Maroni braucht einen Rettungsring

Es gibt verschiedene Methoden, brisante Dokumente vor der Öffentlichkeit zu verbergen. Man kann sie geheimhalten, aber dann erscheinen sie womöglich bei Wikileaks. Sofort wollen alle sie lesen, schon weil sie geheim waren. Die Bürokraten der EU kennen eine elegantere Lösung. Sie formulieren ihre Dokumente in diesem Stil: »Außerdem hat die Gemeinschaft Erläuterungen zu den Paneuropa-Mittelmeer-Ursprungsprotokollen veröffentlicht, die an die Stelle der bisherigen Erläuterungen zur paneuropäischen Ursprungskumulierung (ABl. C 90 vom 31.3.1999 und ABl. C 49 vom 22.2.2002) treten, die für alle Ursprungspro­tokolle im Rahmen der paneuropäischen Kumulierung gleichermaßen galten.« Wer möchte da noch weiterlesen? Die »Paneuropa-Mittelmeer-Kumulierung« gehört zum Reglement der ökonomischen Anbindung des Maghreb an die EU. Da diese Anbindung die soziale Misere in Tunesien verschärfte, hat die EU tatsächlich, wenn auch ungewollt, einen Beitrag zur Demokratisierung geleistet. Weniger erfolgreich war die offizielle Demokratieförderung, die vor allem in einer Dialog-Kumulierung bestand. So wird im »Fortschrittsbericht Tunesien« aus dem Jahr 2006 referiert: »Was die Vorbereitungen des Unterausschusses für Demokratie und Menschenrechte betrifft, so ist dieser noch damit beschäftigt, seine Geschäftsordnung festzulegen.« Immerhin wurde eine »Beraterkammer« für die Demokratisierung eingerichtet. Da gab es keinen Streit über die Geschäftsordnung, denn »41 Berater werden direkt vom Präsidenten der Republik ernannt«, weitere 43 »von den lokalen Gebietskörperschaften«, also vom damals regierenden RCD und somit letztlich vom Präsidenten. Auch die »berufsständischen Organisationen« sollten Berater entsenden, doch der Gewerkschaftsverband UGTT »hat seine Teilnahme verweigert«. So beriet Präsident Ben Ali sich selbst. Aber die EU übte auch Kritik am tunesischen Regime: »Um eine nachhaltige Effizienzsteigerung zu erreichen, müsste jedoch auch der Kündigungsschutz gelockert werden.«
Nun, da die Tunesier selbst die Geschäftsordnung festlegen, plagen die EU-Politiker andere Sorgen. In demokratischem Schlendrian lassen die Tunesier es an Eifer beim Aufbringen von Flüchtlingsbooten fehlen. Dabei hatte man ihnen 2004 zu diesem Zweck sechs ausgemusterte deutsche Schnellboote zum Schnäppchenpreis von 34 Millionen Euro verkauft. Der italienische Innenminister Roberto Maroni will nun seine Polizisten nach Tunesien schicken. Die dortige Regierung hat aber genug Probleme mit ihren eigenen, oft noch Ben Ali nachtrauernden Polizisten. So jammert Maroni weiter über den »biblischen Exodus«. Als Ritter des katholischen Pius-Ordens sollte er aber wissen, dass die Flüchtlinge in der Bibel die Guten sind und Gott ihre Verfolger ersäuft.