Eine Ausstellung in Wien über die chinesische Kulturrevolution

Das große Mitmach-Programm

Massenmord und Breitenkultur: Das Museum für Völkerkunde in Wien zeigt die zwei Seiten der chinesischen Kulturrevolution.

Wer die US-Aggressoren zuerst ins Meer treibt, hat gewonnen.« So heißt es in den Spielregeln eines antiimperialistischen Brettspiels für Kinder, das den Vietnam-Krieg nachstellt. Die Ausstellung »Die Kultur der Kulturrevolution: Personenkult und politisches Design im China von Mao Zedong« im Museum für Völkerkunde in Wien zeigt viele solcher Kuriosi­täten: Thermoskannen mit roten Reiterinnen, Strohhüte mit der Aufschrift »Hinunter in die Dörfer, hinauf auf die Berge« oder Comics, in denen muskulöse proletarische Helden auf einen knöchernen Konfuzius einschlagen. Helmut Opletal, der von 1980 bis 1985 China-Korrespondent des Österreichischen Fernsehens in Peking war, hat über Jahrzehnte die Kultobjekte der Kulturrevolution gesammelt und eine Ausstellung kuratiert, deren Farbenpracht, Schönheit und Kitsch beeindruckend ist.
Die Große Proletarische Kulturrevolution (1966–1976) wurde von Mao Zedong ausgerufen, um durch die Mobilisierung der Massen die »Machthaber des kapitalistischen Weges in der Partei« zu entmachten. Die Schaffung einer Kultur nach seinen Vorstellungen und die Vernichtung der feudalen Sitten und Gebräuche spielten dabei eine zentrale Rolle. Bis heute dauern die Debatten darüber an, ob die Kulturrevolution ein Machtkampf zwischen Mao und seinen Rivalen, eine Zeit sozialer Bewegungen oder sogar ein »roter Holocaust« war. Lange wurde in China die Kulturrevolution als eine »kulturelle Wüste« unter der rigiden Herrschaft von Maos vierter Frau Jiang Qing dargestellt, in der 800 Millionen Menschen sich nur die acht revolutionären Modellopern ansehen durften. Die Helden dieser Opern waren damals in China so bekannt wie Donald Duck im Westen. Gezeigt werden auch massenhaft Arbeiter und Bauern, die China vom bösen Imperialismus und Kapitalismus befreien. Finstere Konterrevolutionäre und Imperialisten sind immer auf den ersten Blick für den Zuschauer zu erkennen.
Der neuseeländische Professor Paul Clark hat in seinem Buch »The Chinese Cultural Revolution: A History« (2008) gezeigt, dass in keiner anderer Phase der Mao-Ära so viele Menschen außerhalb der elitären Zirkel Theater spielten, tanzten, Gedichte schrieben oder malten. Die Kritik an der Herrschaft des Expertentums half, breite Schichten in den Kulturbetrieb einzubeziehen. Auch mit Stil und Formen wurde experimentiert. Revolutionäre Ballette wie »Das rote Frauenbataillon« verbanden Elemente der klassischen Peking-Oper mit westlichen Instrumenten und neuen Tanzchoreographien. Ausstellungsgegenstände wie Stahlarbeiter auf Keksdosen oder Wecker mit Flugzeugen erinnern heute eher an die Pop Art als an den sozialistischen Realismus. Da von dieser Kultur noch immer eine gewisse Faszination ausgeht, arbeitet sich die gegenwärtige künstlerische Avantgarde der Postmoderne in China noch immer an dem Thema ab.
Natürlich kann die Kulturrevolution nicht auf radikalen Schick reduziert werden, die Ausstellung dokumentiert auch den irrwitzigen, absurden Personenkult, der um Mao betrieben wurde. Eines der bizarrsten Stücke der Sammlung ist eine Plastik-Mango in einer Vitrine. Mao schenkte »Arbeiter- und Bauern-Propagandatruppen« einer Pekinger Fabrik Mangos, um ihnen für die Beilegung der studentischen Fraktionskämpfe an der Eliteuniversität Tsinghua 1968 zu danken. Die Arbeiter präparierten die Früchte und stellten sie in ihrer Fabrik aus. Als ein wahrer Reliquienkult um diese Früchte ausbrach, wurden sie im ganzen Land in Plastik nachgebildet, um ihnen huldigen zu können. Auf dem Höhepunkt des Personenkults wurden Mao-Zitate auch auf Taschen, Becher, Fahrkarten, Wandspiegel, Getreidemarken und sogar Todesurteile gedruckt. Die Ausstellung zeigt auch Hunderte Varianten von Mao-Ansteckern, die damals wie »Panini-Bilder« gesammelt und getauscht wurden. Die Produktion von Ansteckern aus Aluminium nahm ein solches Ausmaß an, dass Mao 1969 gesagt haben soll: »Gebt mir meine Flugzeuge wieder.« Er meinte damit, dass man die Tausende Tonnen von Aluminium lieber für die Rüstungsindustrie verwenden sollte.
Ein Raum der Ausstellung widmet sich dem Terror, der auf Fotos dokumentiert wird. Gezeigt wird, wie Rotgardisten gestürzte Parteikader an den Pranger stellen oder Tempel zerstören. In Kampagnen gegen das »Alte« wurden Tausende von traditionellen Kulturgütern zerschmettert. Diese Gewalt war auch in der Kunst gegenwärtig. In Karikaturen oder auf Briefmarken werden sowjetische »Revisionisten« wie Breschnew aufgehängt oder der gestürzte Staatspräsident Liu Shaoqi wird von einem Hammer zerschmettert. Der Kurator hat die unaufgelöste Diskrepanz zwischen Utopie und Terror in der Ausstellung sicherlich absichtlich inszeniert. Es wäre auch sicher eine grobe Vereinfachung, die Kulturrevolution nur als Utopie einer egalitären Gesellschaft oder nur als Massenmord darzustellen. Auf einer deutschen Tafel ist zu lesen, dass 20 Millionen Menschen zu Opfern der Kulturrevolution wurden. In der englischen Übersetzung wurden daraus 20 Millionen Tote. Ich halte hingegen vor dem Hintergrund des heutigen Erkenntnisstandes die Zahl von einer bis zwei Millionen Toten für realistischer. Dem spontanen Terror der jugendlichen Roten Garden, den Mao 1966/67 billigend in Kauf nahm, fielen dabei Zehntausende zum Opfer. Als aber die Armee 1969 die Führung übernahm und systematisch eine »Säuberung der Klassenreihen« durchführte, wurden schätzungsweise 750 000 bis 1,5 Millionen Menschen exekutiert. Wie auch in so vielen anderen Fällen übertraf das »Gewaltmonopol« des Staats die Lynchjustiz der Massen bei weitem.
Etwas unvermittelt erscheint im letzten Ausstellungsraum die Mao-Verehrung im Westen. Auf einem chinesischen Kalenderbild lesen grauhaarige Rentner aus dem Westen kollektiv die Mao-Bibel. Die westdeutsche Zeitung Arbeiterkampf titelte: »Deng Xiaoping gestürzt. Die Massen jubeln.« Die westliche Linke, die aus der Protest- und Gegenkultur von 1968 entstand, dürfte sich damals weniger für die Kultur der Kulturrevolution als für ihr erklärtes Programm begeistert haben. Damals glaubten viele, dass China eine Alternative zum grauen Sozialismus des Ostblocks darstelle, weil Mao die Aufhebung der Arbeitsteilung auf die Tagesordnung setzen und der Bürokratisierung des Sozialismus mit der Mobilisierung der Massen den Kampf ansagen würde. Dass heute trotz ihrer Ambiguität die Kultur der Kulturrevolution in ein bürgerliches Museum passt, zeigt letztlich auch ihr Scheitern.

Die Kultur der Kulturrevolution. Museum für Völkerkunde Wien. Bis 19. September