Zu den Prozessen gegen linke Buch- und Infoläden in Berlin

Böse Buchstaben

Im vergangenen Jahr gab es in den Berliner Buch- und Infoläden »M99«, »Oh 21« und »Schwarze Risse« zahlreiche Razzien. Nun haben die Prozesse gegen linke Buchhändler begonnen. Am Dienstag kommender Woche findet der zweite Verhandlungstag im Prozess gegen den Geschäftsführer der Buchhandlung »Oh 21« statt.

Die Anschuldigungen sind schwerwiegend: »Anleitung zu Straftaten« (Paragraph 130a StGB) und »Verstoß gegen das Waffengesetz« (Paragraph 40 WaffenG). Nach Ansicht des Staatsanwalts soll Frank C., Geschäftsführer der Buchhandlung »Oh 21«, diese Straftaten durch das Auslegen der Zeitschriften Interim und Prisma begangen haben. Das Vorgehen der Staatsanwaltschaft ist zwar nicht neu, aber bisher gingen die Gerichte immer von dem Grundsatz aus, dass Buchhändler nicht alle von ihnen verkauften Inhalte kennen, geschweige denn sie auf strafrechtliche Relevanz überprüfen müssen.
Bereits vor dem ersten Prozesstag, der am 18. Februar stattfand, hatte der Anwalt des Angeklagten, Ulrich von Klinggräff, einen größeren Gerichtsraum beantragt. Es war absehbar, dass die 44 Sitzplätze nicht für alle Unterstützer und Prozess­interessierten reichen würde. Verlegt wurde die Verhandlung tatsächlich, allerdings keineswegs in einen größeren, sondern in einen kleineren Raum mit verschärften Sicherheitskontrollen. Nur 24 Zuschauer konnten am Prozessauftakt teilnehmen, auch einigen Journalisten wurde der Zutritt wegen Platzmangels versagt. Unterstützer, die vom Prozess ausgeschlossen wurden, stimmten vor dem Amtsgericht Tiergarten laute Sprechchöre an, die auch im Verhandlungssaal deutlich zu vernehmen waren.
Der Oberstaatsanwalt Ingo Kühn verlas derweil im Gerichtssaal die Anklage, in der dem Buchhändler vorsätzliche Anleitung zu Straftaten vorgeworfen wurde, da er die Zeitschriften, deren Inhalt ihm bekannt gewesen sei, einem »nicht eingegrenzten Kundenkreis« zugänglich gemacht habe.

Der Anwalt des Angeklagten reagierte mit einer persönlichen Erklärung auf die Verlesung der Anklageschrift. Er betonte den politischen Charakter der Anklage gegen die Buchhändler. Es fehlten die strafrechtlich notwendigen »konkreten und detaillierten« Tathinweise, wie in einem Prozess wegen Diebstahls, bei dem aus der Anklage nicht hervorginge, was eigentlich gestohlen worden sei. Die Anklage sei »mit heißer Nadel gestrickt«.
Der Angeklagte selbst wollte keine Einlassungen zur Sache machen, verlas jedoch eine Erklärung, in der er betonte, als Buchhändler werde er sich den Bestrebungen der Staatsanwaltschaft, ihn zu einer Art Vorzensur nach den Kriterien der Ermittlungsbehörden zu bewegen, nicht beugen. Der Richter kommentierte den sich anschließenden Applaus aus dem Zuschauerraum mit der Bemerkung, dies sei »im Gerichtssaal wie in der Kirche nicht üblich«.

Die sich anschließende Befragung zweier Polizeizeugen war für die Staatsanwaltschaft blamabel. Klinggräff sprach nach dem Prozess von einer »Nullnummer«, da die Zeugen »nichts Wesentliches« beigetragen hätten. Seiner Einschätzung nach ist die Staatsanwaltschaft einem Beweis der Schuld des Angeklagten »keinen Schritt näher gekommen«. Die Zeugin, die eine der Durchsuchungen der Buchhandlung »Oh 21« geleitet hatte, konnte sich an fast nichts mehr erinnern und verwies immer wieder auf das Durchsuchungsprotokoll. Der Staatsanwalt fragte sichtlich genervt, ob sie überhaupt wisse, um was es gehe. Der als Experte für die Interim geladene Staatsschützer erging sich in allgemeinen und banalen Aussagen: Die linke Szene sei vielschichtig und bestehe aus »verschiedenen Personen«, die Interim bestehe aus einem wahrscheinlich vom jeweiligen Redaktionskollektiv geschriebenen Editorial sowie aus eingesendeten Beiträgen. Auf eine genauere Definition der »linken Szene«, etwa welche Gruppen und Personen dazugerechnet würden, konnte der Zeuge sich nicht festlegen.
Einen absurden Höhepunkt erreichte der Prozesstag, als der Staatsschützer nach dem Anteil der strafrechtlich verfolgten Nummern an den bisher 720 erschienenen Ausgaben der Interim gefragt wurde und keine Antwort fand. Der Staatsanwalt behauptete daraufhin, dies könne der Zeuge auch gar nicht wissen. Da stellt sich die Frage: Wenn der Experte des Staatsschutzes für linke Szenepublikationen deren strafrechtlich relevanten Gehalt nicht beurteilen kann, wieso sollte es dann ein Buchhändler können?