Die Bundesregierung und die libysche Revolte

Abwartende und Kriegstreiber

Wie hältst du es mit der Flugverbotszone? Der Umgang mit der libyschen Revolte gegen Muammar al-Gaddafi sorgt für Streit.

Solchen Beifall gibt es selten für Angela Merkel. Hugo Chávez, der Präsident Venezuelas und ein Freund des libyschen Diktators Muammar al-Gaddafi, lobte die deutsche Kanzlerin. »Sie hat gesagt, dass sie mit einer Invasion in Libyen nicht einverstanden ist«, sagte Chávez am Sonntag in seiner wöchentlichen Fernsehshow »Aló Presidente«. 2009 hatte er Gaddafi »einen der größten Staatsmänner des Jahrhunderts« genannt.

In der vergangenen Woche hatten CDU-Politiker wie der Abgeordnete Philipp Mißfelder einen Einsatz der Bundeswehr zur Durchsetzung einer Flugverbotszone über Libyen gefordert. »Deutschland sollte der Einrichtung einer solchen Zone zustimmen«, sagte der außenpolitische Sprecher der Union. »Wenn dies beschlossen ist, wird sich Deutschland als Sicherheitsratsmitglied seiner Verantwortung nicht entziehen können.« Doch Merkel ist anderer Meinung als Mißfelder und die Regierungen Frankreichs und Großbritanniens. »Eine Flugverbotszone ist ein militärisches Eingreifen«, sagte sie am Samstag auf einer Veranstaltung der rheinland-pfälzischen CDU. »Ich gehöre da zu den Abwartenden.« Diese Ansicht vertrat auch Außenminister Guido Westerwelle auf dem EU-Sondergipfel in Brüssel am Freitag voriger Woche.
Die Kanzlerin und der Außenminister sind sich einig. Doch während die Truppen Gaddafis auf dem Vormarsch sind und niemand weiß, wie viele Tote auf Seiten der in die Defensive geratenen Rebellen zu beklagen sind, sorgt die Frage, wie man sich zum libyschen Diktator und den Vorgängen in seinem Land verhalten soll, in Deutschland für heftigen Streit. Am vergangenen Donnerstag wurde in der Linkspartei der Konflikt offenkundig. Das EU-Parlament hatte sich für die Einrichtung einer Flugverbotszone über Libyen ausgesprochen, wie es auch die Arabische Liga gefordert hatte. Den Antrag dazu hatte auch der Fraktionsvorsitzende der EU-Linken, Lothar Bisky, eingebracht. In der Partei provozierte das einen Eklat. Die Kommunistische Plattform (KPF) warf Bisky »Zustimmung zu einem möglichen Krieg der Nato« vor. »Wir nehmen deinen Alleingang sehr ernst«, schrieb ihm die KPF. »Ich bedauere die Annahme dieser Resolution zutiefst. Sie heißt nichts anderes, als einen Krieg führen zu wollen«, sagte auch Biskys Fraktionskollegin Sabine Lösing. Bisky beteuerte, er sei trotz seines Votums im Parlament »gegen jede Militäraktion«. In einem Kommentar der parteinahen Tageszeitung Junge Welt hieß es daraufhin, ihm sei wie »diversen Linkspolitikern kein Trick zu schmutzig, den sie zur Täuschung ihrer Wähler nicht anwenden würden, um die Antikriegsposition der Linken aufzuweichen«.
Auch dem Vorsitzenden der europäischen Grünen, Daniel Cohn-Bendit, wird Kriegstreiberei vorgeworfen. »Es sieht so aus, als ob sich Gaddafis Truppen durchsetzen und blutige Rache an der libyschen Revolution üben werden«, hatte Cohn-Bendit in einem Kommentar für die Taz geschrieben. »Irgendwann, nach einer Schamfrist, werden deutsche Außenminister, ob Westerwelle, Trittin oder Guttenberg, ihre Aufwartung in Tripolis machen.« Die EU-Kommission bereite »wahrscheinlich jetzt schon die Wiederaufnahme der Assoziationsverhandlungen vor, um mit dem smarten Sohn Gaddafis die Rückführung von Flüchtlingen zu organisieren«. Die Antwort auf diese Ausführungen war ebenfalls in der Taz zu lesen. Cohn-Bendit »liebt Militärinterventionen, sofern sie in imperialistischem Interesse liegen«, hielt ihm die ehemalige Grüne Jutta Ditfurth vor. Es wäre »nicht der erste Krieg«, in den der »grüne Agitator andere für sich ziehen lässt«.
Streit gab es auch im Bundestag. Linke und Grüne kritisierten, dass die Bundeswehr zur Rettung deutscher Staatsbürger in einer geheimen Kommandoaktion nach Libyen eingedrungen war, ohne die Zustimmung des Parlaments eingeholt zu haben. Bei der »Operation Pegasus« hatten deutsche Fallschirmjäger vor zwei Wochen 132 Ausländer, darunter 22 Deutsche, nach Kreta ausgeflogen. »Die Regierung kann nicht so tun, als hätte das mit dem Bundestag nichts zu tun«, sagte der Grünen-Obmann im Verteidigungsausschuss, Omid Nouripour. Nach dem Parlamentsbeteiligungsgesetz muss jeder bewaffnete Einsatz der Bundeswehr im Ausland vom Bundestag abgesegnet werden.
Außenminister Westerwelle hatte alle Fraktionsvorsitzenden informell über die Operation informiert. Eine förmliche Zustimmung sei nicht nötig gewesen, weil es sich nur um einen »gesicherten Evakuierungseinsatz mit humanitärer Zielsetzung« gehandelt habe, befand das Auswärtige Amt. Der Rechtsexperte der Linkspartei, Wolfgang Neskovic, nannte dies eine »kuriose Rechtsauffassung«. Wann immer ein Rettungseinsatz glimpflich ausgehe, könne die Regierung auf diese Weise ohne das Parlament handeln. »Wenn es aber Schüsse oder auch Tote gibt, dann sollen die Parlamentarier im Nachhinein dafür ihren Kopf hinhalten.« Nun erwägt Neskovic eine Klage beim Bundesverfassungsgericht.
Auch außerhalb der Parlamente regt sich Widerstand gegen ein militärisches Vorgehen. Etwa 400 Menschen demonstrierten am Samstag in Bremen unter dem Motto »Freiheit statt Frontex«. Ein arabischer Sprecher des »Solidaritäts-Komitees Revolutionen 2011« lehnte dabei ausländische Militäraktionen gegen Gaddafi ab. Dies gelte ausdrücklich auch für die Durchsetzung einer Flugverbotszone. »Das wäre der erste Schritt zu einem langfristigen Militäreinsatz. Der Westen hat Gaddafi jahrelang gestützt und aufgerüstet. Er kann jetzt nicht mehr glaubwürdig an der Seite des libyschen Volkes stehen.« Die nötige Solidarität müsse »von unten« kommen.

Selbstverständlich wurden in der Vergangenheit auch deutsche Waffen nach Libyen exportiert. Im September 2003 hatte Gaddafi eingewilligt, Entschädigungen in Millionenhöhe für die Hinterbliebenen der Opfer des Bombenanschlags von Lockerbie zu zahlen. Daraufhin waren die UN-Sanktionen gegen Libyen aufgehoben worden, Gaddafi konnte im Westen wieder Waffen kaufen. Zwischen 2005 und 2009 exportierte Deutschland daraufhin Rüstungsgüter für 83,5 Millionen Euro in das Land.
In einer Stellungnahme verwies die Bundesregierung darauf, dass diese Ausfuhren im Hinblick auf die »Aufrechterhaltung von Frieden, ­Sicherheit und Stabilität in der Region sehr gründlich geprüft worden« seien. Dass auch Anträge abgelehnt wurden, könne als »Zeichen einer sorgfältigen und differenzierenden Exportkontrollpolitik« betrachtet werden. Der stellvertretende Vorsitzende der Linksfraktion, Jan van Aken, nannte diese Aussagen einen »schlechten Witz«: Weniger als 0,1 Prozent aller Anträge auf Waffenexporte nach Libyen seien abgelehnt worden. »Der Diktator Gaddafi hat von Deutschland wich­tige militärische Ausrüstung erhalten, mit der er jetzt gegen sein aufständisches Volk Krieg führen kann«, sagte er.
Angesichts der Lage in Libyen ließ Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) am Freitag insgesamt 193 Konten sperren, auf denen sich libysches Staatsvermögen befindet. Er vollstreckte damit einen Beschluss des EU-Ministerrats noch 48 Stunden vor dessen Inkrafttreten. »Die brutale Unterdrückung der libyschen Freiheitsbewegung kann sich nun nicht mehr aus Geldern finanzieren, die bei deutschen Banken liegen«, sagte Brüderle. Sein Vorschlag, auch die staatseigene libysche National Oil Corporation auf die EU-Embargo-Liste zu setzen und damit Gaddafis Einkünfte aus dem Ölgeschäft empfindlich zu schmälern, scheiterte am Veto Italiens. Der halbstaatliche italienische Energiekonzern Eni hat enge Kontakte mit Libyen.
Dass der libysche Staatsapparat etwa zehn Milliarden Euro auf deutschen Konten gehortet hat, davon allein zwei Milliarden bei der Bundesbank, hatte aber bislang keinen deutschen Regierungspolitiker gestört, obwohl Gaddafi auch vor der Revolte nicht gerade als sensibler und weichherziger Staatsmann bekannt war. Pleite ist der Diktator wegen der eingefrorenen Konten ohnehin wohl noch lange nicht. Dem Spiegel zufolge verfügt er über 160 Milliarden Euro Barreserven.