Ein umstrittener Ort für eine Ausstellung der Stiftung Weiße Rose

Die Ausweitung der Grauzone

Die »Stiftung Weiße Rose« zeigt eine Ausstellung in Hamburg. Ob der passende Ort dafür gefunden wurde, ist fraglich.

In den Räumen der Galerie in Hamburg hängen die bekannten Bilder von Hans und Sophie Scholl. Anlass ist eine Ausstellung der »Stiftung Weiße Rose«. Der Ort ihrer Präsentation ist jedoch umstritten, denn die Galerie befindet sich in den Räumen der Alfred Toepfer Stiftung F.V.S. (ATS). Alfred Toepfer zählte zu den Männern, die in der NS-Zeit Zugang zu höchsten Stellen hatten. Irgendeine Nähe zu den Studenten der »Weißen Rose« hatte er nicht. Als sich 1942 die »Weiße Rose« zum Widerstand entschloss, war Toepfer Wehrmachtsoffizier der Abwehr in Frankreich. Seine Aufgabe war es, ein Agentennetz aufzubauen, um Kollaborateure zu rekrutieren, mit deren Hilfe sich Frankreich in von Nazi-Deutschland beherrschte Regionen zerteilen ließe.

Doch von dieser merkwürdigen Konstellation ist während der Eröffnung der Ausstellung nicht die Rede. Allerdings bleiben die Protestbriefe und Anfragen, die an die ATS und die Stiftung Weiße Rose gegangen waren, nicht ohne Wirkung. In einem Artikel des Internetmagazins German Foreign Policy wird die Befürchtung geäußert, mit dieser Ausstellung erfolge die »Übernahme der Opfergeschichte in den Fundus der früheren Täter«. Dem entgegnete am Mittwoch voriger Woche der Vorsitzende des Vorstandes der ATS, Ansgar Wimmer, vor dem Publikum der Ausstellungseröffnung: »So ziemlich das Gegenteil ist der Fall: Es ist doch offensichtlich, dass wir gerade mit einem solchen Engagement immer wieder zu Nachfragen einladen.« Der Stiftung gehe es um aktive Aus­einandersetzung mit der Vergangenheit. Den Kritikern hält er vor, dass man es »bei der Auseinandersetzung mit der Toepfer Stiftung heute mit den historischen Fakten vielleicht hier und da nicht ganz so genau nimmt, mit der gegenwärtigen Realität unserer Stiftungsarbeit erst recht nicht«. Alfred Toepfer war Getreidehändler und gründete ab 1931 mehrere Stiftungen, mit denen er sein Auslandsvermögen dem Zugriff des deutschen Fiskus entzog und die er nutzte, um völkische Subversion zu finanzieren, die als Kulturförderung getarnt wurde. Er begleitete Hitlers Expansionspolitik, indem er in Österreich, dem Sudetenland, der Schweiz, in Belgien und Frankreich über seine Stiftungen kollaborationswillige Kreise förderte. Goebbels nannte die Stiftungen daher »äußerst wertvoll«. Die der Stiftung gehörenden Schlösser und Höfe stellte Toepfer dem Verband für das Deutschtum im Ausland zur Verfügung, außerdem nahm er Kontakt zu höchsten Nazis auf. In Kalkhorst, dem Schloss der Stiftung, begrüßte er Hitlers Stellvertreter Rudolf Heß als Sommergast und bot dem in den Stiftungsrat berufenen Führer der Sudentendeutschen, Konrad Henlein, an, dass er »auf Anfordern an oder hinter der Front bedingungslos zur Verfügung stehe«. Kalkhorst diente Heß und der SS als Schulungszentrum. Dort traf Toepfer die »völkische Elite«, die dann die Vernichtung der europäischen Juden betrieb, unter anderem die SS-Offiziere Odilio Globocnik, Edmund Veesenmayer und Werner Best. Nach 1945 hofierte Toepfer mit seinen Stiftungspreisen europäische Staatsmänner. Er unterstützte aber auch flüchtige NS-Täter und machte die an den NS-Verbrechen unmittelbar beteiligt gewesen waren, Veesenmayer, Kurt Haller und Hans-Joachim Rieke zu engen Mitarbeitern.

Seit 2010 informiert der Internetauftritt der ATS unter der Überschrift »Transparenz ist Leitgebot« über eine Reihe »irritierender Fakten«. Preisträger der Stiftung werden vorab auf Toepfers »Verstrickungen« hingewiesen. Ansgar Wimmer bittet Kritiker zum Gespräch. Er verweist gegenüber der Jungle World auf eine Reihe gedenkpolitischer Veranstaltungen und Projekte, die von der Stiftung gesponsert wurden. Tatsächlich arbeitet die Stiftung mit der Hamburger Kulturbehörde und der KZ-Gedenkstätte Neuengamme zusammen. Wo staatliche Finanzhilfe knapp ist, nämlich bei temporären Projekten, steigt die ATS ein. Schließlich kann sie eine Summe von über zwei Millionen Euro jährlich in Preisen, Stipendien und Fördermitteln ausschütten. Wimmer legt Bücher vor. Da ist eine »kritische Bestandsaufnahme« über Toepfers Leben, die eine wissenschaftliche Kommission im Jahr 2000 herausgab – im Auftrag der ATS. Bekanntester Autor der Studie ist Hans Mommsen, der Toepfer 2007 einen »großen Europäer« nannte. Und es gibt eine Biographie, in deren Vorwort auf die fachliche Begleitung durch Frank Bajohr verwiesen wird. Trotz dieses Gütesiegels schrieb ein Mitarbeiter der Bucerius Stiftung im Vorwort: »Verstrickungen Toepfers in das verbrecherische Wirken des Na­tionalsozialismus lassen sich nicht belegen, weder als Soldat noch als Unternehmer.« Am Grab von Toepfer sagte der ehemalige Bundeskanzler Helmut Schmidt: »Toepfer war ein Mann der Freiheit. Aber Zucht und Ordnung gehörten ihm da­zu – und diese beiden Leitworte bedeuteten ihm keineswegs militärischer Gehorsam oder Drill, sondern vielmehr ganz und ausdrücklich die stetige Bereitschaft, anderen zu helfen.« Wimmer bemüht sich, den Eindruck zu zerstreuen, der sich bei der Lektüre dieser Zitate aufdrängt: »Wir sind keine Organisation zur höheren Ehre Alfred Toepfers.«
Die Person Toepfer ist so umstritten, dass die FAZ einen »Historikerstreit« um ihn ausmachte. In den neunziger Jahren hatte die ATS nach mehreren Eklats die Preisverleihungen in Wien, Strasbourg und Basel einstellen müssen. Die Recherchen französischer Forscher um Lionel Boissou und den Schweizer Michael Fahlbusch hatten die Vergangenheit der Stiftung aufgedeckt. In einem Aufsatz des Sammelbands »Völkische Wissenschaften und Politikberatung« fasst der Oxforder Wissenschaftler Michael Pinto-Duschinsky die neuesten Forschungsergebnisse über Toepfer zusammen. Da Pinto-Duschinskys Eltern 1944 vor der Shoah aus Ungarn fliehen konnten, unterstellte ihm die Autorin der FAZ, voreingenommen zu sein und porträtierte ihn »als rachsüchtigen Holocaust-Überlebenden«, wie der Wissenschaftler in einer Gegendarstellung schrieb, die die FAZ veröffentlichte. Pinto-Duschinsky nennt die Versuche, die Person Toepfer als ambivalent darzustellen, »greywashing«.

Mit diesem Begriff lässt sich der Streit um Toepfer vielleicht am besten fassen. Es ist heute nicht mehr durchsetzbar, die Geschichte zu vertuschen und zu leugnen, sie weißzuwaschen. Durch Grauwaschen werden nur noch einzelne Tatsachen umgedeutet. In der Erklärung »Transparenz als Leitgebot« erwähnt die Stiftung, Toepfer sei kein Mitglied der NSDAP gewesen. Spricht das für Toepfer? Kritiker verweisen darauf, dass Toepfer im Ausland nicht als Repräsentant der Nazis auftreten konnte. Seine Nähe zum NS wird durch eine andere Tatsache deutlich, nämlich seine (von der Stiftung bislang nicht genannte) Fördermitgliedschaft in der SS. Und was die Kri­tiker als völkische, revanchistische und kriegstreiberische Tätigkeit identifizieren, wird von der Stiftung immer noch »Pflege des Auslandsdeutschtums« genannt.
In allen der Stiftung verbundenen Veröffentlichungen wird eingestanden, dass Toepfers Firmenfiliale in Posen der deutschen Verwaltung des Ghettos Lodz Löschkalk geliefert habe, der zur Abdeckung von Massengräbern genutzt worden sei. Diese Darstellung ignoriert, dass Löschkalk ein Mordinstrument war. Juden und Jüdinnen wurden lebend in Gruben geworfen und mit Löschkalk und Wasser getötet. So funktioniert »greywashing«. Personen wie Toepfer werden damit in die Menge irgendwie verstrickter Deutscher eingereiht, denen Tätermerkmale, nämlich direkte Mordbeteiligung oder Antisemitismus, vermeintlich abgehen.