Stellt eine Studie des DGB zur Leiharbeit vor

Verdienen war gestern

Der DGB hat eine Studie zur Leiharbeit vorgelegt. Mittlerweile ist die prekäre ­Beschäftigung für viele Lohnabhängige alltäglich geworden.

Sie arbeiten auf Abruf und verdienen erheblich weniger als Festangestellte. Selbst wenn sie einer Vollzeitbeschäftigung nachgehen, müssen Leiharbeiter mit einem Gehalt auskommen, das kaum mehr als die Hälfte eines regulären Tariflohns ausmacht. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie, die der DGB Anfang Februar vorlegt hat. Nicht nur niedrige Stundenlöhne tragen zur prekären Situation von Beschäftigten in der Leih­arbeitsbranche bei, sondern beispielsweise auch die Arbeitszeitregelungen oder die Nichtzahlung von Überstundenzuschlägen. Mehr als 60 Prozent der Leiharbeitskräfte verfügen über eine abgeschlossene Berufsausbildung. Obwohl sie häufig nicht entsprechend ihrer Qualifikationen eingesetzt werden, handelt es sich bei der Leiharbeit nicht um eine unqualifizierte Beschäftigung.
Im Jahr 2009 lag das mittlere Bruttomonatsentgelt von Leiharbeitskräften in den alten Bundesländern bei 1 456 Euro im Monat, in Ostdeutschland und Berlin belief es sich sogar nur auf 1 224 Euro. Im gleichen Zeitraum lag das mittlere Bruttoeinkommen aller Vollzeitbeschäftigten bei 2 805 Euro. Bundesweit kamen 10,5 Prozent aller vollzeitbeschäftigten Leiharbeitskräfte auf weniger als 1 000 Euro brutto im Monat, im Osten waren es sogar 21 Prozent. Weitere 20 Prozent verdienten nur zwischen 1 001 und 1 200 Euro; im Osten sind es auch hier mehr als ein Viertel. 13,1 Prozent aller sozialversicherungspflichtig beschäftigten Leiharbeitskräfte sind auf ergänzende Unterstützung durch ALG II angewiesen. Dieser Anteil hat sich innerhalb eines Jahres um 60 Prozent erhöht.

Zu diesen Ergebnissen kommt die DGB-Studie nicht mit aufwendiger Feldforschung, sondern durch eine schlichte Auswertung der Entgeltstatistiken der Bundesagentur für Arbeit. Bisher hatte sich niemand diese Mühe gemacht, entsprechend liegen keine differenzierteren Daten zum Arbeitsentgelt von Leiharbeitskräften vor. Die Untersuchung belegt erstmals, dass Leiharbeit inzwischen einen erheblichen Einfluss auf die Lohnarbeit in Deutschland hat. Das Fazit der Autoren fällt eindeutig aus: »Leiharbeit wird längst nicht nur dafür eingesetzt, um betriebliche Auftragsspitzen abzufangen, sondern mehr und mehr auch um die Lohnkosten massiv zu drücken und tarifliche Regelungen in den Einsatzbetrieben zu unterhöhlen.«
Alarmierende Ergebnisse brachte auch eine Umfrage der IG Metall unter 5 150 Betriebsräten. Deren Angaben zufolge stellen die Betriebe wieder verstärkt ein. Zusätzliche Beschäftigung wird dabei fast sechsmal häufiger durch Leiharbeit und befristete Verträge abgedeckt als über unbefris­tete Einstellungen. 85 Prozent der Betriebe mit einem zusätzlichen Bedarf setzen auf prekäre Arbeitsverhältnisse, davon 43 Prozent auf Leiharbeit und 42 Prozent auf befristete Arbeitsverhältnisse. Die Krise hat die Umstrukturierung des Arbeitsmarktes beschleunigt, mit der ein Angriff auf das »Normalarbeitsverhältnis« einhergeht.

Waren im Jahr 2008 die Leiharbeiter die ersten, die während der Wirtschaftskrise entlassen wurden, wurden inzwischen in Deutschland wieder rund 825 000 Leiharbeiter angestellt. Durch den Einsatz von Kurzarbeit konnten Massenentlassungen vermieden werden, der Beschäftigungsrückgang verlief vor allem auf Kosten der von Zeitarbeitsfirmen angeheuerten Arbeiter. Unmittelbar nach dem Ende der Kurzarbeit stellen schon 20 Prozent der befragten Betriebsräte fest, dass Stammbelegschaften durch Leiharbeiter ­ersetzt worden sind. In Betrieben mit 1 000 bis 2 000 Beschäftigten ist diese Entwicklung besonders deutlich.
Die Gewerkschaften erkennen allmählich, dass der Boom der Leiharbeit zur Bedrohung für tarifliche Standards der Kernbelegschaften wird und damit ihre Position in den Betrieben und ihre Kampffähigkeit grundlegend in Frage stellt. Noch 2007 hatte das DGB-Bundesvorstandsmitglied Claus Matecki sich in dieser Frage kapitalfreundlich und staatstragend gegeben. »Wenn in einem Unternehmen drei bis vier Prozent Zeitarbeiter beschäftigt sind, ist dagegen nichts zu sagen. Doch diese Quote wird häufig bei weitem mit 20 oder gar 30 Prozent überschritten«, sagte Matecki. Für die Unternehmen sei das letztlich keine kluge Entscheidung. »Denn mit dem Abschmelzen der Stammbelegschaft geht viel Know-how verloren. Gerade das aber macht die Stärke der deutschen Wirtschaft aus.«
Dementsprechend präsentierten sich die Kampagnen für »Fairness« in der Leiharbeit, die vor allem Verdi und die IG Metall entwickelt hatten. Die von der DGB-Tarifgemeinschaft Zeitarbeit mit den Unternehmern der Branche vereinbarten Tarifverträge liegen etwas höher als die von den christlichen »Gewerkschaften« vereinbarten Regelungen. Aber bei einem Bruttostundenlohn von derzeit 7,60 Euro im Westen und 6,65 Euro im Osten in den untersten Segmenten muss man auch hier von Dumpinglöhnen sprechen. Der lautstark von den DGB-Gewerkschaften geforderte Mindestlohn für die Zeitarbeitsbranche kann bei solchen Tarifuntergrenzen nur als schlechter Scherz bezeichnet werden.
Zumindest muss sich der DGB mittlerweile nicht mehr mit der Billigkonkurrenz durch gelbe Gewerkschaften auseinandersetzen. Mitte Dezember bezeichnete das Bundesarbeitsgericht die Christliche Gewerkschaft für Zeitarbeit und Per­sonalserviceagenturen (CGZP) als tarifunfähig und erklärte damit auch deren berüchtigte Haustarifverträge für ungültig.
Einige Leiharbeiter, die bisher auf der Grundlage solcher Dumpingverträge beschäftigt waren, wollen nun bei den Arbeitsgerichten rückwirkend den gleichen Lohn einklagen, den die Stammbelegschaften in den Betrieben erhielten, in denen sie eingesetzt waren. Vertreter von Verdi schätzen, dass bundesweit zwischen 300 000 und 400 000 Leiharbeiter Ansprüche auf die Erstattung der Lohndifferenz haben. Unternehmer und bürgerliche Medien fürchten nun zahlreiche Prozesse und Nachzahlungen in Milliardenhöhe.

Hatten sich die wichtigsten Einzelgewerkschaften bisher beim Thema Leiharbeit bis zur Schmerzgrenze kompromissbereit gezeigt und lediglich »Equal Pay« verlangt, so scheint man nun allmählich bereit, zumindest verbal radikalere Töne anzuschlagen. In der Vergangenheit war das In­teresse an Leiharbeitern eher gering. Deren Interesse an gewerkschaftlicher Organisierung galt als gering, und die Arbeitskämpfe gegen Leiharbeitsfirmen waren schwierig. Mittlerweile sieht das anders aus, Leiharbeit und andere prekäre Beschäftigungsformen sind ein zentraler Bestandteil der Arbeitsverhältnisse geworden. Unsicherheit und Entrechtung am Arbeitsplatz gehören für einen beträchtlichen Anteil der Beschäftigten zur Realität.
Der DGB ruft nun zu einem bundesweiten Aktionstag unter dem Motto »Arbeit – sicher und fair« am 24. Februar auf. Dass Lohndumping und prekäre Beschäftigung zum Thema gemacht werden, ist ein Fortschritt. Dass aber die Gewerkschaftsführung sich immer noch nicht zu einer grundsätzlichen Ablehnung der Leiharbeit durchringen kann, ist angesichts der Brisanz des Themas für die Grundlagen jeglicher Form gewerkschaftlicher Gegenmacht in den Betrieben beunruhigend.
Die im Aufruf zum Aktionstag erhobene Forderung nach gleichem Lohn für gleiche Arbeit weist zwar über die praktische Tarifpolitik der Gewerkschaften hinaus, wird aber der wirklichen Bedrohung und der Aushebelung betrieblicher Mit­bestimmung durch Leiharbeit und befristete Beschäftigung kaum gerecht.