Über die deutsch-ägyptischen Beziehungen

Nur nichts überstürzen

Angesichts der bestehenden Wirtschaftsbeziehungen und der militärischen und polizeilichen Verbindungen liegt der deutschen Außenpolitik weiterhin sehr an der »Stabilität« Ägyptens.

Ein des Hochdeutschen mächtiger Schwabe würde sagen: Der deutschen Wirtschaft und ihrem Minister Rainer Brüderle (FDP) brennt der Kittel. Angesichts von Massendemonstrationen und Streiks in Ägypten legte Brüderle Agenturmeldungen zufolge kürzlich einen »Aktionsplan Nord­afrika« zur Unterstützung deutscher Firmen vor. Offenbar fürchtet man den Zusammenbruch ­eines Regimes, mit dem in den vergangenen Jahrzehnten hochprofitable Geschäfte gemacht wurden: 2009 belief sich der Wert der deutschen Exporte in das arabische Land dem Bundeswirtschaftsministerium zufolge auf 2,66 Milliarden Euro; importiert wurden dagegen lediglich Waren im Wert von 832 Millionen Euro. Derzeit hat die Bundesregierung deutsche Ausfuhren im Wert von knapp 188 Millionen Euro durch staatliche Exportkreditversicherungen, sogenannte Hermes-Bürgschaften, abgesichert. Großkonzerne wie BASF, RWE, ThyssenKrupp und BMW haben in Ägypten eine Summe von 350 Millionen Euro investiert, die Stundenlöhne ägyptischer Arbeiter liegen nach Angaben der Wirtschaftswoche bei weniger als zwei Euro.

Nicht zuletzt Waffen aus deutscher Produktion sind bei der Armee und der Polizei Ägyptens sehr gefragt. Bezifferten sich die deutschen Rüstungsexporte in das Land 2003 noch auf 41 Millionen Euro, so betrugen sie 2009 bereits 77,5 Millionen Euro. Der Deutschen Presseagentur zufolge wurden Militärtransporter, Panzerteile, U-Boot-Ausrüstung und Maschinenpistolen geliefert. Die ägyptische Polizei verfügt über Wasserwerfer aus der Produktion des Maschinen- und Fahrzeugbauers MAN, ein Video auf Youtube zeigt, wie sie jüngst gegen Protestierende eingesetzt wurden.
Der Export von Kriegs- und Repressionstechnik geht mit einer engen Zusammenarbeit zwischen deutschen Behörden und dem ägyptischen Militär- und Polizeiapparat einher. Wie die Bundeswehr mitteilt, unterhalten die deutschen Streitkräfte ein offizielles Kooperationsprogramm mit der ägyptischen Armee. Zuletzt besuchte eine Delegation ägyptischer Soldaten im Herbst die Schule für Feldjäger und Stabsdienst der Bundeswehr in Hannover, im Mai waren an der Offiziersschule der deutschen Luftwaffe im bayerischen Fürstenfeldbruck Angehörige der ägyptischen Armee zu Gast. Einer aktuellen Pressemitteilung der Linksfraktion im Bundestag zufolge wurde den ägyptischen Streitkräften zudem bereits im Januar 2009 in großem Umfang »Beratung, Ausbildung und Ausstattungshilfe« zur Grenzsicherung und »systematischen Überwachung des Hinterlands« in Aussicht gestellt.
Auch auf polizeilicher Ebene hat sich eine enge deutsch-ägyptische Partnerschaft entwickelt. Wie der ehemalige Mitarbeiter des Bundeskriminalamts und Autor Dieter Schenk berichtet, hat das BKA in Kairo einen Verbindungsbeamten stationiert. Allein in den Jahren 1985 bis 1995 gewährte die Bundesregierung nach Angaben des Geheimdienstexperten Erich Schmidt-Eenboom der Polizei Ägyptens Unterstützung mit Material und Training im Wert von mehr als einer Million Euro.

Die politisch-militärische Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Ägypten hat eine lange Tradition. So schreibt Schmidt-Eenboom in seinem 2007 erschienenen Buch »BND – Der deutsche Geheimdienst im Nahen Osten«, dass König Faruk I., der von 1936 bis 1952 regierte, mit Nazideutschland gegen Großbritannien konspiriert habe. Anwar as-Sadat, der als Angehöriger des »Komitees der freien Offiziere« 1952 am Sturz der Monarchie beteiligt war und 1970 ägyptischer Staatspräsident wurde, hatte versucht, dem seit 1941 in Nordafrika operierenden Deutschen Afrikakorps unter Feldmarschall Erwin Rommel als Spion zu helfen.
Wie Schmidt-Eenboom weiter berichtet, heuerte die ägyptische Regierung nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs »etwa 600 Wehrmachtsangehörige und SS-Leute« an, »die der maroden ägyp­tischen Armee deutschen Angriffsgeist einhauchen sollten« – unter ihnen »mehr als ein halbes Dutzend Generale« aus Hitlers Streitkräften. Im Auftrag der »Organisation Gehlen«, aus der 1956 der Bundesnachrichtendienst (BND) hervorging, sei unter anderem der vormalige SS-Obersturmbannführer Otto Skorzeny nach Kairo gekommen. Skorzeny genoss in deutschen Militär- und Geheimdienstkreisen wegen einiger verdeckter Operationen einen guten Ruf – etwa der Befreiung des im Juli 1943 gestürzten italienischen Diktators Benito Mussolini.
Schmidt-Eenboom zufolge rekrutierte Skorzeny etwa 100 deutsche »Berater« für den im Aufbau befindlichen ägyptischen Geheimdienst, darunter der für seine Menschenversuche gefürchtete KZ-Arzt Hans Eisele und der vormalige SS-Hauptsturmführer Alois Brunner, der unter anderem in Griechenland und Frankreich für die Deporta­tion zehntausender Juden in die nationalsozialistischen Vernichtungslager gesorgt hatte. Zum Stab der deutschen »Berater« gehörte Schmidt-Eenboom zufolge auch der NS-Propagandaautor Johann von Leers. Offiziell hatte er in den fünfziger Jahren eine Gastprofessur in Kairo inne, tatsächlich arbeitete er aber als politischer Berater für die Arabische Liga und organisierte im Auftrag des Informationsministeriums die Agitation gegen Israel. In dieser Zeit begann der mittlerweile zurückgetretene ägyptische Staatspräsident Hosni Mubarak seine militärische Laufbahn. Der langjährige Geheimdienstchef Omar Suleiman, zuletzt Vizepräsident, absolvierte damals seine Lehrjahre.

Angesichts der traditionellen Affinität der ägyptischen Führung zu Deutschland und unmittelbarer deutscher Wirtschaftsinteressen in der gesamten nordafrikanischen Region verwundert es nicht, dass sich die Bundesregierung mit Rücktrittsforderungen an Mubarak auffallend zurückgehalten hat. »Wer das ägyptische Volk regieren wird, ist nicht unsere Sache, sondern Sache des ägyptischen Volkes selbst«, erklärte Außenminister Guido Westerwelle (FDP) noch am 9. Februar im Bundestag. Wie Deutschland in Zukunft den Ägyptern helfen könnte, sagte Westerwelle auch: »Den Rechtsstaatsdialog wollen wir intensivieren, die Justiz wollen wir modernisieren. (…) Wir können beim Entwurf einer demokratischen Verfassung beraten, ebenso beim Aufbau eines fairen und transparenten Wahlsystems und bei der Unterstützung der Arbeit von freien und unabhängigen Medien.«
Nur eines wollte der Außenminister offensichtlich auf keinen Fall, nämlich sofortige freie, gleiche und geheime Wahlen: »Wir müssen nach innen klar und nach außen so klug handeln, dass wir nicht denen in die Hände spielen, die in Wahrheit keine Demokratie wollen, sondern entweder die Verlängerung dessen, was war, oder ein anderes autokratisches System oder aber auch religiösen Fundamentalismus und Extremismus. (…) All diejenigen, die heute sagen, es müsse morgen in Ägypten gewählt werden, mögen bedenken, dass dann die moderaten demokratischen Kräfte der Opposition mit Sicherheit kaum eine Chance hätten, weil sie in ganz Ägypten noch nicht ausreichend organisiert sind.«
Offenbar orientiert sich Westerwelle bei seiner Argumentation an Wolfgang Ischinger, dem Organisator der Münchner Sicherheitskonferenz. In einem Interview mit der Rheinischen Post hatte sich Ischinger eine Woche vor der Rede des Außenministers für eine »Doppelstrategie« in Hinblick auf Ägypten ausgesprochen: Im Interesse der »Stabilität« müsse man einerseits »das realpolitisch Notwendige machen« und andererseits »Demokratie fördern«. Denn es sei unbedingt zu vermeiden, dass »Ägypter uns Europäern vorwerfen, wir hätten zu sehr im Bett mit der korrupten Führung gelegen«.

Der Einsatz eines deutschen Wasserwerfers durch die ägyptische Polizei ist zu sehen unter: