Über den Kampf gegen die bösen »Gutmenschen«

Das wird man ja wohl noch sagen dürfen!

Von Carl Schmitt zu Thilo Sarrazin. Über den publizistischen Kampf gegen sogenannte Gutmenschen und die bösen Achtundsechziger.

Eine bemerkenswerte Konstante in der Publizistik apokalypti­scher Kulturkritik ist die Inszenierung des Sprechers als Opfer und Märtyrer. Der Eigenwahrnehmung als »Tabubrecher«, die gesellschaftlicher Ächtung oder gar Repressionen ausgesetzt seien, stehen die – durchaus auch finanziellen – Erfolge ihrer Bücher und die weite Verbreitung der meist diffusen Thesen entgegen. Das beginnt bereits im 19. Jahrhundert, in dem Autoren wie Paul de Lagarde und Julius Langbehn (»Der Rembrandtdeutsche«) das kulturelle Selbstver­ständnis des deutschen Bürgertums beeinflussten, sich selbst aber stets als Rufer in der Wüste inszenierten. Auch der zurück­gezogen als Privatgelehrter in München schreibende Oswald Spengler erfreute sich einer weltweiten Rezeption. Sie waren gefeierte Autoren, doch sie umgaben sich mit dem Schein der »kulturellen Verzweiflung« und wähnten sich auf einem ein­samen Opfergang zum Wohle der Nation. Auch ein Erfolgsau­tor wie Friedrich Sieburg verstand sich virtuos auf diese Rolle. Er stellte den Deutschen das Zeugnis aus, im Zweiten Weltkrieg wie die Juden Opfer der Geschichte geworden zu sein – in den fünfziger Jahren ein beliebtes Argument. Sieburg bezog das Opfertum aber auch ganz konkret auf seine Person, der ehe­malige Parvenü des Diplomatischen Dienstes, dem eine – mit Ausnahme eines kurzen Publikationsverbots durch die Alliier­ten – Wiederkehr an die Spitze der bundesrepublika­nischen Publizistik gelungen war, verkaufte sich selbst als Verfolgten. Nach dem Krieg behaup­tete er, selbst stets gefährdet zu sein, denn er »liebe eine lebhaf­te Diskussion über alles« und vergesse »im Feuer der Argumen­te«, mit wem er es zu tun habe: nämlich mit »einem Inhaber der tatsächlichen Macht«. Dass diese »Macht« nicht genau­er charakterisiert werden kann, gehört zur Struktur dieser Behauptung, die einlädt, an der Paranoia teilzuhaben und sich ebenfalls zum verfolgten Freigeist zu stilisieren. Jüngstes Beispiel für diese merkwürdige Aneignung des Op­ferstatus’ sind die Versuche, in Thilo Sarrazin einen Märtyrer der Meinungsfreiheit sehen zu wollen. Befördert wurde dieser Trend noch von der Debatte um eine mögliche Entlassung Sarrazins durch die Bundesbank, die durch seinen medienwirksamen Rücktritt weiter dramatisiert wurde. Denn auch der Autor gefiel sich in der Rolle des Verfolgten. In einem Jahresrückblick 2010 schrieb Sarrazin in der FAZ: »Die Bun­deskanzlerin (…) setzte mein Buch auf den Index, so wie es früher die Heilige Inquisition tat.« Zwar liegen zwischen der Äußerung Merkels, das Buch sei »nicht hilfreich«, und der unterstellten »Indizierung« Welten, doch war dies der vorherrschende Ton Sarrazins. Der Autor und seine Unterstützer in den Redaktionsstuben führten wochen­lang ein Theater auf, als seien sowohl das Buch als auch die Bild-Zeitung klandestin produzierte Kassiber eines versprengten Untergrunds. Angesichts der Umstände, dass das Buch »Deutschland schafft sich ab« auf Bitten eines der größten Verlagshäuser ge­schrieben wurde, ausführliche Textpassagen bereits vor dessen Veröffentlichung in Vorabdrucken sowohl im Boulevard als auch im seriöseren Journalismus zu lesen waren, der Autor seit dem Erscheinen des Buches wie kein zweiter die Schlagzeilen nicht nur der Feuilletons beherrschte und schließ­lich über Wochen die Debatten bestimmte, mutet diese Insze­nierung geradezu grotesk an. Den Gipfel dieser Kampagne stellte die Schlagzeile der Bild-Zeitung vom 4. September 2010 dar (»Das wird man ja wohl noch sagen dürfen«), die sich damit selbst als in einem mutigen Kampf für die Meinungsfreiheit stehend inszenierte. In dieser Rolle wartete Bild sogar mit einer Synthese aus Hochkultur und Boulevard auf: Armgard Seegers prägte in einem Gastbei­trag dieser Ausgabe, der den Titel »Wir wollen keine Sprechverbote« trug, die Alliteration, Migranten seien »fickrig, faul und fromm«. Da­mit stellte die Autorin, immerhin Leiterin des Literatur-Res­sorts beim ebenfalls dem Hause Springer zugehörigen Ham­burger Abendblatt und Gattin des Kulturkri­tikers Hellmuth Karasek, ihre Zugehörigkeit zur Nation der Dichter und Den­ker unter Beweis. Seegers präsentierte in ihrer Darstellung die in diesem Milieu typische Auslegung des Zensur­begriffs: »Die Tatsache, dass 600 Journalisten zur ersten Vorstellung von Thilo Sarrazins Buch kamen, dass diese Präsentation live im Fernsehen übertragen wurde, macht klar, dass es Sprechverbo­te bei uns gibt. Aber das gehört möglicherweise auch schon zu den Sprechverboten, auszusprechen, dass es sie gibt.« Neben der Bild-Zeitung meint auch der konservative Publizist Norbert Bolz, trotz der Omnipräsenz Sarrazins ein »Sprechverbot« ausmachen zu können. Auch die Junge Freiheit schmückte mehrfach ihre Titelseite mit Sarrazins Konterfei. Sie stilisierte den Sozialdemo­kraten zum verfolgten politischen Dissidenten und sah in den wochenlangen Diskussionen gar insgesamt ein »Diskursverbot« am Werk. Neben der offensichtlichen Rea­litätsverweigerung offenbart die Zeitung eine bedauerli­che diskurstheoretische Unkenntnis, sonst wüsste sie, dass sich Diskurse nicht verbieten lassen. Verbieten kann man eine Zei­tung, eine Partei oder Bücher, es lässt sich politische Zensur ausüben, auch wenn in diesem Fall der Begriff nicht angemessen ist. Diskurse dagegen sind ohnehin kaum verhinderbar. Auch ist zu beachten, dass solche Zwangs­maßnahmen zur Unterdrückung unliebsamer politischer Ansichten den Diskurs meist sogar aufwerten, zumindest aber sofort integriert werden, also selbst zu einem Teil des Diskur­ses werden. Sarrazins Buch jedoch war Gegenstand eines aus­gesprochenen Medienhypes, was nun einmal das Gegenteil von Zensur ist. Sonst selbst durchaus verbotsfreudige Organe wie Bild oder Junge Freiheit nutzten hier den Umstand, dass Sar­razins Thesen auf scharfe Kritik stießen, um den Zensurvorwurf zu lancieren. Kritik ist aber ein normaler Bestandteil ernsthafter Debatten und kann nicht mit Zensur gleichgesetzt werden. Das im Fall Sarrazin unterstellte »Diskursverbot« ist eine reine Propagandafloskel. Vielmehr lässt, wer die Gegen­argumente für Zensur hält, selbst den Wunsch durchblicken, diese verstummen zu lassen. In der Stilisierung Sarrazins zum Helden des offenen Wortes brach sich augenscheinlich ein autoritäres Bedürfnis Bahn. Hermann L. Gremliza brachte den diesem Geschrei um Sprechverbote innewohnenden Wunsch auf den Punkt: »Der Ruf nach Meinungsfreiheit ist der Ruf nach Zensur: Es gehört verboten, Sarrazins Rassen­kunde zu widersprechen.« Bestätigt wurde dies schließlich im äußerst rüden Ton, den der Autor gegenüber seinen Kriti­kern anschlug, so dass ihm Beobachter attestierten, er sei selbst nicht diskussionsfähig. Ähnliches spielte sich im Kontext der Debatte um Peter Slo­terdijks »anthropotechnische Wende« ab. In ihr bediente Karl-Heinz Bohrer ebenfalls das Pathos des Opfers und vergriff sich dabei deutlich im Ton. Nach der Publikation einer ausführli­chen Kritik eines Fachkollegen an Slo­terdijk schrieb der in Metapherntheorie durchaus bewanderte Bohrer in der FAZ gar von einem »Totschlagversuch des Frankfurter Philosophie­professors Axel Honneth an dem freien Geist Peter Sloterdijk«, von »Tötungsabsicht« und »Bestrafaktion«. Dabei ist er sich nicht zu schade, die Öffentlichkeit mit den persönlichen Moti­ven für seine Ausbrüche zu behelligen. Einmal in Rage mutiert er zum zeternden Kleinbürger beim Abfassen der Steuerer­klä­rung und schimpft über den »allmählich verkommenden Sozial­staat, der mich und viele andere um die Pfründe wohlverdienten finanziellen Zugewinns bringt, sei es, dass er die Hälfte der beträchtlichen Summen für akademische Auszeichnungen oder für Kulturpreise wieder abnimmt«. Es ist nicht verwunderlich, dass jemand, der Kritik für Mord und Totschlag nimmt, auch in der Steuer nur »die gezielte Bestrafung von Individuen« se­hen kann und in der FAZ, in Junkersprache verfallend, von »plebsfreundlicher Entrüstung« schreibt. Angesichts der klassisch-heroischen Haltung des nationalisti­schen Lagers ist eine Opfer-Inszenierung auf den ersten Blick irritierend. Sie hat aber teilweise ihre Vorläufer in der Weise, wie Rechtsradikale die Weimarer Republik als repressives Re­gime zu denunzieren wussten, wenn diese, was selten genug vorkam, versuchte, sich gegen Angriffe von rechts zur Wehr zu setzen. Als Beispiel sei hier auf die häufige Rede von Joseph Goebbels über Weimar als »Gummiknüppel-Republik« ver­wiesen. Auch mit der Klage über den Versailler Vertrag setzte man sich in die Situation des Angegriffenen. Wichtig für die Opfer-Rhetorik, zumal in Kreisen, in denen Joseph Goebbels keine zitierfähige Referenz darstellt, ist der nach dem Krieg von Carl Schmitt in die Diskussion eingeführte Begriff des »Par­tisanen«. Dessen defensive Pose wertet das imaginierte Opfer moralisch auf, so lässt sich der Anspruch auf moralische Überlegenheit mit dem klassischen Heroismus des Nationalisten ver­schmel­zen. Da sie die Akteure vom Vorwurf befreit, Aggressoren zu sein, ist sie besonders attraktiv. Aus Nationalisten werden Wi­der­stands­kämpfer gegen einen Okkupanten. Die vorgeb­liche Position des Verteidigers hat sich heute in rechten Kreisen durchgesetzt, sie steht für ihre Politik nach der Niederlage 1945. Schmitts »Partisan« weist große Ähnlichkeiten mit Ernst Jüngers Figur des »Waldgängers« auf, die ihren verdeckten Krieg ebenfalls neben der großen Hauptkampflinie führt. Vor allem aber orientiert sich Schmitt bei der Kon­struktion des Partisanen an den Heroen der Neuen Linken, den Revolutionären Mao Tse-tung und Ho Chi-minh in Asien so­wie Fidel Castro und Che Guevara in Lateinamerika. Dabei sei dahingestellt, ob dies zur Zeit der Niederschrift der »Theorie des Parti­sanen« eine Konzession Schmitts an den antiimperialistischen Zeitgeist war oder tatsächlich der Einschätzung entsprang, derartige Kleinkriegsoperationen könnten große Imperien wie die USA oder die UdSSR in Schwierigkeiten bringen. Ein nütz­licher Nebeneffekt dieser Vorbilder ist dabei sicherlich, dass sich heute mit Schmitt eine nationalistische Abwehr der Globalisierung als antikolonialer Kampf und daher als moralisch gerechtfertigt verkaufen lässt. Aus diesem Grund bemühen europäische Rechte seit einigen Jahren Carl Schmitt, wenn sie sich in einer Art Intifada gegen das Vordringen des »Amerika­nismus« vereinen. Zustatten kommen ihnen dabei die be­sonderen Charakteristika des Partisanen. Zu diesen zählt Schmitt dessen »Irregularität«, die »gesteigerte Mobilität«, seine »Intensität des politischen Engagements« und vor allem den »tellurischen Charakter«. Dieser »tellurische Charak­ter« des Partisanen besteht aus der »Verbindung mit dem Bo­den, mit der ­autochthonen Bevölkerung und der geographischen Eigenart des Landes«. Verlässt der Partisan seine Position, läuft er daher Gefahr, diesen taktischen Vorteil zu verlieren und zu »entorten«. Er wäre dann nichts Besonderes mehr und würde zum Teil des regulären großen Ganzen wer­den. Der »tellurische Charakter« setzt den Partisanen nicht nur in eine moralisch überlegene Position, sondern stärkt ihn auch in seinem Kampf. Diese von Carl Schmitt metaphysisch überhöhte Heimatnähe ist für den Partisanen ein besonderer Quell seiner Kraft. Gerade in Folge von Schmitt ist die Anwendung des Partisa­nenbegriffs längst nicht mehr nur auf den militärischen Bereich beschränkt. Vor allem die angeführte besondere politische Auf­ladung hat Partisanentum auch in anderen Formen der Aus­einandersetzung ermöglicht. Bemerkenswerterweise ist in Carl Schmitts Definition die diskursive Partisanen-Aktion bereits inbegriffen: »Partisan heißt auf deutsch: Parteigänger, einer, der mit einer Partei geht, und was das konkret bedeutet, ist zu verschiedenen Zeiten sehr verschieden, sowohl hinsichtlich der Partei oder der Front, mit der einer geht, wie auch hinsichtlich seines Mitgehens, Mitlaufens, Mitkämpfens und eventuell auch Mitgefangenwerdens. Es gibt kriegführende Parteien, aber auch Parteien des gerichtlichen Prozesses, Parteien der parlamentarischen Demokratie, Meinungs- und Aktionspar­teien usw. In der romanischen Sprache kann das Wort substan­tivisch und adjektivisch verwendet werden: im Französischen spricht man sogar vom partisan irgendeiner Meinung; kurz, aus einer ganz allgemeinen, vieldeutigen Bezeichnung wird plötzlich ein hochpolitisches Wort.« Eine Übertragung des Begriffs aus dem militärischen Feld in den Bereich der weltan­schaulichen Auseinandersetzung ist von Schmitt also nicht nur angelegt, sondern regelrecht intendiert. Schmitts Konzeption des »Partisanen« gibt zudem Hinweise darauf, welchen strategischen Gesetzen die taktischen Aktio­nen der Opfer-Inszenierung unterworfen sind. So machten die sich nach 1945 abzeichnenden Tendenzen für Carl Schmitt zunächst alle Parteien zu Partisanen. Innerhalb des Gleichge­wichts des Schreckens waren nunmehr fast ausschließlich Aktionen möglich, die die Merkmale des irregulären Kampfes aufwiesen, da die reguläre Kriegsführung mit der nuklearen Rüstung an ihre Grenzen gestoßen war. Auch wenn dieses Szenario nach dem Zusammenbruch der Warschauer Vertrags­staaten an sein Ende gekommen ist, so geht in den Köpfen der heutigen Rechten der Kalte Krieg durchaus weiter. An die Stelle der kommunistischen Gefahr sind dabei der westliche Liberalismus, die Globalisierungsmoderne und die Migration getreten. Diese Auseinandersetzung wird allerdings nicht als Detache­mentkrieg anstelle des erstarrten großen Krieges geführt, son­dern dient zur Vorbereitung des großen Schlages. Gemäß der Richtlinie, dass der Kleinkrieg der Partisanen im feindlichen Hinterland stets nur in Verbindung mit den regulär kämpfen­den Streitkräften erfolgreich sein kann, fungieren die Expo­nenten des Eliten-Diskurses gewissermaßen als kleinste kämp­fende Abteilung. Zu ihrer Taktik gehört es, die schwerfälligere Masse der Akteure vor sich herzutreiben: die Parteien, die Medien, die Öffentlichkeit. Sie können entweder den bekämpf­ten Gegner darstellen oder – besser noch – zu jenem Verbün­deten werden, der letztlich den Sieg einfährt, den die Nadelstiche der Partisanen befördern sollten. Die Schlagzeilen der Bild-Zeitung, die sich im Zuge der Sarrazin-Debatte zur Verteidigerin des Rechts auf freie Meinung aufwarf, stehen zu den Aussagen Sarrazins selbst gewissermaßen wie das regulä­re Heer zum Partisanen. Allerdings birgt das Vorgehen des Partisanen auch die Ge­fahr einer drastischen Eskalation. Gerade sein politischer Cha­rakter machen ein kalkulierbares Ende schwierig, im Gegen­satz zum regulären Soldaten, der nach Schmitts idealtypischem Entwurf nur emotionslos seine Pflicht erfüllt, kennt der Parti­san »wahre Feindschaft«: »Der moderne Partisan erwartet vom Feind weder Recht noch Gnade. Er hat sich von der konventionellen Feindschaft des gezähmten und gehegten Krieges abgewandt und in den Bereich einer anderen, wirklichen Feindschaft begeben, die sich durch Terror und Gegenterror bis zur Vernichtung steigert.« Dergestalt moralisch aufge­wertet ist die Figur des Partisanen bestens geeignet, den Gestus des Tabubruchs und Martyriums zu erklären, mit dem Diskutanten seit einiger Zeit in die öffentliche Diskussion eingreifen. Auch Thilo Sarrazin inszenierte sich als Aufbegehrender gegen eine repressive Übermacht. Sein Gegner war das Heer »der Beschwichtiger und Verharmloser«, die »Gutmenschen« und »Achtundsechziger«. Die Junge Freiheit pries ihn entsprechend als neuen Luther beim Anschlag seiner Thesen. Aus der teilweise drastischen Rhetorik der Auseinandersetzung um Sar­razin spricht eine gewaltige Projektion: Der den Geg­nern unter Verwendung blutiger Metaphern unterstellte Ver­nichtungswille lässt Rückschlüsse zu, wie man selbst mit dem Unterlegenen zu verfahren gedenkt. Sowohl für das ständestaatliche Ideal einer Führungselite als auch für die Angst vor einer »Vermassung« der Kultur ist die Annahme einer unterschiedlichen Wertigkeit von Menschen­gruppen grundlegend. In ihrem grundsätzlichen Beharren auf die Ungleichheit, im Sinne eines Rechts auf unterschiedliche Privilegien, nicht einer subjektiven Differenz, gehören sie da­her zweifellos auf die rechte Seite des politischen Feldes, im Gegensatz zu der seit der Aufklärung auf dem Gleichheitsge­danken aufbauenden politischen Linken. Die Befürwortung der sozialen Ungleichheit kollidiert dabei allerdings mit dem humanistisch-westlichen Menschenbild, das Werte wie Soli­darität, Mitgefühl und ein adäquates Sozialverhalten in den Mittelpunkt rückt. Daher gehört die trotzige Ablehnung jeder als Gefühlsduselei empfundenen Empathie zum Standardre­pertoire elitär orientierter Politik. Kaum eine Betrachtung heikler Themen kommt deshalb mehr ohne die Beschwörung des neuen nationalen Feindbildes aus: des »Gutmenschen«. Er gilt als Erbe der »Achtundsechziger«, sein Gespenst wan­dert durch die Onlineforen und Artikel von der Jungen Frei­heit bis zum Spiegel. Seine Figur ist komplementär zum Vor­wurf der Zensur konzipiert, als populäre Phantasmagorie ist der »Gutmensch« der Akteur gefühlter Repression. Aufgrund seiner nie näher spezifizierten Macht kann der Rassist nicht mehr ungestört sagen, »Neger« seien alle faul, der Antisemit fürchtet einen Ordnungsruf für seine Ansicht, dass Juden »schachern«, und selbst die Bemerkung, Homosexualität sei »widernatürlich«, kann wegen der Gutmenschen nur im Un­tergrund kursieren. Zur Unterdrückung des allgemeinen Men­schenrechts auf diskriminierende Sprache setzt der Gutmensch seine schwerste Waffe ein: die Kritik. Daher wird sein Wirken gerne mit dem »Dritten Reich« oder der DDR gleichgesetzt, die demzufolge ebenfalls äußerst kritikfreudig gewesen sein müs­sen. Auch Thilo Sarrazin kann nicht auf diese Feind­bestim­mung verzichten. Als Urheber des von ihm jüngst ermittelten Tatbestands nationalpolitischer Sorglosigkeit macht auch er die »Achtundsechziger« aus und bedient das Klischee des überbetulichen Sozialarbeiters, der seine Klientel verhätschelt, anstatt sie mit den harten Realitäten und Strafdrohungen zu konfrontieren. Natürlich steckt Sarrazin zufolge auch diese un­spe­zifisch bleibende Gruppe hinter der »Kampagne«, die er ausmacht: Lauthals beklagt er, dass »die sogenannten Gutmenschen über mich herfielen, als ich in einem Interview beiläufig erwähnte, dass das Tragen eines Pullovers helfen könne, Energiekosten zu sparen, da man dann weniger heizen müsse«. Wie alle hier aufgeführten Motive ist auch das Feindbild des »Gutmenschen« nicht neu. Doch zunächst beruht die Schmä­hung des naiven Moralisten mit dem Begriff des »Gutmen­schen« auf einem Missverständnis: Der Begriff fand seine Verbreitung durch das »Wörter­buch des Gutmenschen«. Von dieser Karriere ihrer Polemik hätten sich die Herausgeber der beiden Bände, der Verleger Klaus Bittermann und die Satiriker Gerhard Henschel und Wiglaf Droste, sicher nicht träumen lassen. Ziel der Bücher war die Kritik einer »moralisch korrekten Schaumsprache«, die als »Plapperjargon und Gesinnungssprache« einer Betrof­fenheitskultur emotio­nalisierter deutscher Linker in den acht­ziger Jahren die Analyse ersetzt hatte. Vorbild für die kommentierte Sammlung sinnentleerter Befindlichkeitsfloskeln war Gustave Flauberts »Wörterbuch der Gemeinplätze« aus dem 19. Jahrhundert. Das Ansinnen, anhand bestimmter, dem Leser mit Geschmack unerträglicher Sprachschöpfungen auf die gei­stige Verwirrung einer Zeit hinzuweisen, stand auch in der Tradition von Victor Klemperers »Lingua Tertii Imperii« oder dem »Wörterbuch des Unmenschen« aus dem Jahr 1957. Die meisten der Autorinnen und Autoren der Beiträge waren selbst ausgewiesene Linke und das Wörterbuch war vor allem ein Projekt der Selbstkritik. Primär ging es darum, eine denkfaul gewordene Linke aus ihrer geistigen Verfettung zu schrecken, indem man sie dessen bezichtigte, was ihre Vorväter am meisten gehasst hatten: des biederen Moralismus. Unter den Texten finden sich in den beiden Bänden genug Abrechnungen mit gerade jener neurechten Klientel, die sich nach einiger Zeit den Begriff des »Gutmenschen« selbst als Kampfbegriff aneig­nen sollte. So stellt der Eintrag des Wörterbuchs über die Phra­se von der »selbstbewussten Nation« fest: »Auch der Gut­mensch ist jetzt dort angekommen, wo er hingehört und wo er auch herkam, wenn man von ein paar peinlichen Ausnah­men, die von links kamen, absieht: beim allgemeinen nationa­len Herumpusten – einer Lieblingsbeschäftigung von Rech­ten.« Andere Einträge behandeln ebenso treffend das Zeitgeistgeplapper über »linke Lebenslügen« und angeblichen »deutschen Selbsthass«. Die Texte des »Wörterbuchs« wären für jene zu empfehlen, die jetzt den Begriff des »Gutmenschen« allzu leicht im Munde führen, da sie sich selbst darin als solche erkennen könnten. Doch wie so oft wird die notwendige Lek­türe nicht von jenen geleistet, die sie am nötigsten hätten. Daher ist ein »Gutmensch« ganz gegen die Intention der Au­toren heute jeder, der seine Zweifel daran hat, dass der Nie­dergang des Vaterlandes 1945 oder 1968 begann und heute von »den Ausländern« vollendet werde, der nicht der Ansicht ist, dass Deutsche wie Juden Opfer des Nationalsozialismus waren und gerade Deutschland aufgrund seiner besonderen Geschichte zu einer führenden Rolle unter den Nationen be­rufen sei. Damit wurden der Begriff und die Methode satirischer Sprachkritik von ganz anderen Kreisen adaptiert als zunächst vorgesehen. 1995 erschien Klaus Rainer Röhls »Deut­sches Phrasenlexikon«. Der Band sollte die Abrechnung des ehemaligen Softporno-Verlegers mit der »politisch korrekten« Sprache der Post-Achtundsechziger darstellen. Zum Zeitpunkt der Publikation des »Phrasenle­xikons« bewegte Röhl sich längst in den Kreisen der Neuen Rechten. Er war selbst Autor im Sammelband »Die selbstbe­wusste Nation«. Mit dessen Herausgebern Heimo Schwilk und Ulrich Schacht sowie dem ebenfalls darin vertretenen Historiker Rainer Zitelmann hatte er zum 8. Mai 1995 einen Aufruf initiiert, der sich dagegen verwahrte, die Kapitulation des »Dritten Reichs« 1945 als Befreiung zu werten. Sein »Phrasen­lexikon« bereitete die »Anti-PC«-Kampagne vor, mit der die Junge Freiheit ein Jahr später aufwarten sollte. Das heutige Lamento über die »Gutmenschen« und das angebliche Diktat der political correctness, das auch ein Leitmotiv Sarrazins und seiner Unterstützer darstellt, wurde also zunächst von eindeu­tig geschichtspolitisch interessierten Kreisen gepflegt, bis es den Mainstream erreichte. Es stellt die zeitgemäße Fortsetzung von Arnold Gehlens Angriffen auf die »Hypermoral« der Kritiker ehemaliger nationalsozialistischer Würdenträger dar. Der Paranoia vor einer political correctness und dem Begriff des »Gutmenschen« wohnt letztlich eine interes­sante Variante der Abwehraggression inne. Sie richtet sich gegen eine Position, die im Verdacht ethischer Überlegenheit steht, und pocht dabei regelrecht darauf, selbst nicht »gut« zu sein, also nunmehr ausschließlich im Partikularinteresse han­deln zu können. Bei genauerer Betrachtung reicht die Denunziation des »guten Menschen« als Prinzip lange zurück: Ein in vielerlei Hinsicht mit dem Fall Sarrazin vergleichbarer Aufruhr fand bereits gegen Ende des 19. Jahrhunderts aufgrund einer Publikation des preußischen Historikers Heinrich von Treitschke statt. Dieser veröffentlichte 1879 seinen Aufsatz »Unsere Aussichten« in den »Preußischen Jahrbüchern«. Treitschke konstruiert darin eine Bedrohung des Reichs durch osteuropäische Juden, die sich bereits mit der Frage nach der Assimilation von Einwanderern mischt: »(Ü)ber unsere Ostgrenze aber dringt Jahr für Jahr aus der unerschöpflichen polnischen Wiege eine Schar strebsamer hosenverkaufender Jünglinge herein, deren Kinder und Kindeskinder dereinst Deutschlands Börsen und Zeitungen beherrschen sollen; die Einwanderung wächst zusehends, und immer ernster wird die Frage, wie wir dies fremde Volkstum mit dem unseren ver­schmelzen können.« Neben diesen Ausführungen enthält Treitschkes Text bereits einige wohlfeile Angriffe auf Posi­tionen, die heute als »gutmenschlich« bezeichnet werden wür­den. So schreibt er: »Das erwachte Gewissen unseres Volkes wendet sich vornehmlich gegen die weichliche Philanthropie unseres Zeitalters.« Der Kontext dieser Einschätzung ist, dass ein zeitgenössisches Pamphlet, das sich gegen eine zu menschliche Behandlung von Sträflingen in den wilhelminischen Zuchthäusern aussprach, auf Kritik gestoßen war: Treitschkes Kommentar dazu ist verblüffend ähnlich zur Re­aktion der Verteidiger Sarrazins: »Warum ist diese streng sachlich gehaltene Schrift bereits durch Entrüstungsmeetings und grimmige Verachtungsresolutionen der radikalen Partei­en beantwortet worden? Weil die Helden der philanthropischen Phrase im Stillen fühlen, dass der tapfere Verfasser, ob­wohl seine Sätze im Einzelnen sich vielfach bestreiten lassen, im Wesentlichen doch nur ausspricht was Hunderttausende denken.« Mit der Geste, über Minderheiten schonungslos zu sagen, was andere aufgrund menschenfreundlicher Kon­ventionen nicht auszusprechen wagen, konnte man also schon im 19. Jahrhundert Furore machen. Kein halbes Jahrhundert später, im Ersten Weltkrieg, erfreu­te sich besonders die Gegenüberstellung von »Kultur« und »Zivilisation« großer Beliebtheit. Diese folgte einem ähnlichen Muster, da »Zivilisation« für einen verweichlichten Westen stand, der durch seine demokratisch-philanthropischen Ideen geschwächt und daher nicht kulturfähig sei. Bereits der Nationalismus des Kaiserreichs sah im Humanis­mus eine Bedrohung für die Substanz der nationalen Kultur der Deutschen. Thomas Mann schrieb in den »Betrachtungen eines Unpolitischen« über den Einfluss der Ideen westlicher Zivilisation: »Es handelt sich um die Politisierung, Literarisie­rung, Intellektualisierung, Radikalisierung Deutschlands, es gilt seine ›Vermensch­lichung‹ im lateinisch-politischen Sinne und seine Enthumanisierung im deutschen (…) es gilt, um das Lieblingswort, den Kriegs- und Jubelruf des Zivilisationslite­raten zu gebrauchen, die Demokratisierung Deutschlands, oder, um alles zusammenzufassen und auf den Generalnenner zu bringen: es gilt seine Entdeutschung (…) und an diesem Unfug soll ich teilhaben?« Auch für den heute virulenten Vorwurf der political correctness findet sich eine Entsprechung in den »Betrachtungen eines Unpolitischen«. Der imaginäre Lieblingsfeind Thomas Manns, der ausgiebig karikierte »Zivilisa­tions­­literat« (ein unverkennbar gegen seinen Bruder Heinrich gerichtetes Schimpfwort), denkt für ihn bereits »entente-kor­rekt«, was dem Vorwurf der »Vaterlandslosigkeit« ent­spricht, mit dem im Kaiserreich gerne die Sozialdemokratie bedacht wurde. Mit der heutigen Beschwörung des Feindbilds des »Gutmenschen« schließt sich der Kreis zur Krisenpublizi­stik der ersten Stunde, in der man sich noch offen zum Gegen­satz von »Deutschtum« und »Zivilisation« bekannte. In diesem Geiste brachte Arnold Gehlen 1969 ebenfalls ei­nige Volten zu Papier, die auf die Sozialdemokratie und die Studentenbewegung zielten und sich begrifflich erstaunlich nah am »Gutmenschen« befanden. »Der gute Mensch« ist das negative Leitmotiv in »Moral und Hypermoral« und versinnbild­licht die unter dem Einfluss der Frankfurter Schule kritisch gewordene Jugend. Deren Vorläufer als blauäugige Moralisten macht Gehlen bereits unter den frühen Stoikern der Antike aus. Von ihnen her nahm seiner Ansicht nach das Unglück seinen Lauf. Ihr »friedlicher Naturzustand« habe schon von dem griechischen Philosophen Zenon eine erste Politisierung erfahren, als dieser das Bild einer idealen Gesellschaft zeichne­te: »Wie eine friedlich weidende Herde lebten die Menschen in Eintracht, nur geleitet von dem Vernunftgesetz, denn ge­schriebene Gesetze brauchte man noch nicht. Es gab übrigens keinerlei Institu­tionen, keine Ehe, kein Privateigentum, natürlich auch keine Gerichte, denn es gab nur gute Menschen, auch standen Mann und Frau einander gleich, trugen auch äußerlich dieselbe Kleidung. Da haben wir den guten Menschen in des Wortes schlimmster Bedeutung.« (Paradoxerweise wird die immerhin auf dem Gedanken der Nächstenliebe gegründete christliche Kirche von Gehlen als konservative Institution dagegen besonders geschätzt.) Bemerkenswert ist allerdings der Positionswechsel, den Gehlens Vorwurf an die deut­sche Linke beinhaltet. Denn »Moral« war eigentlich keine Kategorie dieser Linken, sondern allenfalls Gegenstand mate­rialistischer Kritik. Ihre Entlarvung diente noch im 19. Jahr­hundert dem Nachweis, dass gesellschaftliche Interessen und Machtverhältnisse von kirchlicher, adeliger und bürgerlicher Seite stets eine metapolitische Absicherung in Form der Moral erhielten. Das Augenmerk der Linken galt zudem stets dem Nachweis der »Doppelmoral« jener, die die moralischen Wer­te wie eine Monstranz vor sich hertrugen, sie aber augen­scheinlich nur zur Wahrung ihrer Interessen pflegten. Als politische Größe war sie den sozialistischen Theoretikern daher zu weich und interessengeleitet und fand vor ihnen keine Gna­de. Karl Marx und Friedrich Engels spotteten dementspre­chend in »Die heilige Familie«: »Die Moral ist die Impuissance mise en action. So oft sie ein Laster bekämpft, unterliegt sie.« Angesichts der offensichtlichen bürgerlichen Doppel­moral war dieser Spott eine wirksame Waffe im politischen Kampf. In seiner Adaption dieser Moralismus-Kritik versuch­te Gehlen, den Spieß umzudrehen und sich der dynamischen Elemente materialistischer Analysen zu bedienen. Der radika­le Gestus der Moralkritik bleibt, doch aus der Kritik bürger­licher Doppelmoral wird so die Kritik humanistischer »Hy­permoral«. Außerdem stellte er sich mit diesem Gestus in die Tradition Friedrich Nietzsches, von dem der andere große Angriff auf die Moral kam. Auf dessen Verachtung des Mit­leids konnte Gehlen sich berufen. Doch bleibt auch hier die Fortführung des Denkens des großen Vorbildes bei Gehlen an der Oberflä­che. Nietzsches »Gedanken über die Herkunft unserer mora­lischen Vorurteile«, niedergeschrieben in der »Genealogie der Moral«, fragen unverblümt nach den »Bedingungen«, unter denen sich der Mensch die »Werthurteile gut und böse« er­fand. Gehlen dagegen sucht anstelle der Relativierung nach einer überhistorischen Konstante. Die drei Grundbedürfnisse Sinndeutung, Moral und Religion, in die Gehlen die obersten Führungssysteme der menschlichen Gemeinschaft gliedert, finden in den Augen Nietzsches nur wenig Gnade. Sein Interesse galt weniger der Rechtfertigung dieser ewigen Werte, sondern ihrer Dekonstruktion. Gehlens Vorwurf an die uto­pisch sich ausrichtende Neue Linke, die von ihr gepriesene Freiheit sei das beste Mittel, »um mächtige Reiche zu zerstö­ren«, entspricht daher weit mehr seinem eigenen als Nietz­sches Denken. Nietzsche richtete sich gegen eine etablierte Bürgerkultur, die er bezichtigte, zu träge zum Leben zu sein; darin war er den Autoren des »Wörterbuchs des Gutmenschen« wesentlich näher als Gehlens verzweifelte Abwehr einer bun­desrepublikanischen Erneuerung. Auch Friedrich Sieburg hantiert mit dem Motiv der morali­schen Überforderung der Nachkriegsdeutschen als Anklage. Er schreibt: »Das Trommelfeuer der Charakteranalysen, der moralischen Vorwürfe, der Umschulungsversuche und Gewis­sensexperimente, das seit 1945 auf uns niedergegangen ist, hat unsere seelischen Fähigkeiten überschritten und zu einem all­gemei­nen Rückzug in die Indifferenz geführt.« Wie zur Be­stätigung fühlte sich einige Jahrzehnte später Botho Strauß von den Anforderungen einer humanitären Ethik überfordert. In der Asylrechtsdebatte der frühen neunziger Jahre sah der Au­tor nichts als die moralische Gängelei der Deutschen durch das Elend der Welt. Die von ihm reformulierte deutsche Identität muss ohne gute Werke auskommen: »Wir kämpfen nur nach innen um das Unsere. Wir werden nicht zum Kampf heraus­gefordert durch feindliche Eroberer. Wir werden herausgefor­dert, uns Heerscharen von Hungerleidern und heimatlos ge­wordenen gegenüber mitleidsvoll und hilfsbereit zu verhalten, wir sind per Gesetz zur Güte verpflichtet.« Die durch die Titelwahl des Essays intendierte Selbstdarstellung des Autors als »Sündenbock« greift dieses Motiv der Überforderung ebenfalls auf. Im »Anschwellenden Bocksgesang« gefällt sich Strauß in der Pose desjenigen, der sich der gutmenschlich-antirassi­stisch fanatisierten Masse als Opfer anbietet, um diese zu er­lösen und mit der Nation zu versöhnen. Dieser Gestus des »Selbstopfers« ist ähnlich der These von Sloterdijks therapeutischer Funktion des »Provokateurs«. Beide Figuren präsentie­ren den wehrlos gewordenen Deutschen als das eigentlich zu Überwindende, im Falle Strauß durch Rückbesinnung auf den Mythos, bei Sloterdijk durch die beständige Selbstverbesse­rung des Einzelnen durch Übung und der Gruppe durch euge­nische Interventionen. Sloterdijk kann sich daher die Polemik über den »gutgesinnten Menschen in der Harmonischen Ge­meinschaft« ebenfalls nicht verkneifen, man denke allein an seine ausufernde Pädagogenschelte. In seinem Plädoyer für die Abschaffung der Ethik sieht er in den »Agenten der Anti-Egoismus-Inquisition« die hartnäckigsten Widersacher der von ihm geforderten unsentimentalen »Anthropotechnik«. Der Drang, »schlecht« zu sein, ist also nicht nur im deutschen Feuilleton en vogue, er gilt als Ausweis der Zugehörigkeit zur Elite der Leistungsträger. »Gutmensch« heißt heute, wer früher ein »Vaterlandsverräter«, »Defätist« oder »Intellektueller« gewesen wäre. Daher gilt auch für die heu­tige Schimäre des »Gutmenschen« im rechten Diskurs, was schon Kurt Lenk für den gesamten Theoriefundus der Neuen Rechten feststellte: »Man rüstet sich zum Generationenkampf mit den Waffen der Großväter, um sich von der vermeintlich allgegenwärtigen Be­vormundung ­eines ›politisch korrekten‹ linken Establishments zu emanzipieren.« Redaktionell gekürzter Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Verlags aus: Volker Weiß: Deutschlands neue Rechte. Angriff der Eliten – Von Spengler bis Sarrazin. Schöningh-Verlag, Paderborn 2011. 141 Seiten, 16,90 Euro. Das Buch ist soeben erschienen.