Die politischen und wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Tunesien und Frankreich

Der französische Freund

Weil sie zwischen den Jahren in Tunesien und Ägypten Urlaub machten, stehen zwei französische Minister derzeit in der Kritik. Doch die Verbindungen der französischen Regierung mit den beiden Regimes beschränkten sich nicht auf die Nutzung von Privatjets durch französische Politiker. Auch die politischen und wirtschaftlichen Beziehungen waren sehr eng.

»Ich hatt’ einen Kameraden«, mag die französische Außenministerin Michèle Alliot-Marie bei sich gedacht haben. Und schon hatte sie ihn wieder verloren. Ihr tunesischer Amtskollege, Ahmed Abderraouf Ounaïes, der erst am 27. Januar bei der Umbildung der provisorischen Regierung ins Kabinett aufgenommen worden war, quittierte am Sonntag nach nur 17 Tagen seinen Dienst.
Der Grund für seinen Rücktritt war sein Umgang mit der französischen Ministerin, der in Tunesien als übertriebene Anbiederung und deshalb äußerst schlecht angesehen wurde. Vor allem, weil es ausgerechnet um Alliot-Marie geht. Die Ministerin hat sich in den vergangenen Wochen in Tunesien extrem unbeliebt gemacht. Erst hatte sie in einer Rede vor der französischen Nationalversammlung am 11. Januar, drei Tage vor der fluchtartigen Ausreise von Zine al-Abidine Ben Ali, dem tunesischen Regime Polizeihilfe angeboten. Damals waren bereits Dutzende junger Tunesier im Kugelhagel der staatlichen REpressionskräfte ums Leben gekommen. Die Begründung der französischen Ministerin lautete, Frankreich habe »das Know-how«, um Ruhe und Ordnung herzustellen, ohne dabei unnötig viele Leute zu töten.

Doch es blieb nicht bei solchen Sprüchen. Wie sich später herausstellte, hatte Alliot-Marie bereits am 12. Juni eine Genehmigung für die Lieferung von mehreren Tonnen Tränengas und »Sicherheitsmaterial« an Tunesien erteilt. Das Material blieb wenige Stunden vor der Ausreise des ehemaligen tunesischen Herrschers am Pariser Flughafen Roissy liegen. Nicht etwa weil die Regierung die Genehmigung zurückgezogen hatte, sondern weil Zollbeamte meinten, dass etwas mit den Ausfuhrpapieren nicht stimme, und lieber erst einmal das Wochenende über abwarten wollten. Am darauffolgenden Montag versuchte die Regierung, die ganze Sache zu vertuschen, indem sie behauptete, selbst die Zurückhaltung der Waffenlieferung angeordnet zu haben.
Ende Januar stellte sich zu allem Überfluss noch heraus, dass Alliot-Marie sich zwischen Weihnachten und Neujahr in Tunesien aufgehalten hatte. Dort hatte im Landesinneren die Revolte bereits an Dynamik gewonnen. Aber die französische Ministerin machte Urlaub. Und zwar nicht wie die Billigtouristen: Sie wurde kostenlos von Tunis aus im Privatjet eines tunesischen Millionärs in einen Badeort transportiert, und später noch in eine Oase im wüstenhaften Süden Tunesiens. Der freundliche Gönner, Aziz Miled, zählte zu den Profiteuren des mafiösen Systems um den ehemaligen Dikator. Alliot-Marie versuchte, ihn nachträglich als Opfer der Diktatur Ben Alis hinzustellen. Miled habe eine Firma besessen, von der er 20 Prozent Kapitalanteile an einen Schwiegersohn des ehemaligen Präsidenten, den berüchtigten Mafioso Belhassen Trabelzi, habe abgeben müssen. Dies entspricht durchaus üblichen Geschäftspraktiken des Familienclans rund um Ben Ali, die ihm zum Teil auch von der reichen Oberschicht vorgeworfen wurden.

Um Miled als »Opfer« zu bezeichnen, muss man sich die Wirklichkeit jedoch ziemlich stark zurechtbiegen. Der Mann war unter anderem Mitglied des 350köpfigen Vorstands von Ben Alis Staatspartei RCD. Er zählte zu den Unterzeichnern des Aufrufs von 65 Prominenten, die noch vor fünf Monaten Ben Ali öffentlich dazu aufforderten, im Jahr 2014 für eine weitere Amtszeit zu kandidieren. Und wie sich einige Tage nach Bekanntwerden der Affäre herausstellte, wurde sein Privatjet von Familienmitgliedern Ben Alis genutzt. Seine Konten in der Schweiz waren in den vergangenen Wochen zeitweilig eingefroren worden, weil er zu der bislang der Regierung nahe stehenden Mafia im Tunesien Ben Alis zählt.
Aber heute, nach dem Sturz des Diktators, wollen alle möglichen seiner Geschäftspartner plötzlich Opfer gewesen sein. Das betrifft auch europäische Großkonzerne, die bislang von ihren Verbindungen zum Clan des ehemaligen Präsidenten profitiert hatten, um sich eine Monopolstellung auf dem tunesischen Markt zu sichern, auch zu Lasten des einheimischen Kapitals. Der Schweizer Konzern Nestlé etwa hatte seit den siebziger Jahren eine starke Stellung in Tunesien. 40 Prozent der Anteile an seiner Filiale gehörten tunesischen Staatsunternehmen. Diese wurden aber 2006 vom Clan der Trabelzis – der Schwiegerfamilie Ben Alis – aufgekauft. Der Clan übernahm die Anteile jedoch zum Nennwert, nicht zum Börsenkurs.
In einem Artikel in der Pariser Zeitung Le Monde wurde das Unternehmen Nestlé vergangene Woche als »Opfer« der Diktatur dargestellt. Der Konzern sei dort »erpresst« worden. Doch wer Geschäfte mit einem korrupten System macht, sollte sich nicht darüber beschweren, es mit fragwürdigen Partnern zu tun zu haben.
Dass Alliot-Marie erst als politische Stütze der tunesischen Diktatur und wenige Tage später auch noch als persönliche Nutznießerin von Gefälligkeiten von deren Oligarchie erschien, bekam ihr auch in Frankreich nicht gut. Ende Januar fielen in Umfragen die Sympathiewerte der Ministerin um 26 Punkte auf nur noch 28 Prozent. Doch ihre Vorgesetzten, Premierminister François Fillon und Präsident Nicolas Sarkozy, verteidigten sie energisch, auch wenn Sarkozy sich kurzfristig überlegt haben soll, sie aus taktischen Gründen zu entlassen. Fillon verteidigte sie umso vehementer. Anfang Februar wurde auch klar, warum er dies mit solchem Eifer tat. Auch Fillon hatte auf ähnliche Weise von der Großzügigkeit eines autoritären Regimes in der Region profitiert. In seinem Fall handelt es sich nicht und Tunesien, sondern um Ägypten, wo er sich in den Tagen nach Weihnachten aufhielt. Von Kairo aus flog er an Bord eines Flugzeugs, das der damalige Präsident Hosni Mubarak ihm gratis zur Verfügung gestellt hatte, nach Südägypten zum Tempel in Abu Simbel. Später wurde er auch auf einem Schiff der Regierungsflotte über den Nil befördert.
Solche Gefallen sind natürlich nur kleine Zeichen einer politischen Kumpanei mit den beiden Regimes, die gerade von der französischen Regierung sehr weit getrieben wurde. Tunesien und Ägypten hatten wichtige Positionen in der Mittelmeerunion inne, die Nicolas Sarkozy im Juli 2008 in Paris gegründet hatte. In Tunis wurde das Sekretariat der Organisation angesiedelt, während Ägypten den Vizepräsidenten stellte. Nun brachen in den vergangenen Wochen die Regimes der beiden Länder in sich zusammen, die als Stützen der Organisation galten. Die nähere Zukunft der Mittelmeerunion, die bereits in den vergangenen Monaten eher schlecht als recht funktionierte, aber in jüngerer Zeit »wiederbelebt« werden sollte, ist nun höchst ungewiss.

Zumindest im Augenblick funktioniert unterdessen die Demokratie am südlichen Ufer des Mittelmeers offenkundig besser als auf dessen Nordseite. Denn während Alliot-Marie, und mit ihr Fillon, Sympathien einbüßte, ihren Job aber derzeit nicht ernsthaft zu verlieren droht, wurde in Tunis am Sonntag ihr Ministerkollege geschasst.
Am 4. Februar hatte Ounaïes sich in Paris aufgehalten und sich geradezu kriecherisch gegenüber seiner französischen Amtskollegin verhalten. Er hatte es als den »Traum« seines Lebens bezeichnet, mit der Amtsinhaberin in Paris zusammenzutreffen. »Ich höre Frau Alliot-Marie gern unter allen Umständen und an allen Orten zu«, fügte er hinzu und bezeichnete die Außenministerin der früheren Protektoratsmacht als »Freundin Tunesiens«. Drei Tage später hatten Angestellte und Beamte seiner Behörde in Tunis vor den Toren des Außenministeriums und selbst innerhalb des Gebäudes wegen dieser Aussagen gegen ihn protestiert. Der Außenminister wusste sich nicht anders zu helfen, als seine Sachen zu packen und zu gehen.