Die Bürgermeisterwahl in Hamburg

Eine Autobahn für Schiffe

Am kommenden Sonntag wird in Hamburg gewählt, und die Chancen für die SPD stehen gut. Für ein mögliches rot-grünes Bündnis könnte die von der SPD angekündigte Hafenpolitik zum Problem werden.

Bei den Bürgerschaftswahlen in Hamburg kündigt sich ein Machtwechsel an. Die SPD hat sich erholt. Bis 2001 war sie jahrzehntelang Regierungspartei, ihre Abwahl wirkte, als sei ein Naturgesetz aufgehoben worden. Den Tiefpunkt der SPD markierte das Verschwinden von 1 000 Wahlzetteln bei der Wahl des sozialdemokratischen Bürgermeisterkandidaten für 2008. Zudem musste der Parteisprecher Bülent Ciftlik, einst als »Obama von Altona« und großer Hoffnungsträger gefeiert, nach einer Verurteilung wegen Vermittlung einer »Scheinehe« die Partei verlassen. Die andauernde Schwäche des schwarz-grünen Senats hatte den Sozialdemokraten zu einem neuen Aufschwung verholfen, nach dem Scheitern der Koalition steht Hamburg vor der Rückkehr zur traditionellen SPD-Regierung.
Nach dem Rücktritt von Ole von Beust blieb der neue Bürgermeister Christoph Ahlhaus ohne politische Fortune. Auch die im Frühjahr 2009 gegründeten »Freien Wähler Hamburg« werden ihm kaum zur Mehrheit verhelfen. Ursprünglich sollten diese die CDU unter Druck setzen, weil von Beust den Grünen die Gestaltung der Schulreform überlassen hatte. Nach dem Ende von Schwarz-Grün stellt sich aber die Frage, ob die Klientel der »Freien Wähler« nicht direkt CDU wählt, zumal mit Walter Scheuerl der Gründer der reformfeindlichen Bürgerinitiative »Wir wollen lernen« für die CDU antritt.
Seit der Rückkehr des ehemaligen Bundesarbeitsministers Olaf Scholz sieht sich Hamburgs SPD gewappnet, die Macht zurückzugewinnen. In Umfragen wird der CDU eine schlimme Niederlage prophezeit. Entsprechend wirkte der Wahlkampf bisher wie eine Pflichtübung: Während die CDU ihr »Wahlprogramm« präsentierte, wurde die SPD bereits mit einem »Regierungsprogramm« vorstellig.

Eine der wichtigsten Fragen der Landespolitik spielte bisher bezeichnenderweise kaum eine Rolle: die Ausrichtung der Hamburger Indus­triepolitik und damit die Zukunft des Hafens. Während die CDU den Hafen wirtschaftlich vom Landeshaushalt abkoppeln wollte, hielt die SPD an einer Wirtschaftsförderung fest. Der Aufwand an Investi­tionen und Infrastrukturmaßnahmen für die europäische Nummer drei im Seegüterhandel, deren Gesamtumschlag vor der Wirtschaftskrise auf 140 Millionen Tonnen beziffert wurde, ist gigantisch. Die staatlichen Sonderinvestitionen und mittelfristigen Aufwendungen umfassten nach Angaben der Wirtschaftsbehörde in den vergangenen Jahren 750 Millionen Euro. Ohne Förderung durch das Land und den Bund lässt sich das kaum bewerkstelligen.
Die Hamburg Port Authority (HPA) klagte, der Senat habe den Hafen mit seiner Privatisierungspolitik alleine gelassen. Wie die DVZ, eine Fachzeitung für Transportlogistik, berichtete, gehen die aus dem Börsengang der Hafenbetreibergesellschaft HHLA gebildeten Rücklagen zur Neige. Damit wäre die sogenannte Hafenmilliarde, die den Übergang zu einer Eigenfinanzierung des Hafens decken sollte, aufgebraucht, ohne dass die angestrebte finanzielle Selbständigkeit in Sicht wäre. Durch die Wirtschaftskrise zusätzlich belastet, reichen die durch die HPA erwirtschafteten Gebühren nicht aus, um die Infrastruktur instandzuhalten und Investitionen zu tätigen. Kürzlich haben mit der Handelskammer, dem Industrieverband und dem Unternehmensverband Hafen Hamburg drei der wichtigsten Hamburger Wirtschaftsvertretungen ein »Positionspapier« vorgelegt. Sie fordern darin die vollständige Übernahme der Infrastrukturkosten durch den Landeshaushalt.

Die CDU hat lange nicht reagiert. Zu spät verkündete Wirtschaftssenator Ian Karan einen Strategiewechsel bei der Hafenfinanzierung: Ab 2014 sollen trotz aller Sparvorhaben jährlich wieder 100 Millionen Euro zusätzlich zu den Bundesmitteln aus dem Hamburger Haushalt aufgebracht werden. Bei den Unternehmern hatte sich jedoch schon längst die Ansicht durchgesetzt, dass man die Industriepolitik besser den Sozialdemokraten überlässt. Angesichts des traditionell hohen gewerkschaftlichen Organisationsgrades der Hafenarbeiter bietet eine SPD-Regierung zusätzlich Stabilität.
Olaf Scholz präsentierte denn auch mit dem parteilosen Franz Horch, der Präses der Hamburger Handelskammer ist und zuvor Vorsitzender des Industrieverbands Hamburg war, einen Kandidaten für das Amt des Wirtschaftssenators, wie ihn sich die Hafenwirtschaft kaum besser wünschen kann. Damit setzt die SPD auf eine aktive Industriepolitik.

Für den möglichen grünen Koalitionspartner ist das ein Affront. Die von den Hamburger Grünen (GAL) bekämpfte Ausbaggerung der Elbe (»Fahrrinnenanpassung«) und der Bau einer Autobahn auf der Elbinsel sind wesentliche Bestandteile dieser Politik. Das erschwert die Voraussetzungen für Rot-Grün. Die Basis der GAL dürfte nach der Mesalliance mit der CDU kaum zu Konzessionen bereit sein. Doch wenn Scholz die angekündigte Hafenpolitik durchsetzen will, führt an den Maßnahmen kein Weg vorbei. Die derzeitige Fahrrinnentiefe der Elbe wird für den Schiffverkehr zunehmend zum Problem. Bei den Containerfrachtern steigt die Anzahl der Schiffe, die den maximalen Tiefgang aufweisen, kontinuierlich. Aus Sicht der Schifffahrt wird der Fluss – und damit der Hafen – unwirtschaftlicher. Umladeaktionen in der Elbmündung auf kleinere Feederschiffe sind aufwendig. Je tiefer die Fahrrinne, so die Argumentation, desto effektiver der Gütertransport. Im Hintergrund steht dabei eine große Sorge der Hamburger Hafenwirtschaft, auf die bisher noch niemand eine Antwort gefunden hat. Mitte 2012 soll in Wilhelmshaven der Jade Weser Port in Betrieb genommen werden. Als Tiefwasserhafen soll er für die nächste Frachtergeneration gezeitenunabhängig schiffbar sein. Diese sogenannten Megacarrier werden bis zu 21 000 Containereinheiten (TEU) transportieren können und die Transportkosten im Seegüterhandel senken. In Hamburg können gängige Großtransporter mit einer Kapazität von knapp 13 800 TEU nur bei Flut einlaufen. Ohne die weitere Ausbaggerung der Fahrrinne sei der Handelsplatz Hamburg existentiell bedroht, sagt die Hafenwirtschaft. Mit dem Jade Weser Port droht Hamburg ein dramatischer Bedeutungsverlust im Seegüterhandel. Dagegen hilft selbst eine mögliche absolute Mehrheit der SPD nicht.