Chiara Volpato im Gespräch über Rassismus in der italienischen Politik und die Parallelen zum Faschismus

»Die Ähnlichkeit ist erschreckend«

Die Propaganda der italienischen Regierungspartei Lega Nord ist von Stereotypen aus der faschistischen Vergangenheit geprägt. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie der Fakultät für Psychologie der Universität Mailand-Bicocca, die die Bildsprache der »Rassenpolitik« des Faschismus mit der ausländerfeindlichen Wahlpropaganda der rechten Partei verglichen hat. Chiara Volpato hat das Forschungsprojekt geleitet.

Wie kamen Sie auf die Idee, faschistisches Propagandamaterial mit zeitgenössischen Wahlplakaten zu vergleichen?
Es fing damit an, dass wir in unserer Forschungsgruppe analysierten, mit welchen Stereotypen in der faschistischen Zeitschrift La Difesa della Razza (Die Verteidigung der Rasse) bestimmte Gruppen, vornehmlich Juden und Schwarze aus den afrikanischen Kolonien, stigmatisiert wurden. Die Zeitschrift erschien zwischen 1938 und 1943, also in jenen Jahren, in denen der italienische Faschismus in wüsten Hetzkampagnen zur Diskriminierung und Verfolgung von Juden aufrief. Als wir die Illustrationen in der Zeitschrift untersuchten, fiel uns auf, dass sich in der zeitgenössischen Propaganda die Zielgruppen teilweise verändert haben, die Strategien der Delegitimierung aber unverändert funktionieren. Heute richten sich die Vorurteile gegen Immigranten, doch die Bilder, mit denen die fremdenfeindliche Partei Lega Nord soziale Ressentiments weckt, ähneln jenen aus der Zeit des Faschismus.
Nach welchen Kriterien haben Sie die Darstellungen untersucht?
Wir haben Hunderte von Illustrationen aus La Difesa della Razza analysiert und acht Strategien der Stigmatisierung und Ausgrenzung unterschieden. Die extremste Art der Delegitimierung war die der Dehumanisierung, wenn also Juden als Insekten und Afrikaner als Affen dargestellt wurden. Am häufigsten ließ sich die Strategie nachweisen, die Zielgruppe durch stereotype Zuschreibungen bestimmter physischer Merkmale oder Charaktereigenschaften abzuwerten. Eine weitere Strategie bestand darin, die Anzahl der delegitimierten Personen zu übertreiben, um eine Gefahrensituation heraufzubeschwören, sodass in der Bevölkerung der Wunsch entstand, die Gruppe zurückzudrängen.
Und worin besteht die auffälligste Gemeinsamkeit mit der Propaganda der Lega Nord?
Wir hatten verhältnismäßig weniger Material zu Verfügung, haben uns aber alle Wahlplakate aus der Zeit zwischen 1999 und 2009 angeschaut. Wir konnten fast alle Mechanismen wiederfinden. Die größte Übereinstimmung gab es hinsichtlich der Strategie, die Anzahl der Immigranten zu übertreiben. Es gibt sehr viele Wahlplakate, die zwanghaft wiederholen, es gebe zu viele Einwanderer, die den Einheimischen den Platz wegnähmen.
Gibt es faschistische Motive, die auch für die Lega Nord tabu sind?
Wir haben keine Darstellung gefunden, mit der die Strategie der Dehumanisierung verfolgt würde. Vielleicht lässt sich das als Tabu interpretieren, allerdings verwenden viele Politiker der Lega in ihren Reden sehr wohl Ausdrücke, die auf eine Dehumanisierung zielen. Ich will noch einmal betonen, dass wir nur Bildmaterial verglichen haben und noch dazu nur offizielle Wahlplakate der Lega. Wenn man sich einschlägige Internetforen lokaler Lega-Anhänger anschaut, findet man härtere, auch dehumanisierende Darstellungen.
Hat sich die rassistische Hetze der Lega Nord parallel zu ihrem politischen Aufstieg verschärft?
Von einer Verschärfung kann man eigentlich nicht sprechen, der Rassismus der Lega war von Anfang an sehr heftig. Aber es lässt sich eine andere Art von Entwicklung erkennen: Zu Beginn war die Lega eine Regionalpartei, deren Hauptanliegen die separatistische Abspaltung des Nordens von Süditalien war. Erst seit die Partei an der nationalen Regierung beteiligt ist, steht die Immigrationspolitik im Vordergrund. Dabei zieht sie zwei unterschiedliche Register: Auf Regierungsebene versucht sie, gemäßigtere Töne anzuschlagen, anders als ihre lokalen Parteivertreter im Nordosten des Landes.
Ministerpräsident Silvio Berlusconi gefällt sich in der Pose des Diktators Mussolini. Warum haben Sie Ihre Analyse auf die Lega Nord beschränkt?
Wir haben uns für die Lega entschieden, weil bei ihr auf der Bildebene die Parallelen zum Faschismus am deutlichsten zu erkennen sind. In Berlusconis Partei »Volk der Freiheit« ist die Delegitimierung der Immigranten nicht so eindeutig, schon gar nicht im Bereich der Wahlplakate. In Berlusconis Sprache lässt sich dagegen eine Reihe von Ausdrücken nachweisen, die an den Faschismus erinnern. Auch hier muss man zwischen Bild- und Textmaterial unterscheiden. In den Berlusconi nahestehenden oder direkt von seiner Familie kontrollierten Tageszeitungen finden sich in den Schlagzeilen und Artikeln beispielsweise viele positive Bezüge auf Rassismus, afrikanische Einwanderer werden dort meist als »Neger« bezeichnet.
Wie erklären Sie sich den obsessiven Rückgriff auf die faschistische Bildsprache?
In Italien hat eine Rechte die Regierung übernommen, die es zwar in anderen Ländern auch gibt, die aber dort keine vergleichbaren Machtpositionen einnehmen konnte. Seltsamerweise hat die Europäische Union, anders als im Fall der frühen Wahlerfolge der österreichischen Rechtspartei von Jörg Haider, nie vehement gegen die Politik der Lega Nord protestiert.
Die Wiederbelebung faschistischer Motive erregte auch in Italien kaum Aufsehen.
Diesen Erfolg verdankt die Rechte ihrem Zugriff auf die Massenmedien, die in Italien bekanntlich zum größten Teil von Berlusconi kontrolliert werden. Kritik hat es schwer, sich Gehör zu verschaffen. Es gibt aber noch einen anderen Grund: Es hat in Italien keine Aufarbeitung des Faschismus stattgefunden, er wurde einfach verdrängt. Nach 40 Jahren ist diese unverarbeitete Vergangenheit zurückgekehrt. Weil sich Italien nie mit seiner Kolonialgeschichte auseinandergesetzt hat, werden die neu ankommenden afrikanischen Einwanderer nach dem alten Schema behandelt.
Die psychoanalytische Theorie zur Wiederkehr des Verdrängten geht davon aus, dass Abgewehrtes in verstellter Weise wiederkehrt. Ihre Gegenüberstellung des Propagandamaterials zeigt jedoch, dass die Motive oftmals unverändert aufgegriffen und wiederholt werden.
Ja, die Ähnlichkeit ist erschreckend, die meisten Italiener scheint sie dagegen nicht zu beeindrucken, sie bemerken sie gar nicht. Als ich meinen Studenten den Vergleich gezeigt habe, blieb ihnen vor Staunen der Mund offen stehen. Sie kannten das rassistische Propagandamaterial des Faschismus nicht, in der Schule hat man es ihnen nicht gezeigt. Die versäumte Aufarbeitung der Vergangenheit markiert eine Niederlage in der demokratischen Geschichte unseres Landes.
Auffallend ist, dass auch linke Karikaturisten mit faschistischen Stereotypen arbeiten, so wird in ihren Zeichnungen ein israelischer Politiker nicht selten als »ewiger Jude« diffamiert.
Die Karikatur arbeitet mit Übertreibungen, die verzerrte Hervorhebung bestimmter physischer Merkmale ist charakteristisch für sie. Die Karikatur ist sozusagen ein Konzentrat von Stereotypen. Es kommt auf den normativen Rahmen an, in dem sie erscheint, in Italien aber werden nicht einmal die Grenzen der »politischen Korrektheit« eingehalten, weder von der Rechten noch von der Linken.
Gibt es Untersuchungen darüber, ob die Plakate der Lega Nord auch eine mobilisierende Wirkung haben und zu rassistischen Übergriffen ermutigen?
Wir sind überzeugt davon, dass die Wahlplakate nicht nur die Stigmatisierung, sondern auch die Verfolgung der Immigranten zur Folge haben. Es gibt entsprechende Vorfälle, beispielsweise die Vertreibung der afrikanischen Erntearbeiter im kalabrischen Rosarno vor einem Jahr. Die Propaganda der Lega Nord wirkt mittlerweile überall in Italien. Damals zeigten sich sogar Strategien der Dehumanisierung. Die Bewohner Rosarnos beschimpften die Afrikaner offen als »Bestien«. Noch ein anderes Beispiel: Im vorigen Herbst wurde ein italienisches Fischerboot im Mittelmeer von einem libyschen Polizeischiff beschossen. Innenminister Roberto Maroni, einer der prominentesten Lega-Politiker, erklärte auf der Pressekon­ferenz, es sei ein Versehen gewesen, die libyschen Kollegen hätten den Kutter für ein Flüchtlingsboot gehalten. Dieser Satz erregte kein Aufsehen, obwohl er doch eindeutig die Botschaft beinhaltet, »illegale Einwanderer« könnten wie Freiwild abgeschossen werden.
Wie hat diese Jahrzehnte anhaltende Propaganda die italienische Gesellschaft verändert?
Auf Seiten der italienischen Jugendlichen im Alter zwischen 14 und 18 Jahren haben sich die rassistischen Vorurteile verfestigt. Andererseits wächst das Unbehagen unter den migrantischen Jugendlichen, die zwar in Italien geboren wurden, aber wie Ausländer behandelt werden. Sobald sie volljährig sind, müssen sie immer wieder die verschärften Vorgaben des Aufenthaltsrechts erfüllen. Viele dieser Jugendlichen wollen Italien lieber verlassen. Die Situation ist desaströs, Schuld daran trägt nicht nur die Rechte. Die Kirche hat zur Propaganda der Lega Nord größtenteils geschwiegen, die Wirtschaft hat sich zum Komplizen der rechten Politik gemacht und die Opposition, die Linke, ist in den letzten zwei Jahrzehnten sehr defensiv gewesen, sie hat der rassistischen Offensive der Rechten nichts entgegengesetzt.

Die Studie »Picturing the Other: Targets of Delegitimization across Time« erschien im »International Journal of Conflict and Violence«, Volume 4, No. 2 (2010). Der Artikel beinhaltet umfangreiches Bildmaterial und steht unter zum kostenlosen Download bereit.