Kommentiert die Guttenberg-Debatte

Ehrlichkeit und harte Arbeit

Sowohl die Guttenberg-Anhänger als auch die Guttenberg-Gegner berufen sich auf deutsche Tugenden. Über das Verhältnis von Wissenschaft und Politik wird daher gar nicht erst diskutiert.

Als gälte es in Deutschland keine anderen »Hetzjagden« zu verhindern, empören sich die Anhänger von Karl-Theodor zu Guttenberg, der ehemalige Verteidigungsminister sei das Opfer einer solchen. Gegen wissenschaftliche Mindeststandards werden die Macherqualitäten des Politikers und antiintellektuelle Ressentiments ins Feld geführt. Guttenberg werden die deutschen Tugenden der harten Arbeit und der bodenständigen Ehrlichkeit zugeschrieben, obwohl sein Weg zum Rücktritt abstrus lang war. Das kulturindustrielle Gedächtnis erweist sich als vergesslich und selektiv: Guttenberg war immer schon das Opfer seiner Neider, und gleichzeitig, so weiß es die Inszenierung, immer schon die Lichtgestalt der Deutschen. Demokratie ist, wenn der Bundestag ein einziges großes Dschungelcamp ist, über das das »Volk« per Bild-Umfrage abstimmen kann – nur lautet der Appell nicht: »Holt mich hier raus!«, sondern »Lasst mich hier drin!«
Dass dies nicht funktionierte, lag nicht zuletzt an der geballten Empörung der sogenannten wissenschaftlichen Welt. Im »offenen Brief von Doktoranden an die Bundeskanzlerin« ist von Ehrlichkeit die Rede, von Vertrauen, Aufrichtigkeit und Redlichkeit der Wissenschaft. Gerade da jedoch überschneiden sich die Argumentationen jener, die Guttenberg unterstützen, und jener, die seinen Rücktritt verlangten. Die Beschwörung deutscher Tugenden reduziert Wissenschaft auf korrekte Zitation und Ehrlichkeit, Promovieren auf harte und mühselige Arbeit. Im »offenen Brief« werden Wissenschaft und Forschung diffus als »Beitrag zur gesellschaftlichen Entwicklung« bezeichnet. Welche gesellschaftliche Entwicklung hier gemeint sein könnte, wird nicht präzisiert. Im Rahmen von Drittmittelanträgen wird der Imperativ an die Wissenschaft derweil immer deutlicher: konkrete Ratschläge, Anwendungsbezüge und Handwerkstechniken, am besten unmittelbar ökonomisierbares Wissen sollen produziert werden.
Das Ideal der Wissenschaft als Ort selbstbestimmter Forschung, in ihren besten Momenten der Wahrheit verpflichtet, war zwar stets prekär und immer auch Ideologie. Doch je mehr die Universitäten als Wirtschaftsunternehmen funktionieren sollen, umso weniger erwünscht scheint diese Ideologie. Die Umstrukturierung der Studiengänge, das aus dem Gleichgewicht geratene Verhältnis von Forschung und Lehre, die immer prekäreren universitären Arbeitsbedingungen zeugen davon, dass Sachhaltiges immer mehr angeblichen Sachzwängen geopfert wird. Während diese Entwicklungen weitgehend von Protesten unbehelligt bleiben, lässt die Beschwörung von Ehrlichkeit und Anstand Zehntausende Promovierende, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zusammenstehen. Dabei wäre die öffentliche Diskussion um das Verhältnis von Politik und Wissenschaft, auf deren Trennung die Guttenberg-Unterstützer und -Unterstützerinnen beharren, eine Gelegenheit, sich jenseits von Verwertbarkeit und richtigen Handwerkstechniken über Inhalte zu verständigen.