Über die Proteste im Jemen

Herrschen, bis der Arzt kommt

In den Städten des Jemen wird protestiert, doch entscheidend wird die Haltung der bewaffneten Landbevölkerung sein.

Der Präsident beklagt sich bitter. Jedes Mal, wenn er sich zu Diskussionen bereit erkläre, erhebe die Opposition weitere Forderungen. Überhaupt sei diese ganze Sache mit der Demokratiebewegung eine höchst ansteckende Krankheit, die sich von Tunesien aus verbreitet habe: »Es ist eine Grippe.«
Kein Wunder, dass Ali Abdullah Saleh, der Präsident des Jemen, sich krank fühlt. Seit dem 11. Februar reißt die Kette der Demonstrationen nicht mehr ab, in der Hauptstadt Sana’a gärt es ebenso wie in Taiz, der zweitgrößten Stadt des Landes und in der südjemenitischen Hafenstadt Aden. Die friedlichen Demonstranten müssen sich dabei nicht nur gegen die Polizei, sondern auch gegen den Mob der Regimeanhänger wehren, der wie in Aden auch schon mal eine Handgranate wirft.
Saleh hat schon Anfang des Monats versprochen, im Jahr 2013 nicht mehr bei den Präsidentschaftswahlen zu kandidieren. Dasselbe hatte er jedoch auch schon vor den vergangenen beiden Wahlen versprochen, und noch Anfang Januar kündigte er eine Verfassungsreform an, die ihm weitere Amtszeiten ermöglicht hätte.
Saleh ist, rechnet man seine Zeit als Präsident des Nordjemen vor der Vereinigung mit der »Volksrepublik« im Süden hinzu, seit 1978 an der Macht. Kein Wunder, dass die Jemeniten seinen Versprechungen mit etwas Skepsis begegnen. Dabei ist es ungewiss, was im Jemen nach einem Sturz Salehs passieren könnte. Das Protestszenario mag an Tunesien oder Ägypten erinnern, doch die Situation im Land ist gänzlich anders.
Das ärmste Land der Region, das relativ bevölkerungsreichen ist, hat gravierende Probleme, unter anderem wird das Wasser knapp. Politisch ist der Jemen fast ein failed state. Die Demonstranten im Süden des Landes fordern eher die Unabhängigkeit als Salehs Rücktritt, die Rebellion der schiitischen Houthis im Norden kann jederzeit wieder aufflammen. Nun mehren sich die Anzeichen, dass in Folge der andauernden Proteste auch unter den bisher noch eher staatstragenden Stammesverbänden im Zentrum des nördlichen Landesteils Unruhe aufkommt.
Saleh verhandelt mit Stammesführern aus der Region um Sana’a über Unterstützung gegen Bezahlung. Zumindest die jüngeren Mitglieder einer Stammesföderation haben dagegen angekündigt, die Demonstranten in Sana’a unter ihren Schutz stellen zu wollen. Eine Gruppe hochrangiger Kleriker rief bereits mahnend zum Erhalt der staatlichen Einheit auf und schlug eine Übergangsregierung vor, an der alle Gruppierungen beteiligt werden sollen.
Von dieser Lösung scheint der Präsident wenig zu halten, er hat sich offenbar vorgenommen, die »tunesische Krankheit« durch Standhaftigkeit zu besiegen. Schwierig dürfte das spätestens dann werden, wenn die bisher sehr zurückhaltenden Demonstranten, die eher den modernen, städtischen Jemen repräsentieren, von Stammeskriegern abgelöst werden. Der Jemen hat eine der höchsten Bewaffnungsraten der Welt. Die Kalaschnikow gehört in den meisten Familien zum Hausrat, und irgendein Nachbar hat immer ein paar Panzerfäuste in der Garage. Der Jemen könnte der Albtraum der arabischen Reformbewegung werden.