Das Ausländerrecht wird verschärft

Deutsche Lektionen

Die Nachfrage nach Integrationskursen ist groß, nur selten verhängen die Ausländerbehörden Sanktionen. Dennoch hat die Bundesregierung das Ausländerrecht verschärft.

Aufstände in der arabischen Welt, Erdbeben, Tsunamis, radioaktive Verseuchung in Japan: Angesichts der weltbewegenden Ereignisse waren die Änderungen im Ausländerrecht Mitte März nur eine Randnotiz. So schuf die Koalition etwa einen eigenen Straftatbestand im Fall von Zwangs­ehen. Welche Wirkung dies hat, wird man sehen, auch bisher konnte eine unfreiwillige Eheschließung als schwere Nötigung geahndet und mit demselben Strafmaß verfolgt werden. Immerhin soll Opfern von Zwangsverheiratungen, die im Ausland von der Rückkehr nach Deutschland abgehalten werden, die Wiederkehr erleichtert werden – allerdings ist dies kein Rechtsanspruch, sondern gilt nur bei »guter Integrationsprognose«.

Schlechter steht es um die Opfer, die in Deutschland leben und dort auch bleiben wollen: Paare müssen nun nicht mehr mindestens zwei, sondern drei Jahre verheiratet sein, bevor eine eigenständige Aufenthaltserlaubnis erteilt werden kann. Diese »Mindestehebestandszeit« war erst im Jahr 2000 von vier auf zwei Jahre gesenkt worden. »Nur weil Sie vermuten – übrigens gegen die Daten aller Ermittlungsbehörden in der gesamten Bundesrepublik –, dass es heute mehr Scheinehen als früher gibt, müssen sich nun die zwangsverheirateten Frauen ein Jahr länger prügeln lassen. Das ist schlicht und ergreifend schäbig gegenüber diesen Frauen«, kommentierte der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, Josef Winkler, die Gesetzesänderung.
Des Weiteren wurden die Anforderungen für die Verlängerung einer befristeten Aufenthaltserlaubnis um mehr als ein Jahr erhöht: Bislang reichte es dafür aus, regelmäßig am Kurs und dann an der mehrstündigen Prüfung »Zertifikat Deutsch« und einem Test mit 25 Fragen zu Politik und Geschichte teilzunehmen. Nun muss der Integrationskurs nicht mehr nur besucht, sondern auch erfolgreich beendet werden. Das war bisher nur für die unbefristete Niederlassungserlaubnis nötig. Eine weitere Änderung betrifft junge Menschen aus Flüchtlingsfamilien mit Duldungen: Zum ersten Mal gibt es eine Bleiberechtsregelung ohne Stichtag. Sie steht jedoch ganz im Zeichen deutscher Nützlichkeitserwägungen: Denn es hängt unter anderem von den Leistungen der jungen Migranten in der Schule ab, ob sie oder sogar ihre Familien bleiben dürfen. Die Regierung schreckt nicht davor zurück, die Kinder und Jugendlichen, die in engen Wohnungen oder Flüchtlingsheimen häufig nicht gerade die besten Lernbedingungen haben, unter einen enormen Druck zu setzen.
Dass den meisten Medien der Beschluss des Bundestags nur eine kleine Meldung wert war, ist angesichts der Auswirkungen der neuen Bestimmungen erstaunlich. Aber immerhin blieb so auch das übliche Begleitgetöse über »Integrationsmuffel« und Ausländer aus, die nichts anderes im Sinn hätten, als sich »zum Schein« zu verheiraten oder das deutsche Sozialsystem zu plündern. Das Gezeter über die »Integrationsverweigerer« ist aus dem vergangenen Herbst bestens bekannt. Zu der Zeit bestimmte die sogenannte Integrationsdebatte die Schlagzeilen – obwohl der damalige Innenminister Thomas de Maizière (CDU) überhaupt keine Zahlen zur angeblichen Problemlage vorlegen konnte.

Nun dürften sich manche Beobachter erneut fragen, was eigentlich der Anlass für die jüngste Verschärfung des Ausländerrechts war. Denn bei den jüngst erfolgten Stichproben in den Bundesländern zeigte sich, dass kaum Sanktionen gegen Migranten verhängt wurden, die überwiegende Mehrheit von ihnen die Integrationskurse besuchte oder für ein Fehlen Gründe wie eine Schwangerschaft oder eine Arbeitsaufnahme vorbringen konnte. Mehr als die Hälfte der Teilnehmer bestand auch die Prüfungen. Warum also – wenn man in den Kategorien der Integrationspolitiker denkt – Sanktionen verschärfen, zumal die Nachfrage nach Kursen im vergangenen Jahr das Angebot überstieg? »Seit Jahren wird mit billigster Propaganda wider besseres Wissen der Popanz des ›Integrationsverweigerers‹ aufgebaut, um Verschärfungen im Ausländerrecht besser rechtfertigen zu können und sich gleichzeitig das rechte Wählerpotential gegenüber der rechts­populistischen Konkurrenz zu sichern«, merkte Sevim Dagdelen, die migrationspolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, in einer Pressemitteilung zur Gesetzesänderung an.
Allerdings liegt es auch weiterhin im Ermessen der Ausländerbehörde, wie sie die Sanktionsmöglichkeiten handhaben möchte. Bislang galt: Nimmt jemand nicht regelmäßig am Integrationskurs teil, dann kann sich dies auf die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis auswirken, im äußersten Fall kann sie sogar abgelehnt werden. Dies ist nun auch möglich, wenn der Kurs zwar regelmäßig besucht, die Prüfung aber nicht bestanden wurde. Wird jemand nicht von der Ausländerbehörde verpflichtet, sondern von der Agentur für Arbeit in den Deutschkurs geschickt, dann können die Leistungen bei »nicht ordnungsgemäßer Teilnahme« gekürzt oder gar gestrichen werden.
Angesichts der geplanten Abschiebungen von Roma nach Mazedonien und Serbien und der Lebensbedingungen von Flüchtlingen hierzulande erscheinen die Verschärfungen, die die Integra­tionskurse betreffen, zunächst nicht so gravierend. Doch sie zeugen von der Geisteshaltung der deutschen Mehrheit, in deren Auftrag die Regierung handelt: Einwanderern soll wie unmündigen Schülern gezeigt werden, wo es langgeht. Das gilt nicht nur denjenigen, die Integrationskurse absolvieren müssen, sondern allen Einwanderern. Es geht also nicht nur darum, dass den jährlich etwa 60 000 zur Teilnahme an den Kursen Verpflichteten neues Ungemach droht, etwa mehr Gängelung durch die Ausländerbehörde, noch größerer Druck, die Tests zu bestehen, sowie höhere Kosten, wenn die Aufenthaltserlaubnis nur für kurze Zeit ausgestellt wird und Kurse wiederholt werden müssen. Und auch nur am Rande geht es um die Inhalte der Kurse, auch wenn man sich fragen muss, warum Einwanderer unbedingt die Feinheiten des deutschen Mehrheits- und Verhältniswahlrechts kennen sollen, wo sie doch in absehbarer Zeit ohnehin nicht wählen dürfen. Es geht vor allem darum, immer wieder aufs Neue die Unterordnung von Einwanderern zu erzwingen und sie als rückständig und unwillig zu stigmatisieren. Stets wird ihnen eine Bringschuld aufgenötigt, bevor man ihnen eine ernsthafte Teilhabe ermöglicht.

»Schwarz-Gelb will eine fatale Unkultur des Misstrauens und der Verdächtigungen gegenüber Migrantinnen und Migranten in Gesetze gießen«, sagte Winkler. Die Bundesregierung unterstelle, dass Eingewanderte kein Interesse am ­Erlernen der deutschen Sprache hätten, und versuche, sie so als »Integrationsverweigerer« zu stigmatisieren. Dabei verschweigt Winkler freilich, dass seine Partei zusammen mit der SPD die ­Integrationsverordnung mit den entsprechenden Verpflichtungen und Sanktionen 2004 verabschiedet hat.
Soweit bekannt ist, wurde noch niemand wegen mangelnder Deutschkenntnisse ausgewiesen, obwohl dies bereits seit 2005 möglich ist. Doch angesichts der gesellschaftlichen Lage und kaum vorhandener Proteste sind weitere Verschärfungen in Zukunft denkbar. Denn welche vermeintliche Gefahr von »Integrationsverweigerern« ausgehe und wie mit ihnen umzugehen sei, hat der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel im vergangenen Herbst schon bekundet: »Wer auf Dauer alle Integrationsangebote ablehnt, der kann ebenso wenig in Deutschland bleiben wie vom Ausland bezahlte Hassprediger in Moscheen.«