Das Verhältnis der linken Staatschefs Lateinamerikas zu Gaddafi

Freunde in der Not

Die linken Staatschefs Lateinamerikas demonstrieren Solidarität mit Muammar al-Gaddafi. Die Basis der bolivarianischen Revolution diskutiert derweil darüber, ob die Proteste in Libyen nun legitim seien oder nicht.

»In den schwierigen Momenten zeigt sich die wahre Loyalität«, sagte Daniel Ortega vergangene Woche auf einer Gedenkveranstaltung für den nicaraguanischen Freiheitskämpfer Augusto Sandino. Der Präsident Nicaraguas sieht sich offensichtlich als loyaler Freund in der Not von Muammar al-Gaddafi, denn auf ihn bezog er seine Worte. »Ich habe mit Gaddafi telefoniert, er muss gerade eine Schlacht durchstehen – wie viele Schlachten musste er schon durchstehen!« Er habe Gaddafi der Solidarität Nicaraguas und der Sandinisten versichert, ließ Ortega wissen, der den Kampf des libyschen Diktators gegen die Protestbewegung mit den historischen Kämpfen der Sandinisten in Nicaragua verglich.
Daniel Ortega ist nicht der einzige Präsident, der sich zum linken Block der »bolivarianischen Alternative für die Amerikas« (Alba) zählt und sich solidarisch mit dem libyschen Diktator erklärt. Das Vorbild der lateinamerikanischen linken Präsidenten, der ehemalige Präsident Kubas, Fidel Castro, äußerte sich auf ähnliche Weise. »Man kann mit Gaddafi übereinstimmen oder nicht«, schrieb er vergangene Woche in einem Kommentar für die kubanische Presse, doch sei für ihn klar, dass die USA die gegenwärtigen »Schwierigkeiten« für eigene Zwecke missbrauchen würden. Er spekulierte, dass die Nato eine Intervention plane, um das libysche Erdöl zu erobern und das Land zu spalten.
Der inoffizielle Anführer der Alba, der venezolanische Staatschef Hugo Chávez, versucht sich in einer Art ratloser Solidarität – immerhin benannte das Regime Gaddafis im März 2009 ein Stadion in Bengasi nach ihm und verlieh ihm im Oktober eine Ehrendoktorwürde. In einem Fernsehauftritt bekräftigte Chávez seine Freundschaft zu den »arabischen Völkern«: »Bouteflika ist mein Freund, der König von Saudi-Arabien, Abdullah, ist mein Freund, und so auch Gaddafi.« Wie die Freundschaft mit den »arabischen Völkern« und die Freundschaft mit den genannten Personen überhaupt vereinbar ist, erklärte Chávez nicht. Vorsichtiger als Daniel Ortega, ließ er die Welt wissen, dass er nicht jede Entscheidung seiner Freunde nachvollziehen könne, da er nicht in ihrer Situation sei. Doch vorsorglich kritisierte er jede Intervention von Seiten der USA und die »Vorverurteilung Gaddafis« durch die westlichen Medien. Die Berichterstattung über die Lage in Libyen erinnere ihn an den Putschversuch 2002 in Venezuela, als viele Medien von Tausenden Demonstranten gegen die Chávez-Regierung berichteten, während es tatsächlich die Massenproteste waren, die Chávez wieder ins Amt beförderten. Wie Castro vermutete er, dass die USA und die Nato versuchen würden, die Souveränität Libyens zu zerstören, um sich das libysche Erdöl anzueignen.

Auf der Homepage apporea.org, auf der Unterstützer des Alba-Projekts ihre Artikel publizieren können, folgen etliche Kommentare den Argumentationen dieser Staatschefs. Humberto Gómez García sieht ganz wie Chávez Parallelen zwischen dem Putschversuch in Venezuela 2002 und den aktuellen Geschehnissen in Libyen. Er sieht vor allem die CIA und den Mossad am Werk. Die Berichte über Massaker hält er für Manipula­tionen »westlicher Medien«. Dass die meisten Berichte westlicher Medien auf Informationen von al-Jazeera oder Internetvideos der Protestbewegung basieren, ignoriert er dabei. Pedro Echevarría schreibt, dass die Revolutionen in Ägypten und Libyen nicht sozialistisch seien und deshalb wohl von den USA provoziert wurden, um sich des Erdöls zu bemächtigen. Viel Lob findet er für die historischen Leistungen Gaddafis im antikolonialen Kampf.
Doch die größere Zahl der Artikel im Internet-Forum der inoffiziellen Alba-Unterstützer erklären sich solidarisch mit der Protestbewegung in Libyen. »Einige zweifeln an der Realität der Revolution in Libyen und sehen nur das imperialistische Interesse der Nato dahinter«, meint die Redaktion einer Gruppe namens »Sozialistische Flut« in einem Manifest. »Diese Argumentation ist falsch, selbst wenn es imperialistische Interessen am libyschen Öl gibt.« Sie versichern die Protestbewegung in Libyen ihrer Solidarität und geben ihrer Hoffnung Ausdruck, dass eine Demokratisierung des Landes die Folge der Revolution sein und der Kapitalismus gleich mit abgeschafft werde. Dieses Manifest trifft den Tenor der meisten Artikel der unabhängigen Bolivarianisten auf apporea.org.
Die Basis der Alba folgt also nicht blind den Aussagen der Präsidenten. Doch haben viele ihre Zweifel, ob die libysche Revolution denn auch sozialistisch sei. So fordern viele »Weder Gaddafi noch Imperialismus!«, wie der Titel eines Artikels lautet. Die Vorstellung, dass es Regierungsformen gibt, die schlimmer als eine bürgerlich-kapitalistische sind (wie eben die von Muammar al-Gaddafi), und dass die libysche Bevölkerung das Recht und das Bedürfnis hat, gegen solche Regierungsformen zu rebellieren, ohne gleich den Sozialismus zu fordern, scheint für die Unterstützer des Alba-Projekts nicht leicht zu akzeptieren sein. Einige lehnen sie gar als »Verrat an der Revolution« ab und erklären die Proteste im Nahen Osten verschwörungstheoretisch mit »imperialistischen Interventionen« oder leugnen sie schlicht als »Manipulation der westlichen Medien« – so wie Castro, Ortega und Chávez.

Aus dem Alba-Land Bolivien hört man hingegen kaum Kommentare zur Situation in Libyen. Außenminister David Choquehuanca ließ lediglich verlautbaren, er hoffe, die Probleme in Libyen würden friedlich und ohne äußere Einmischung gelöst. Obwohl Präsident Evo Morales 2008 bei einem Besuch in Tripolis erstmals diplomatische Beziehungen Boliviens mit Libyen etabliert, mit Gaddafi technische Kooperation bei der Entwicklung der bolivianschen Gasressourcen vereinbart und betont hat, dass er Gaddafis »grünes Buch« bewundere, hat sich Morales selbst bisher nicht zu Libyen geäußert. Dass Morales angesichts der Menschenrechtsverletzungen in Libyen Skrupel bekommen hat, Gaddafi zu unterstützen, dürfte hierfür allerdings kaum der Grund sein, hat er doch in der Vergangenheit auch dem iranischen Regime seine Freundschaft versichert, während dieses die iranische Oppositionsbewegung gewaltsam unterdrücken ließ.
Vielmehr hat die bolivianische Regierung derzeit zu viele eigene Probleme am Hals, als dass sie sich intensiver um die Gaddafis kümmern könnte. Die bolivianische Bevölkerung ist immer unzufriedener mit der Amtsführung der Regierung und mit den steigenden Lebensmittelpreisen, insbesondere bei Zucker gibt es derzeit Versorgungsengpässe. In den vergangenen Wochen gab es zahlreiche Proteste, in einigen armen Gemeinden Potosís kam es sogar zu Plünderungen der staatlichen Versorgungszentren.
Die Proteste gingen von der traditionellen Basis der Regierungspartei Mas (Bewegung zum Sozi­alismus) aus, also den sozialen Bewegungen der armen Bevölkerung, insbesondere der indigenen. Doch der Regierungsminister Sacha Llorente behauptete, sie seien von der »oligarchischen Opposition« organisiert worden – eine Aussage, die weiter von der Realität nicht entfernt sein könnte und auch Unterstützer der Regierung irritierte. Zwar lässt die bolivianische Regierung noch lange keine Söldner auf die Demonstranten hetzen, und bislang spielt sich alles recht friedlich ab. Doch auch wenn der Versuch Llorentes, die Protestierenden zu denunzieren, nicht ganz so irre ist wie Gaddafis Behauptung, die libyschen Demonstranten seien Horden von Drogenabhängigen, teilen beide Regierungen die Strategie, Proteste durch Verschwörungstheorien zu dele­gitimieren. In mancher Hinsicht sind sich die Antiimperialisten des Nahen Ostens und Lateinamerikas dann eben doch ähnlich.