Art auf die Liste zu meidender Produkte zu setzen. Rainald Goetz hat einst in »Rave« ganz treffend geschrieben: »Aber noch absurder und kaputter als jede noch so schlimme Drogenkaputtheit war natürlich generelle Abstinenz. Die prinzipielle, programmatisch zur Nüchternheit entschlossene Entscheidung, irgendetwas Böses aus Prinzip ganz sicher nie und NICHT zu nehmen, das war die Totalverblödung. Irgendwelche Drogen nicht zu nehmen, und zwar aus Prinzip, ist das Allerkaputteste, definitiv.« Nur wenig ist dem hinzuzufügen, außer vielleicht, dass es selbstverständlich auch gute und individuelle Gründe dafür geben mag, auf bestimmte Substanzen oder Handlungen zu verzichten.
Die Basis einer solchen Entscheidung sollte aber schon die sein, dass man sich diesen Erfahrungen nicht von vorneherein verschlossen hat. Auf welcher Basis sollte eine solche Entscheidung sonst gefällt werden? Dass der Staat und seine Gesundheitspolitik zunehmend aggressiver versuchen, das Recht, mit dem eigenen Körper anzustellen was man möchte, zu beschneiden, lässt das vorauseilend gehorsame Programm, bereits von sich aus auf die als falsch, ungesund und unproduktiv gelabelten Bedürfnisse zu verzichten, in einem noch merkwürdigeren Licht erscheinen. Immer Herr seiner selbst zu sein, rauchfrei, nüchtern und zurechnungsfähig, das ist die gesellschaftliche Erwartung, der man gerecht werden soll, auch wenn die Doppelmoral dieser Erwartung offensichtlich ist.
Wer den Beschädigungen durch die bürgerliche Gesellschaft nur eine eigene Zurichtung jenseits lustvollen Genießens, der Laster und des Müßiggangs entgegenzusetzen hat, dem ist an einem besseren Leben nicht gelegen. Denn eines sollte klar sein: A body is not a temple, it’s an amusement park.