Was kümmert mich der Dax

Zerstörer der Welten

»A nuclear error, but I have no fear/London is drowning – and I live by the river.« Auch Musikexperten haben den Text von »London Calling« (1979) nie ganz entschlüsseln können, vielleicht wusste Joe Strummer gar nicht so genau, was er uns mitteilen wollte. Es geht wohl um Menschen, die sich von beruhigenden Erklärungen ihrer Regierung auch dann noch einlullen lassen, wenn um sie herum Männer in Stahlenschutzanzügen herumlaufen. Die siebziger und achtziger Jahre gelten als die Epoche apokalyptischer Ängste. Es gab aber auch Menschen, die keine Angst hatten oder dies zumindest behaupteten. Die RAF schrieb 1982: »Unsere Haltung zur Perspektive nuklearer Vernichtung ist erstens, dass wir sie nicht fürchten, und zweitens, dass wir sie nur durch den revolutionären Krieg verhindern können und verhindern werden.« Die volkstümliche Version dieser Heldenpose bot die Bild-Zeitung nach der Atomkatastrophe von Tschernobyl in einem Interview mit einem Kleingärtner: »Das koch’ ich ab, das Atom.«
Auf solche einige Lichtjahre von der Realität entfernte Ansichten stoßen wir nun wieder. Die Anti-AKW-Bewegung und manche Grüne präsentieren sich in diesen Tagen nicht gerade geschmackssicher. Doch sollte man weit eher erwarten, dass all jene, die in den vergangenen Jahren keine Gelegenheit ausließen, sich über Umweltschützer, Bedenkenträger und andere »Gutmenschen« zu ereifern, die Gelegenheit nutzen, eine Weile den Mund zu halten. Stattdessen lesen wir bei der Achse des Guten, gepostet am 14. März: »Jetzt auf Deutsch: ›Warum ich über die Kernkraftwerke in Japan nicht beunruhigt bin‹.« Hans-Olaf Henkel, der ehemalige Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie, beantwortet der B.Z. die wirklich wichtigen Fragen: »Bekomme ich weiter Ersatzteile für Toyota und Mazda? Natürlich.« Deutsche Auto- und Pharmakonzerne werden von der Atomkatas­trophe profitieren. Vom »freien Markt« wird keine Pietät erwartet. Doch um die Atomkraftwerke loszuwerden, könnte er von Nutzen sein. Ohne staatliche Subventionen wäre kein einziges AKW in Betrieb genommen wurden. So ist die Haftpflicht im Katastrophenfall auf einen winzigen Bruchteil der Schadenssumme begrenzt. Man muss also die Betreiber nur verpflichten, eine Versicherung zu finden, die bereit ist, für den gesamten Schaden aufzukommen. Die zivile Nutzung der Atomkraft ist ein Abfallprodukt der Nuklearrüstung. In Tschernobyl wurde mindestens 100mal so viel Radioaktivität freigesetzt wie bei einer Atombombenexplosion, und in Japan könnte die Katastrophe vier, vielleicht sogar sechs Reaktoren betreffen. Die Verantwortlichen des Energiekonzerns Tepco und der japanischen Regierung haben daher ebenso gute Gründe wie Robert Oppenheimer beim ersten Atomversuch im Jahr 1945, sich einer Zeile aus dem hinduistischen Bhagavad-Gita zu erinnern: »Ich wurde der Tod, Zerstörer der Welten.«