Die Verhaftung von zwei Symbolfiguren der iranischen Opposition

Hier riecht es nicht nach Tränengas

Das iranische Regime leugnet, dass es im Land Proteste gibt. Doch das Verschwinden zweier Oppositionsführer offenbart die Nervosität der Machthaber.

Wen irritieren die Ereignisse im Nahen Osten nicht? Der neue iranische Außenminister Ali Akbar Salehi, eines der wenigen Mitglieder der Regierung Mahmoud Ahmedinejads, das in Wortwahl und Habitus international präsentabel ist, sagte: »Wir glauben, das ist ein authentisches Ereignis, die Menschen sind aufgestanden, um für ihre Rechte zu kämpfen, aber wir haben nie gedacht, die Dimension der Ereignisse würde so groß sein; wir sind überrascht.« Nicht überraschend war Salehis Behauptung, dass es in der Islamischen Republik Iran zu ähnlichen Ereignissen wie in Libyen oder Ägypten nicht kommen könne. Schließlich seien Volk und Regierung im Iran einig, und die Regierung sei aus dem Volk hervor­gegangen. Wer nicht dieser Meinung ist, so wird man diesen Gedankengang im Sinne der iranischen Propaganda fortsetzen dürfen, ist ein Aufrührer und verschwindet im Gefängnis.
Das iranische Regime ergeht sich seit dem Beginn der arabischen Revolten in aufdringlichen Jubelrufen, man betont, wie wichtig der Einfluss der Revolution von 1979 sei. Was hätten die Machthaber auch sonst dazu sagen können? Diese Behauptung hat jedoch Folgen, einmal geäußert, muss man sie weiter vertreten. Dabei stören die realen Geschehnisse zunehmend die staatstragende Interpretation.
So hat der religiöse Führer Ali Khamenei jüngst wieder das »islamische Erwachen im Nahen Osten und Nordafrika« gepriesen, aber was ihn tatsächlich umtreibt, lässt die demonstrative Berichterstattung der Medien über seinen sechsstündigen Besuch im Geheimdienstministerium erahnen. Sakrosankt ist Khameneis Status de facto längst nicht mehr, an den drei Demonstrationstagen, die seit Februar im Iran stattgefunden haben, waren barsche Parolen gegen den Staatschef zu hören. Dabei offenbart nichts so sehr die Unsicherheit des Regimes gegenüber den bisher meist jungen und studentischen Protestierenden wie der Umstand, dass man die Unruhen krampfhaft zu verschweigen versucht. Was dann zu propagandistisch absurden Situationen führt, die einmal mehr zeigen, wie nervös die Machthaber sind.
So sagte der Teheraner Generalstaatsanwalt Abbas Jafari Dolatabadi, einer der Hauptverantwortlichen für die Verfolgung von Oppositionellen, es habe am 1. März keine Verhaftungen von Aufrührern gegeben. Wo es keine Demonstrationen gegeben hat, kann es auch keine verhafteten Demonstranten geben. Man habe keine Berichte über konterrevolutionäre Aktionen erhalten, sagte Dolatabadi, nur wenige Leute hätten versucht, den Frieden zu stören. Das Tränengas, die unübersehbare Präsenz der Sicherheitskräfte und die dazwischen hin- und herrennenden Menschengruppen – alles nur eine Fiktion.
Auch im Iran hat sich seit dem Ausbruch der arabischen Revolte etwas bewegt. Dass wieder auf den Straßen demonstriert wird, ist dabei nur die sichtbare Seite. Die offensichtlich maßgeblich von Studenten getragenen Proteste der »Grünen Bewegung« haben die Stabilität des Regimes bisher nicht erschüttern können.
Doch das Regime sah sich gezwungen, etwas zu tun, was es zuvor vermieden hatte. Die Symbolfiguren der Grünen Bewegung, die beiden ehemaligen Präsidentschaftskandidaten Mir Hussein Mousavi und Mehdi Karroubi, sind mitsamt ihren Ehefrauen verhaftet worden. Die Machthaber präsentieren immer noch bizarre Ausflüchte, um diese Verhaftungen nicht zugeben zu müssen. Mal heißt es, die beiden Politiker und ihre Ehefrauen seien weiterhin nur unter Hausarrest, dann tauchen wieder Gerüchte auf, sie seien in ein »sicheres Haus« verbracht worden. Tatsächlich aber sind Mousavi und Karroubi verschwunden.

Die Opposition will nun für die Freilassung der beiden Politiker demonstrieren, doch ihr Verschwinden zwingt auch alle Fraktionen des Establishments zu einer Stellungnahme. Seit dem Beginn der Proteste gegen den Wahlbetrug vor anderthalb Jahren waren die innenpolitischen Verhältnisse und die Konfrontationslinien statisch. Plötzlich fehlen zwei Politiker, und die, die noch da sind, müssen sich ernsthaft fragen, wie lange sie das noch sein werden. So muss Hashemi Rafsanjani, ein altgedienter Repräsentant der Islamischen Republik, nun um sein politisches Überleben kämpfen. An seiner Machtposition hängen ein Clan, umfassende Klientelverbindungen und ein Wirtschaftsimperium. Rafsanjani repräsentiert die Fraktion des Establishments, die sich das Kokettieren mit Reformbemühungen zumindest offengehalten hat. Er und seine Familie waren aufgrund seiner verbliebenen Ämter bislang unangreifbar.
Doch am Dienstag wurde der Vorsitzende des Expertenrats gewählt. Dies war bislang Rafsanjanis wichtigstes Amt. Die Fraktion Ahmadinejads stellte einen Gegenkandidaten auf, kurz vor der Wahl verzichtete Rafsanjani auf eine weitere Amtszeit. Angeblich will er eine Spaltung vermeiden, er warnte vor »sehr ernsthaften« Meinungsverschiedenheite«.

Ein Zeichen dafür, wie weit der Zerfall des Establishments fortgeschritten ist, waren die Angriffe auf Faezeh Hashemi, Rafsanjanis Tocher, die am deutlichsten ihre Sympathie für die »Grüne Bewegung« geäußert hat. Sie wurde letzthin, ­öffentlichkeitswirksam per Youtube-Video dokumentiert, von Anhängern Ahmadinejads vulgär beschimpft, im Parlament tauchte die Forderung auf, sie als »Aufrührerin« zu verhaften.
Es sieht so aus, als ob nun die Phase käme, in der auch hohe Amtsträger des Establishments nicht mehr auf ihre Unversehrtheit zählen können. Die Vorbereitungen für einen möglichen Prozess gegen Mousavi und Karroubi scheinen begonnen zu haben, die beiden sollen wohl in Zusammenhang mit einer »Verschwörung« rund um die erste der jüngsten Demonstrationen gebracht werden. Ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss will nämlich herausgefunden haben, dass diese Demonstration, zu der die beiden Politiker aufgerufen hatten, von den Israelis initiiert worden sei. Das hätten sich Mousavi, der in den achtziger Jahren Premierminister war, und Karroubi, einst ein Protegé Khomeinis, wohl auch nie träumen lassen.