Aida Saif Al-Dawla im Gespräch über Frauenrechte und Säkularismus in Ägypten

»Von Gender-Fragen sind wir noch entfernt«

Aida Saif al-Dawla gründete 1984 das New Woman Research Center, die einzige ägyptische Institution, die sich in den vergangenen Jahrzehnten für Frauenrechte eingesetzt hat. Sie ist Mitgründerin des Nadim-Zentrums für psychologische Betreuung von Opfern von Gewalt, das sich um Opfer von Folter und häuslicher Gewalt kümmert. 2003 wurde al-Dawla von Human Rights Watch geehrt für ihren Einsatz ­gegen Folter und für Frauenrechte.

Die ägyptischen Aktivisten haben auch Frauenrechte und Säkularismus gefordert. Welche Rolle spielten diese Forderungen bei den Protesten?
Die Forderung nach Frauenrechten wurde nicht sehr laut gestellt. Auf der anderen Seite zeigt die Teilnahme von vielen Frauen an den Protesten, dass Frauenrechte nicht mehr in Frage gestellt werden können. Frauen mit und ohne Kopftuch und aus allen sozialen Schichten beteiligten sich an den Protesten. Gemeinsam mit den Männern verbrachten sie 18 Tage auf dem Tahrir-Platz. Niemand hat angesichts dessen Geschlechtertrennung gefordert. Frauen haben Demonstrationen angeführt, sie kümmerten sich um die Verletzten, sie wurden verletzt und auch getötet. Während dieser 18 Tage gab es keinerlei Beschwerden über sexuelle Belästigung.
Die Forderung nach Frauenrechten ging unter, weil der gegenstand der Proteste eindeutig das Regime von Mubarak war. Bei der Forderung nach Säkularismus sieht es ein wenig anders aus, das hängt mit den gewaltsamen Angriffen auf Kopten in der Vergangenheit zusammen, bei denen man eine Beteiligung des Regimes vermutet. Im Vordergrund steht dabei aber nicht so sehr die Forderung nach Säkularismus als die nach Toleranz unter Muslimen und Christen.
Sexuelle Belästigung und Nötigung von Frauen sind ein großes Problem in der ägyptischen Gesellschaft. Ägyptische Feministinnen fordert etwa, dass sich mit dem System auch dringend die sexistische Kultur ändern müsse.
Kultur und Moral kommen nach der Frage, ob die Menschen das Gefühl haben, dass sie über ihr Leben bestimmen können.
Selbstverständlich ist hier konzentrierte Arbeit an Gender-Fragen notwendig, aber davon sind wir noch weit entfernt. In diesem Zusammenhang muss man auch die Tausenden von Kleinkriminellen erwähnen, die das Regime aus den Gefängnissen und den Polizeistationen entlassen hat. Es waren dieselben Leute, die im Juni 2005 während der Proteste gegen das Verfassungsreferendum Frauen angegriffen hatten. Wir brauchen eine umfassende Reform, um solches Verhalten zu kriminalisieren, damit es auch von der Gesellschaft abgelehnt wird.
Während des Verfassungsreferendums 2005 wurden Frauen erstmals auf offener Straße von einer Gruppe Männer in die Enge getrieben und sexuell genötigt. Dass Frauen auf der Straße angegriffen und ihnen etwa die Kleider vom Leib gerissen wurden, wiederholte sich bei verschiedenen Demonstrationen oder auch religiösen Festen. Sie sagen nun, die Täter seien vom Regime bestellte Kleinkriminelle gewesen?
Ja, das begann 2005 mit den Anfängen der Pro-Demokratie-Bewegung. Das Regime bediente sich Kleinkrimineller zusätzlich zu Spezialeinheiten zur Aufstandsbekämpfung, um die Demonstranten anzugreifen.
Welche Rolle haben die Muslimbrüder bei der Revolution gespielt, und welche werden sie spielen?
Die Muslimbrüder waren Teil dieser Revolution. Sie haben sich spät dazugesellt, wie auch viele andere politische Gruppen. Zeugen, die beim »schwarzen Freitag« dabei waren, behaupten, dass ohne ihr Eingreifen die Demonstration von den Kriminellen und Kamelen zerschlagen worden wäre.
Wird es nicht schwierig mit der Durchsetzung von Frauenrechten, wenn die Muslimbrüder an der Regierung beteiligt sind?
Vorweg: Alle diskriminierenden Gesetze wurden bis jetzt von der regierenden Partei erlassen, nicht von den Muslimbrüdern. Sollten die Muslimbrüder in Ägypten regieren, was ich für unwahrscheinlich halte, werden wir unseren Kampf für Frauenrechte fortsetzen, genauso wie den Kampf für andere Rechte.
Warum halten Sie es für unwahrscheinlich, dass die Muslimbrüder regieren werden?
Mehrere Gruppen und Individuen haben nach Mubaraks Rücktritt versucht, die Revolution als ihre eigene darzustellen, und sind in Verhandlungen im Namen der Protestierenden getreten. Die Muslimbrüder waren in diesen Gruppen vertreten. Vor allem waren es aber liberale Gruppen, die Ansprüche formuliert haben, die ihnen nicht zustanden.
Wenn es vor allem Liberale sind, die sich in den Vordergrund drängen, besteht die Gefahr, dass Ägypten einen ähnlichen Weg geht wie die osteuropäischen Länder, mit einem demokratischen System, aber einer kapitalistischen Wirtschaftsform ohne soziale Absicherung?
Das ist eine große Gefahr. Da würde sich die Anknüpfung an die Politik von Mubaraks Sohn, Gamal, und die seiner Clique anbieten: freies Unternehmertum, Korruption, Massenentlassungen, Zerschlagung des öffentlichen Gesundheitssystems und des Bildungswesens.
Am 25. Februar wurden auf dem Tahrir-Platz Slogans für Freiheit, Würde und soziale Gerechtigkeit skandiert. Soziale Forderungen werden auch bei den Streiks sehr deutlich formuliert. Einige liberale Gruppen, die jetzt mit der Armee verhandeln, behaupten jedoch, es handele sich dabei um Partikularinteressen, die erst angegangen werden müssten, wenn das Ziel der Demokratie erreicht sei. Diese Haltung birgt auch die Gefahr einer weiteren Verarmung einer ohnehin beraubten Bevölkerungsgruppe.
Wie geht es jetzt weiter?
In jedem Fall hat Ägypten einen langen Weg vor sich. Es gibt Leute, die behaupten, die Revolution sei vollzogen. Doch davon sind wir weit entfernt. Die Armee ist nicht so brutal wie die Polizei, was die Unterdrückung angeht, aber keine dieser beiden Institutionen ist der Wächter der Demokratie. Die Polizei ist jetzt wieder sehr präsent. An vielen Fronten müssen Kämpfe ausgefochten werden. Es geht dabei auch um Frauenrechte, aber nicht nur.