Über den Revisionsprozess gegen einen Polizeiarzt

Aus Mangel an Erfahrung

Im Jahr 2004 starb Laya Condé im Bremer Polizeipräsidium. Der Arzt, der dem Mann aus Sierra Leone damals zwangsweise ein Brechmittel verabreichte und 2008 freigesprochen wurde, steht nun erneut wegen des Todesfalls vor Gericht.

Beim letzten Mal konnte er das Gericht als freier Mann verlassen. Nun musste Igor V., ein ehemaliger Polizeiarzt aus Bremen, wieder als Angeklagter erscheinen. Am Dienstag begann am Landgericht Bremen die Revisionsverhandlung gegen V., dem vorgeworfen wird, den Sierra-Leoner Laya Condé im Dezember 2004 fahrlässig getötet zu haben (Jungle World 4/05).
V. hatte Condé im Bremer Polizeipräsidium stundenlang zwangsweise Brechmittel und Wasser eingeflößt, weil Polizisten den Mann aus ­Sierra Leone angeblich dabei beobachtet hatten, wie er Kokainkügelchen verschluckt hatte. V. verabreichte ihm die Flüssigkeit über eine Nasensonde. Doch statt in den Magen lief offenbar auch Wasser in die Lunge. Der 35jährige fiel ins Koma und starb wenige Tage später.

Die Staatsanwaltschaft stützte ihre Anklage im ersten Prozess auf das Gutachten zweier Sachverständiger. Demnach war Condé »still ertrunken«. Zwei weitere Gutachter bestätigten diese Diagnose. Die Verteidigung zog allerdings vier weitere Sachverständige hinzu. Diese behaupteten, die Todesursache sei ein »toxischer Herzmuskelschaden« gewesen – eine krankhaft verdickte Herzwand habe das bei Condé festgestellte Lungenödem verursacht. Diese Ansicht wurde unter anderem von den gleichen Medizinern vertreten, die im Fall des bundesweit ersten Toten nach ­einem Brechmitteleinsatz, des Nigerianers Achidi John in Hamburg, mit dem gleichen Argument – einem Herzfehler – eine Ärztin entlastet hatten.
In seiner Urteilsbegründung sagte der Kammervorsitzende damals, V. habe »objektiv gegen seine Sorgfaltspflicht verstoßen«, etwa bei der Erst­untersuchung Condés. Auch hätten weder V. noch die Polizisten vor der Maßnahme einen Dolmetscher oder einen Richter gerufen. Condés Zustand war während der etwa zweistündigen Maßnahme so kritisch geworden, dass ein Notarzt hinzugerufen werden musste. Doch nachdem das Rettungsteam Condé wieder stabilisiert hatte, flößte V. ihm weiter Wasser ein.
Zudem sei es ein »organisatorischer Mangel gewesen«, dass ein Arzt auf dem Ausbildungsstand von V. das Brechmittel verabreicht habe. Dieser »organisatorische Mangel« dürfte dem Leiter des rechtsmedizinischen Instituts der Bremer St.-Jürgen-Klinik, dem Pathologen Michael Birkholz, zuzuschreiben sein. Birkholz war seinerzeit der Leiter des ärztlichen Beweissicherungsdienstes. Doch er konnte »keine fachlichen Fehler erkennen«. Dass V. die Brechmittelverabreichung so lange fortsetzte, bis Condé ins Koma fiel, sei »kein eigener Antrieb« gewesen, sondern habe mit seiner »obrigkeitsstaatlichen Sozialisation in Kasachstan« zu tun, sagte Birkholz damals. Das Gericht sprach V. im Dezember 2008 frei – wegen »mangelnder Ausbildung und Erfahrung« (Jungle World 50/08). Doch im April 2010 gab der Bundesgerichtshof (BGH) in Leipzig einem Revisionsantrag statt und bewertete den Fall völlig anders als die Bremer Richter. Der BGH sprach von einem »menschenunwürdigen« Umgang mit dem Festgenommenen.
In der Revisionsverhandlung wird es im Gericht überschaubar zugehen – die Juristen dürften weitgehend unter sich bleiben, denn es werden wohl keine neuen Sachverständigen bestellt. Stattdessen sollen die alten Gutachten wieder hervorgeholt und »neu bewertet« werden. Das Gericht hat vorgeschlagen, die »Feststellungen zum objektiven Tatablauf« in der Nacht des 26. Dezember 2004 beizubehalten. »Ich gehe davon aus, dass wir keine Zeugen hören, sondern relativ schnell zu der Frage der Ursächlichkeit des medizinischen Handelns für die Todesursache vorstoßen werden«, sagt Elke Maleika, die Anwältin der Familie des Toten.
Sie ist als Vertreterin der Nebenkläger dabei auf sich allein gestellt. »In der jetzigen Hauptverhandlung werden keine Angehörigen anwesend sein«, sagt sie. Die Mutter könne sich eine Anreise nicht leisten. Und der Bruder des Toten, Namantjan Condé, lebt ebenfalls nicht mehr. Er beging aus ungeklärten Gründen vor gut einem Jahr in Belgien Selbstmord.