Gewalt gegen die LGBT-Bewegung in Honduras

Widerstand in Highheels

Die LGBT-Bewegung war ein wichtiger Teil des Widerstands gegen den Putsch in Honduras im Jahr 2009. In der zunehmend militarisierten Gesellschaft werden Lesben, Schwule, Bi- und Transsexuelle immer häufiger zu Opfern der Staatsgewalt. Die brutalen Hassmorde, die oft von Polizisten oder Militärs verübt werden, haben seit dem Putsch zugenommen. Die Community versucht, sich zu wehren.

Die Demonstration hat länger gedauert als gedacht. Drei junge Transfrauen stützen sich gegenseitig, um ihre Füße zu entlasten, die in den Highheels schmerzen. Eigentlich hatte sich die Versammlung vor dem Gebäude der Staatsanwaltschaft eingefunden. Spontan marschierte dann jedoch ein Demonstrationszug durch die extrem hügeligen Straßen der honduranischen Hauptstadt Tegucigalpa bis zum Präsidentenpalast. Dort, wo vor eineinhalb Jahren der letzte rechtmäßige Präsident, Manuel Zelaya, im Schlafanzug aus dem Haus gezerrt wurde, um außer Landes geflogen zu werden. Und dort, wo sich die Menschen noch am selben Tag versammelten, um gegen die Machtübernahme des Militärs zu protestieren. Schon damals waren von Anfang an die Regenbogenfahnen der LGBT-Bewegung zu sehen gewesen. Eigentlich hatten die Protestierenden nämlich am 28. Juni 2009 den Christopher Street Day zelebrieren wollen, doch nach dem Staatsstreich wurde eine Kommunikationssperre verhängt und das Militär erschien auf der Straße.
»Früher haben sie uns gehasst, weil wir Trans waren«, sagt Frank »Madelin« und zieht das schwarze Abendkleid zurecht. »Heute hassen sie uns noch mehr, weil wir ein Teil des Widerstandes sind: subversive Schwuchteln, könnte man sagen.« Niemand aus der eng beieinander stehenden Dreiergruppe lacht. Zu viele Hassmorde sind in den vergangenen Monaten an Angehörigen der Community verübt worden.
Während in den fünf Jahren vor dem Putsch 17 Transsexuelle ermordet worden waren, wurden seit dem Putsch insgesamt 38 transsexuelle Menschen ermordet. »In Honduras werden gerade keinerlei Rechte geachtet, aber unsere sind in der Verfassung noch nicht einmal benannt«, sagt Nelson »Lindsay«. Dort steht lediglich, dass niemand aufgrund von Geschlecht, ethnischer Zugehörigkeit oder Religion diskriminiert werden darf. In dieser Aufzählung fehlen die sexuelle Orientierung und Identität. »Viele Leute lehnen uns ab, in der Nachbarschaft, in der Schule, in der Familie, nur weil wir unsere Identität nicht verleugnen.« Die drei aufwendig geschminkten Transfrauen erzählen von den zahlreichen Beleidigungen, denen sie täglich auf der Straße ausgesetzt sind, von den vielen nonverbalen Demütigungen, davon, wie sie mit Müll beworfen werden, und von den tätlichen Übergriffen.
»Abgesehen von den Demonstrationen gibt es eigentlich keine öffentlichen Räume, in denen wir so sein können, wie wir wollen. Eine Disco gibt es noch, das ›Glamour‹, und das war es dann auch schon hier in der Hauptstadt. Ansonsten heißt es, stets vorsichtig zu sein«, erzählt Ivis »Sanery« und streicht sich ihre langen Haare aus dem Gesicht. »Vor allem wegen des Militärs und der Polizei auf den Straßen. Soldaten und Polizisten werden schließlich darauf gedrillt, alles zu hassen, was nicht überzogen männlich ist.« Beunruhigt schaut sie zum eisernen Tor des Präsidentenpalasts hinüber, wo die wachhabenden Polizisten verächtlich die bunte Menge auf dem Vorplatz betrachten und provozierend ihre Schlagstöcke gegen das Gitter knallen lassen. »Und trotzdem versuchen wir, uns nicht zu verstecken. Auch wenn der Putsch uns Armut und Gewalt gebracht hat, hat er uns doch auch stark gemacht und uns gezwungen, Stellung zu beziehen. Wir waren nie Teil der politischen Agenda. Aber jetzt sind wir Teil einer Bewegung«, sagt sie, auf einmal ihrer Sache sehr sicher.

»Die LGBT-Community hat für eine Revolution innerhalb der Revolution gesorgt«, bestätigt auch Fernando Reyes von der Gruppe Diversitätsbewegung im Widerstand, die sich Ende vorigen Jahres gründete. »Innerhalb der Widerstandsbewegung, die ja nun auch aus Menschen besteht, die in Honduras in einer machistischen, trans- und homophoben Gesellschaft aufgewachsen sind, werden Homosexuelle und Transpersonen heute als politische Subjekte wahrgenommen. Es herrscht ein unglaublicher Respekt.« Fernando Reyes sitzt im Café Cinefilia, einem Treffpunkt von Künstlern und Widerständischen, und einem der wenigen alternativen Orte in der Hauptstadt Tegucigalpa, in der es ansonsten nur Filialen von Fast-Food-Ketten gibt.
»Früher gab es diese Freiräume nicht«, erzählt Fernando weiter. »Da wurden nur Schwule und Transsexuelle akzeptiert, die sich im Kampf gegen Aids engagierten, man nahm die Kondome an, die sie verteilten, und das war es.« Gemeinsam mit seiner Kollegin Wendy Nuñez hat Reyes einen Dokumentarfilm über die transsexuelle Lebensrealität nach dem Putsch in den beiden großen honduranischen Städten, Tegucigalpa und San Pedro Sula, gedreht: »En mis tacones« (Auf meinen Highheels) heißt die Dokumentation, die mit Unterstützung der deutschen Friedrich-Ebert-Stiftung realisiert worden ist.
Weder Fernando noch Wendy stammen aus der Community, aber mittlerweile gehören sie dazu. »Du musst keine Transperson sein, um Transsexuelle zu unterstützen«, meint Fernando. Und doch gab es zunächst Vorbehalte. »Die Leute aus der Community sind in der Regel misstrauisch gegenüber Journalisten, und das mit gutem Grund. Nur zu oft führen diese Interviews unter einer angeblichen Menschenrechtsperspektive und veröffentlichen dann doch wieder nur skandalträchtige Geschichten, in denen ihre Gesprächspartnerinnen denunziert und bloßgestellt werden«, erzählt Fernando. »Wir haben den Film gemacht, weil uns das Thema am Herzen liegt. Wir hatten noch nicht einmal Geld für ein Mittagessen dabei. Das haben auch unsere Interviewpartnerinnen mitgekriegt.« Am härtesten seien die Konfrontationen zwischen den Zuhältern und der Polizei während der Filmaufnahmen gewesen, berichtet Reyes: »Die Gewalt gegen die transsexuelle Community wird im Allgemeinen als Normalität und nicht als Unrecht wahrgenommen.« Selbst die betroffenen Transfrauen hätten dies verinnerlicht: »Wenn sie von Freiern vergewaltigt werden, dann sehen sie das wohl als Strafe, etwa weil andere Transsexuelle sich gegenüber den Männern falsch verhalten haben.«
Der Film wurde erstmals auf dem zweiten Kongress der Transsexuellen in Honduras im November 2009 gezeigt und war ein großer Erfolg. Die Vorführung war gleichzeitig eine kollektive Erinnerung an die Opfer von Hassverbrechen, denn viele der Protagonistinnen des Films lebten zu diesem Zeitpunkt schon nicht mehr. Drei Tage nach der Ausstrahlung des Filmes wurde Bessy, eine der Protagonistinnen, vergewaltigt und bedroht. Und auch Wendy, die Kamera geführt hat, wird bis heute angefeindet. Sie erzählt, wie die Reifen ihres Autos mehrmals zerstochen worden seien, irgendwann funktionierten die Bremsen nicht mehr. »Wenn es nicht so häufig passieren würde, würde ich denken, es sei Zufall«, sagt sie. Vor einer Woche wurde ihr das Auto schließlich gestohlen. Die Polizei fand den zu Schrott gefahrenen Wagen wieder. »Jetzt habe ich kein Auto mehr und irgendjemand weiß, dass ich abends zu Fuß nach Hause muss.«
Schon lange wohnt die junge Frau nicht mehr bei ihrer Familie. Dort war sie weggezogen, als die ersten Drohanrufe kamen, um ihre Angehörigen nicht zu gefährden. Jetzt versucht Wendy, jede Nacht bei anderen Freunden unterzukommen. »Wer hat hier von Angst gesprochen?«, steht auf ihrem T-Shirt. Das ist das Motto der Widerstandsbewegung in Honduras, die mit Härte bekämpft wird, die jedoch ihre Existenz angesichts der Scheindemokratie unter Präsident Porfirio Lobo mehr denn je gerechtfertigt sieht.
»Die Putschisten gingen von dem honduranischen Sprichwort aus: Kein Skandal hält länger als sieben Tage«, sagt Jose Palacios, einer der Gründer der Diversitätsbewegung im Widerstand. »Sie haben gedacht, sobald Roberto Micheletti offiziell im Amt ist, habe sich der Protest erledigt. Das Gleiche hatten sich die alten Eliten nach Lobos Amtsantritt erhofft. Doch die Menschen haben sich politisiert und lassen sich nicht mehr einlullen.«
Zwischen der Machtübernahme der Rechtskonservativen – die den Anschluss an das Bündnis der Alba-Staaten rückgängig machte und die Bestrebungen, einen langfristigen sozialen Wandel in dem mittelamerikanischen Land zu initiieren, abrupt beendete – und der ausufernden Trans- und Homophobie im Land sieht Palacios deutliche Zusammenhänge. »Der Putsch hat einen religiösen Fanatismus zurück ins Land gebracht. Kardinal Oscar Rodriguez hielt nach dem Putsch eine Messe ab, in der er Micheletti dafür dankte, dass er das Land vor dem Teufel, sprich den Kommunisten, gerettet hat. Dieser Kardinal gibt sich international als Kämpfer für soziale Gerechtigkeit. Auch wenn er ein Salesianer ist, ist seine Nähe zu Opus Dei kaum zu verleugnen.«
Palacios genießt großes Ansehen in der honduranischen schwulen Community, die in den neunziger Jahren, wie in vielen anderen Ländern auch, stets für die Ausbreitung von Aids verantwortlich gemacht wurde. Er hält die wachsende Umtriebigkeit der Glaubensgemeinschaft im Land seit dem Putsch für sehr beunruhigend: »Viele aus der Regierungsriege des Präsidenten gehen aus dieser Gemeinschaft religiöser Fanatiker hervor.«

Der Glaubensorden Opus Dei wurde 1928 in Madrid gegründet, 1950 vom Vatikan bestätigt und 1982 offiziell anerkannt. Stets unterstützte der Orden rechte Regimes. Während des Spanischen Bürgerkriegs fanden seine Gründer, die Anhänger des Diktators Francisco Franco waren, ausgerechnet in der honduranischen Botschaft in Madrid Zuflucht. Offiziell ist Opus Dei jedoch erst seit 1980 in Honduras präsent, wo der Orden vor allem Eliteschulen gründete.
»Es ist eine Gemeinschaft, die arme Menschen ausschließt«, sagt Palacios. »Auf ihre Schulen dürfen nur Kinder aus wohlhabenden Familien, ein Kind aus einem ärmeren Viertel wird dort nicht zu finden sein. Ebenso wenig gibt es dort Scheidungskinder, denn Scheidung ist eine Sünde.« Der Putschpräsident Micheletti, Tegucigalpas Bürgermeister Ricardo Álvarez, der ebenfalls explizit den Putsch unterstützt hat, sowie der Kommunikationsunternehmer Antonio Tavel Otero führen den honduranischen Opus Dei an.
Auch Billy Joya ist Angehöriger des Opus Dei. Er war in den achtziger Jahren der Gründer der honduranischen Todesschwadronen, der Putschpräsident Micheletti setzte ihn erneut auf einen Staatsposten. Ob die auch unter dem jetzigen Präsidenten Lobo aktiven Todesschwadronen mit staatlichem Auftrag für die zahlreichen Morde an Transsexuellen verantwortlich zu machen sind oder ob es sich dabei um von Polizisten oder Freiern verübte transphobe Selbstjustiz handelt, bleibt unklar. Insgesamt 13 Morde hat es während Lobos Amtszeit bereits gegeben. Sieben Transsexuelle wurden in den vergangenen zwei Monaten gefoltert und zu Tode gequält, einige Leichen wurden geköpft und angezündet. Die honduranische Tageszeitung La Tribuna sprach von einer unerklärten »Todesstrafe«, die wohl nun an Transsexuellen vollzogen würde. »Transsexuelle werden im dreifachen Sinne stigmatisiert, aufgrund ihrer geschlechtlichen Identität, weil sie arm sind und weil sie in der Widerstandsbewegung organisiert sind«, sagt Palacios. »Die erste Transsexuelle wurde gleich nach dem Putsch mit einem Projektil ermordet, das nur das Militär benutzt. Sie sind als Angehörige des Widerstandes natürlich auch im Alltag am erkennbarsten.«
Nahezu alle Transsexuellen sind in Honduras gezwungen, in die Sexarbeit zu gehen, um zu überleben, da die Gesellschaft sie in anderen Bereichen nicht akzeptiert. Nachts alleine auf der Straße sind sie dabei natürlich sehr verletzlich. Heute gibt es mehr Sexarbeit als vor dem Putsch, da die Armut zugenommen hat. »Die wenigsten Transpersonen werden von ihren Familien unterstützt. Manchen ist sogar ein totes Kind lieber als ein Kind, das nicht der heterosexuellen Norm entspricht«, berichtet Palacios. »Das ist leider die Realität. Oftmals sind sexuelle Identität und Orientierung ein Grund für die Migration in eine andere Stadt oder sogar ins Ausland«, erzählt er. Viele Leute aus der Community hätten den Traum, »in einer anonymen Umgebung ihre eigene Identität ausleben zu können, dort, wo sie niemand kennt.«

Wer auch immer Transsexuelle in Honduras umbringt, die Täter können sich sicher sein, ohne Strafe davonzukommen. Die LGBT-Organisationen, die mit der Widerstandsbewegung stärker geworden sind, haben mit ihrem politischen Druck immerhin erreicht, dass zwei Sonderermittler eingesetzt wurden, die die Morde aufklären sollen. Doch die Oppositionellen bezweifeln, dass die Ermittler irgendetwas erreichen werden. Es besteht weder ein öffentliches noch ein politisches Interesse an einer Aufklärung dieser Hassverbrechen.
Nicht einmal in Fällen, die für Aufsehen sorgten, wie vor über einem Jahr die Ermordung von Walter Trochez, einem prominenten LGBT-Aktivisten und Menschenrechtler, gibt es Untersuchungsergebnisse. Die Staatsanwaltschaft flüchtete sich in Ausreden und brachte vor, Trochez sei wohl in den Drogenhandel verstrickt gewesen. »Eine unglaubliche Unterstellung«, konstatiert José Zambrano, der mit Walter in der Präventionsarbeit für Menschen mit HIV engagiert war. »Diese Arbeit war für viele von uns ein Ansatzpunkt, sich zu organisieren. Doch im Endeffekt ist der Kampf für unsere Rechte viel fundamentaler«, sagt Zambrano bitter. »Die Morde dürfen nicht weitergehen, wir müssen unsere Forderungen nun auf eine internationale Ebene bringen, denn hier passiert gar nichts.«
Die Community ist heute wieder auf der Straße. Mitten im Zentrum, vor dem Kaufhaus La Roche, wo Walter Trochez am 13. Dezember 2009 durch einen Schuss getötet wurde. »Wir wollen Gerechtigkeit für Deborah, Zaira, José«, sagen die Demonstrantinnen. »Walter Trochez vive, la lucha sigue« (Walter Trochez lebt, der Kampf geht weiter), klingt es durch den Fahrzeuglärm des Abendverkehrs im Zentrum. Eine lange Schlange von Menschen steht in der einbrechenden Dunkelheit für die Sammeltaxis an, die vom Zentrum aus in die verschiedenen Viertel fahren. Unter den Fikusbäumen mit ihren dicken, knorrigen Stämmen haben sich Menschen mit Regenbogenfahnen zu einer kleinen Gedenkveranstaltung versammelt. Junge Männer stehen Arm in Arm, tragen elegante Hüte und Tücher, eine junge Frau mit zurückgegelten, gelockten Haaren starrt in die Flammen der Kerzen, die sie zuvor angezündet hat. Viele junge Leute sind versammelt, aber auch einige ältere Frauen, offensichtlich Mütter und Großmütter von Ermordeten.
Auch Madelin, Sanery und Lindsay sind heute wieder dabei und überragen auf ihren Highheels die meisten der Anwesenden. Ihren nach der Kundgebung bevorstehenden Nachhauseweg haben sie bereits sorgfältig geplant und gemeinsam abgesprochen.