Über den Machtkampf in der Côte d’Ivoire

Beten für den Präsidenten

Der Machtkampf in der Côte d’Ivoire eskaliert, Hunderttausende sind bereits vor den Kämpfen geflüchtet.

Die Demonstrantion war geprägt von einer seltsamen Mischung aus religiöser Ekstase, politischen Heilsbeschwörungen, Nationalismus und echtem oder vermeintlichem Antikolonialismus. »Sarkozy, die Côte d’Ivoire wird deine Endstation werden«, war auf einem Transparent zu lesen. Auf anderen Plakaten wurde »Die Côte d’Ivoire den Ivorern« gefordert oder auch »Hände weg von Laurent Gbagbo«. Auf der Place de la République in Abidjan, der Wirtschaftsmetropole des Landes, das einst als ökonomisches Modell Westafrikas galt, hatten sich am Samstag die Anhänger Gbagbos versammelt.
Der nach wie vor faktisch amtierende Präsident Gbagbo hat nach Auffassung einer Mehrheit in der »internationalen Gemeinschaft« bei der Wahl vom November vergangenen Jahres weniger Stimmen erhalten als sein Herausforderer Alassane Ouattara. Überprüfbar sind die Ergebnisse nicht, bei der Wahl dürfte von beiden Seiten manipuliert worden sein. Da bewaffnete Milizen der Kontrahenten bereits vor den Wahlen unterschiedliche Landesteile kontrollierten – Ouattara beherrscht den Norden, Gbagbo den Süden und den Westen des Staatsgebiets –, waren die Voraussetzungen für eine geheime, faire und transparente Abstimmung nicht gegeben.
Seitdem hat die Lage sich Woche für Woche verschärft. Die Vereinten Nationen rechnen derzeit mit der Flucht von bis zu einer Million Menschen aus dem Land, das nach Ansicht des französischen UN-Botschafters Gérard Araud »am Rande des Bürgerkriegs« steht. Die meisten Diplomaten und Experten teilen diese Auffassung.
»Betet Gbagbo an!« forderten die tollkühnsten Teilnehmer der Kundgebung am Samstag, während andere den »Gott der Armeen« um »einen totalen Sieg für die Côte d’Ivoire« bitten wollten. Wie häufig in der Region mischen sich dabei monotheistische Einflüsse – christliche im Süden, muslimische im Norden der Côte d’Ivoire – mit polytheistischen Traditionen und magischen Vorstellungen. Charles Blé Goudé war der Held dieser Kundgebung. Der 39jährige war vor 15 Jahren noch »Studentenführer« bei den damaligen, eher sozial motivierten Studierenden- und Jugendunruhen. Derzeit amtiert er als Jugendminister, verbringt seine Zeit jedoch eher als nationalistischer Agitator auf Versammlungen. Er forderte vergangene Woche »die ivorische Jugend« auf, sich massenhaft in der Armee zu engagieren. 5 000 sollen in den vergangenen Tagen seinem Ruf gefolgt sein.

Nicht auf Magie, sondern auf Gewalt beruht derzeit das Vorrücken beider Konfliktparteien in verschiedenen Landesteilen. In der im Süden des Landes gelegenen Wirtschaftsmetropole Abidjan sind die Anhänger Gbagbos in der Offensive. Im Laufe der vergangenen Woche wurden Hunderttausende aus der Großstadt vertrieben, in der etwa fünf Millionen Menschen leben. Hier haben beide politischen Konfliktparteien ihre Zentren, die Getreuen Gbagbos beherrschen das Armenviertel Yopougon. Abobo, ein riesiger Stadtteil mit mehr als anderthalb Millionen Einwohnern am Nordrand von Abidjan, wird von Anhängern Ouattaras kontrolliert. Die jeweilige politische Basis ist dabei weitgehend nach »ethnischer« Zugehörigkeit strukturiert.
Die Regierung unter Laurent Gbagbo, die nach wie vor den Süden und Südwesten des Landes kontrolliert, versuchte in den vergangenen anderthalb Wochen, durch Vertreibungen aus den zwischen dem Stadtzentrum und Abobo gelegenen Wohnvierteln eine Pufferzone zu schaffen. Abobo zu betreten, wagen die gegenüber Gbagbo loyalen Soldaten und Polizisten der Verteidigungs- und Sicherheitskräfte (FDS) kaum noch, weil sie dort ihres Lebens nicht mehr sicher wären. Darauf reagierten sie zunächst mit dem Einsatz von schweren Waffen im Stadtgebiet, sie durchquerten Abobo mit Panzern und Artilleriefahrzeugen und schossen um sich. Vorläufig scheint Gbagbo jedoch den Versuch, über Abobo unmittelbare Kontrolle zu erlangen, aufgegeben zu haben. Dort werden inzwischen tatsächliche oder angebliche »Informanten« des Regimes gelyncht, anderswo in Abidjan wurden mehrere »Ausländer« – Menschen aus dem Norden des Landes sowie aus Burkina Faso und Mali – lebendig verbrannt.

Auch in anderen Landesteilen wird gekämpft. So sind die Ouattara unterstützenden Republikanischen Kräfte der Côte d’Ivoire (FRCI), in denen die Milizen des vorigen Jahrzehnts, die FN, inzwischen aufgegangen sind, im äußersten Westen des Landes an der Grenze zu Liberia in die Offensive gegangen. Seit Anfang März konnten sie fünf Städte erobern. Ihre Offensive rief Söldner und Mili­zionäre, die vor mehr als zehn Jahren im liberianischen Bürgerkrieg kämpften, auf den Plan. Sie werden von der örtlichen Bevölkerung besonders gefürchtet. Mehr als 200 000 Menschen flohen inzwischen über die Grenze nach Liberia, in diesem Falle ging der Terror eher von den Anhängern Ouattaras aus.
Die »internationale Gemeinschaft« plant derzeit kein offensives militärisches Eingreifen in der Côte d’Ivoire. Allerdings ist sie an der Zuspitzung des Konflikts insofern entscheidend be­teiligt, als die führenden Großmächte, vor allem Frankreich und die USA, Alassane Ouattara bei dem Versuch unterstützen, das Regime Gbagbos wirtschaftlich zu lähmen. Daran arbeitet auch die Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft (Ecowas) mit, die Konten des ivorischen Staats einfror.
Ouattara forderte zudem alle Wirtschaftspartner der Côte d’Ivoire dazu auf, von Gbagbo keinen Kakao zu kaufen. Zahlreiche Ladungen des wichtigsten Exportprodukts bleiben im Hafen von Abidjan, da viele einheimische Unternehmen sie ebenso wie etwa französische Firmen derzeit nicht anrühren wollen. Die Regierung kündigte an, den Kakaoexport zu verstaatlichen und die auf Halde liegenden Ladungen zu beschlagnahmen. Die US-Regierung reagierte umgehend und bezeichnete dies als »Diebstahl«. Allerdings war die Kakaowirtschaft bis zum Jahr 1999 weitgehend unter staatlicher Kontrolle gewesen, die Privatisierung war ein wichtiger Krisenfaktor, der die Eskalation des Machtkampfs begünstigte.

Die Gegner Gbagbos hoffen, dass die wachsende Unfähigkeit seiner Regierung, etwa Staatsbediensteten noch ihre Löhne auszuzahlen, ihn früher oder später stürzen lassen wird. Diese Stra­tegie fördert jedoch die Verelendung und lässt die Spannungen anwachsen. Wesentlich schlimmer ist, dass Frankreich und andere EU-Länder faktisch Blockademaßnahmen verhängt haben, um den Druck auf Gbagbo zu erhöhen. Dies hat dazu geführt, dass derzeit keine Medikamente in der Côte d’Ivoire ankommen. Die Schiffe mit entsprechender Ladung werden vor der Küste von französischen Schiffen abgefangen und in die senegalesische Hafenstadt Dakar umgeleitet.
Unter dem Mangel und den Versorgungsproblemen leidet die Bevölkerung, die dem Konflikt zwischen den beiden Fraktionen der oligarchischen Führungsschicht des Landes kaum entkommen kann. Zwar können Gbagbo und Ouattara jeweils »ethnisch« motivierte Sympathien mobilisieren, diese Polarisierung ist jedoch eine relativ neue Erscheinung. Bevor im Jahr 2000 die ethnonationalistische Politik propagiert wurde, war jede zweite in der Côte d’Ivoire geschlossene Ehe eine »Mischheirat«. Nun werden die Bevölkerungsgruppen im Machtkampf der Oligarchie instrumentalisiert.