Über Guttenberg und die Deutschen

Der Märchenprinz

Karl-Theodor zu Guttenberg und sein Volk.

Nein, es darf nicht aufhören, es muss immer weitergehen, das Dramolett »Guttenberg und die Deutschen«. Endlich ist auch in Deutschland Politik großes Kino. Nicht mehr bloß um fünf Euro mehr oder weniger wie beim Hartz-Gesetz geht es jetzt, sondern um Ehre, Anstand und Redlichkeit. Was ist da schon ein bisschen »Bunga Bunga« gegen die Guttenberg-Affäre? Jeden Tag neue Witze über den Adligen (Harald Schmidt: »Irgendjemand im Publikum, bei dem der Baron nicht abgeschrieben hat?«) und abends dann Talkshows, in denen tugendhafte SPD-Politiker mit ehrenhaft erworbenen Doktortiteln teigigen CSU-Politikern mit Dauergrins-Masken erklären, dass sie sich ihre Titel aber im Schweiße ihres Angesichts erarbeitet hätten. Großartig. Karl-Theodor zu Guttenberg darf jetzt nicht einfach abtreten, wir brauchen ihn weiterhin für die Reality-Soap »Der lustige Baron«.
Die Guttenberg-Komödie ist ein Spektakel zum Mitmachen, das macht sie so viel reizvoller als all die öden Steuerhinterziehungsskan­dale, die man sonst immer vorgesetzt bekommt. Jeder kann sich hier an irgendwelchen Ted-Umfragen beteiligen und im Internet weiter Originale und Plagiate vergleichen. Aus einem Skandal ist ein Gesellschaftsspiel geworden, allerdings ist noch nicht ganz klar, welche Spielregeln den Gewinner bestimmen.
Noch weiß man auch nicht, ob nach dem Spiel einfach alles so weitergeht wie bisher – egal, ob mit Guttenberg oder ohne ihn – oder ob die Republik eine andere sein wird. Erstaunlich ist es ja schon, wie vermeintlich konservative Werte wie Moral und Ehrenhaftigkeit plötzlich gegen die Konservativen und nicht von ihnen in Stellung gebracht wurden. Haben wir sie langsam, die italienischen Verhältnisse? Irgendwie schon. Auch in Italien kommt der Ruf nach Sittlichkeit und Tugend inzwischen von links, und die Rechte in Italien beschimpft wie die Union ihre Kritiker als »linke Hetzer«, »Kommunisten« und ähnliches.
Es mag zynisch klingen, aber in den vergangenen Tagen wusste man wirklich nicht, wo es irrer zuging: in Libyen oder in der guten alten Bundesrepublik. Politik war in Deutschland zuletzt ja eine arg öde Angelegenheit. Die Westerwelle-FDP nervte zwar, das war aber irgendwie egal, und außer Stefan Mappus, der für »Stuttgart 21« das Stuttgarter Bürgertum, die sogenannten Wutbürger, anständig von der Polizei durchprügeln ließ, gab es keine strammen Konservativen mehr, vor denen man sich ekeln konnte. Nicht einmal mehr Roland Koch. Stattdessen Figuren wie Ole von Beust, der wie ein Sozialdemokrat versuchte, in Hamburg die Bürger von der Gesamtschule zu überzeugen. Und selbst die Bild-Zeitung war kein richtiges Feindbild mehr, sondern die Zeitung, die der lustige Kai Diekmann leitet, der gekonnt die Taz veräppelte, und in der sich Alice Schwarzer bestens aufgehoben fühlt.
Und jetzt das. Endlich weiß man wieder, wer Freund, wer Feind ist. Und wir wissen wieder genau, wer wir sind: nämlich das »deutsche Volk«. In den vergangenen Wochen war andauernd vom »Volk« die Rede. Vom ägyptischen, vom tunesischen, vom libyschen und Gott sei Dank wieder nachdrücklich vom deutschen. Nicht einmal in der Sarrazin-Debatte, die vergleichsweise vernünftig wirkt gegen das, was einem alles zu Guttenberg aufgetischt wird, ging es so sehr um das »deutsche Volk«. Von einem »Volk« war da die Rede, das Union und Umfragen zufolge Guttenberg immer noch dufte findet und das die Bild-Zeitung sogar zur Volksabstimmung über den Verteidigungsminister motivierte.
Gerade erst hatten die Deutschen entdeckt, dass auch sie sich schrecklich empören können und sich nicht alles bieten lassen müssen, aber da ging es noch um Fluglärm und S-Bahn-Verspätungen wie in Berlin. Im Falle Guttenbergs sind die Deutschen aber wieder lieber ein Volk dummer Trottel, denen man ruhig erzählen kann, dass der Baron bestimmt »nicht vorsätzlich« getäuscht habe. Irre, die Strategie der Union, Guttenberg als einen darzustellen, der gerade unberechtigterweise durch Stahlgewitter gehen muss, nach seinem Ritterschlag aber noch greller strahlen wird als je zuvor. Aber die Strategie verfängt. Vielleicht. Bislang.
Die Causa Guttenberg ist ein Lehrstück über den Zustand der Bundesrepublik, wie es so schnell kein ähnliches geben wird. Man hat gelernt, dass man sich in den sogenannten Qua­litätszeitungen die Finger wundschreiben kann, allein es hilft nichts, wenn Bild anderer Meinung ist. Und dass die Zeit, nur um mal was anderes zu schreiben als alle anderen, nicht um jeden Preis das Leitmedium des Bildungsbürgertums sein muss, zumindest deutet darauf der windelweiche Kommentar von Giovanni di Lorenzo in seinem Blatt hin, an dem sogar Guttenberg-Unterstützer Kai Diekmann keinen Satz ändern würde.
Man hat auch gelernt, dass Angela Merkel und ihre Koalition langsam den Überblick verlieren, so wie Guttenberg angeblich beim ­Schreiben seiner Doktorarbeit den über seine Quellen. Falls die Stimmung doch noch umschlagen sollte, wie soll die Koalition wieder rauskommen aus dieser Hurra-Guttenberg-Nummer? Und man sieht nun, dass Exzellenzinitiativen und der Kampf um Geld dazu geführt haben, dass Universitäten sich in parteipolitischen Filz verstricken und nicht einmal in solch krassen Fällen wie dem Guttenbergs bereit sind, gegen die Interessen ihrer Geldgeber ernsthafte Aufarbeitung zu betreiben. Man hat gelernt, dass es mit der vielbeschworenen Unabhängigkeit von Lehre und Wissenschaft nicht weit her ist in Deutschland.
Und wir mussten vor allem noch einmal schmerzlich erfahren, dass man in diesem Land immer noch keine Ahnung hat von Glam und Glitz. Die Amerikaner haben Michelle und Barack, wir die Steffi und den Gutti. Da reicht es, dass man sich wie Guttenberg hinter ein DJ-Pult stellt und so tut, als würde man etwas vom Mixen und überhaupt von Techno verstehen, um als lässig durchzugehen. »Der coole Baron« titelte der Stern einst. Und meinte das nicht ironisch. Schockierend ist es, dass einem sinnlos dauergrinsenden Politikerdarsteller Hemdsärmeligkeit abgekauft wird, der es nicht einmal schafft, ein echtes AC/DC-T-Shirt zu tragen, sondern nur das einer AC/DC-Cover-Band. Selbst ein vermeintlich witziger Spruch des Barons (Rainer Langhans sehe aus wie eine »fleischgewordene Pusteblume«) stammt nicht von ihm, sondern von Dirk Bach aus dem Dschungelcamp. Das deutsche Volk lacht trotzdem.
Immer wieder heißt es ja auch, Guttenberg sehe gut aus, und das gilt dann als Erklärung dafür, dass der Mann so gut ankommt bei den jungen Leuten von heute. Und auch da muss man sagen: Liebe junge Leute von heute, Guttenberg sieht einfach scheiße aus, wie Harry Potter mit Diekmann-Frisur. Allein schon deswegen ist der Mann eigentlich nicht tragbar.