»Das ist Hedonismus pur«

Es gibt sie, die »Wutbürger« – auch im Berliner Prenzlauer Berg. Zahlreiche Bürgerinitiativen wollen dort einen Umbau der Kastanienallee verhindern – einer Straße, die auch »Castingallee« heißt, weil auf ihr Leute mit zu engen Hosen und zu großen Sonnenbrillen herumspazieren. Für das Projekt verantwortlich ist der grüne Bezirksstadtrat Jens-Holger Kirchner. Er hat nun die Wutbürger am Hals, die seine Partei sonst oft repräsentiert.

Sehnen Sie sich angesichts der Wutbürger aus der Kastanienallee nicht manchmal in die Opposition?
Nein. Es gehört dazu, dass man auch Auseinandersetzungen führen muss, wenn man Verantwortung trägt.
Aber beneiden Sie nicht die Parteikollegen in Stuttgart, die bei den Protesten gegen »Stuttgart 21« den Kopfbahnhoffreunden fröhlich ein paar Luftballons in die Hand drücken können?
Nein, ich finde den Vergleich der doch eher bescheidenen Sanierung einer Straße für mehr Verkehrssicherheit und Barrierefreiheit mit dem milliardenschweren Großprojekt »Stuttgart 21« ein wenig an den Haaren herbeigezogen. Es geht hier es um Hedonismus pur. Die Szene ist ausgesprochen unwirsch, wenn es darum geht, wahrzunehmen, dass es auch Menschen mit anderen Interessen oder Mobilitätseinschränkungen gibt.
Wer sind die Leute, die sich gegen den Umbau wenden?
Das ist eine wilde Mischung, und sie ist auch schon zerstritten. Es gibt die Initiative K21, aus der einige Gewerbetreibende schon ausgegrenzt worden sind, weil sie sich zu kompromissbereit gezeigt haben, und andere Initiativen, die jeweils etwas anderes wollen. So bunt wie die Straße, so verschieden sind auch die Interessen.
Vor allem aber geht es um die Angst der Geschäftsleute vor Umsatzeinbußen während der Bauarbeiten. Das haben wir in jeder Straße. Es geht auch darum, dass die Umsätze in der Kastanienallee möglicherweise schon ohne Baumaßnahmen zurückgegangen sind – weil die Szene weitergewandert ist, in den Wedding und nach Kreuzberg. Die Kastanienallee muss sich neu erfinden. Zu rufen: »Es bleibt so, wie es ist«, ist das Ende der Straße. Das ist Plastinierung.
Die Gegner des Projekts haben damit gedroht, einen »Tag des Zorns« auszurufen. Angeblich gab es sogar Morddrohungen.
Es gab schon ernsthafte Drohungen, ich rufe da zur Mäßigung auf. Und das sind Leute, die nie eine Diktatur erlebt haben. Da frage ich: Wovon redet ihr? Wir haben eine Demokratie, wir haben die Möglichkeit, öffentlich Konflikte auszutragen, ohne dass man erschossen wird. Die sollen mir bitte nicht mit einem »Tag des Zorns« kommen. Es geht hier nicht um eine Diktatur, es geht um eine demokratische Abwägung von konträr aufeinanderprallenden Interessen.