Die Debatte um »Methadon-Eltern« in Bremen

Drogen sind für Kinder nicht

In Bremen wird hitzig darüber diskutiert, wie gefährlich Eltern, die Methadon erhalten, für ihre Kinder sind. Der laufende Wahlkampf sorgt in der Debatte nicht gerade für Vernunft.

Die Bremer Bild-Zeitung druckte am Freitag voriger Woche ein auffälliges Foto ab: Auf einer ganzen Seite war ein Polizist zu sehen, der ein kleines Mädchen aus einem Haus trägt. Mit beiden Händen drückt er das braungelockte Kind an seine Schulter, ein Kollege schiebt seinen Knüppel zurück in den Gürtel. Die Überschrift war: »Noch mehr Kinder mit Drogen ruhig gestellt.«

Das Geschehen auf dem Foto hatte mit dem Thema, über das die Zeitung berichtete, gar nichts zu tun. Das Bild war wohl eher als Aufforderung an die Polizei gedacht, etwas zu unternehmen. Der Bild-Zeitung und der Bremer Öffentlichkeit geht es derzeit um die etwa 1 000 Heroinabhängigen in der Stadt, die Methadon als Ersatzstoff erhalten. Ungefähr ein Zehntel von ihnen hat Kinder. CDU, Grüne und SPD sind sich weitgehend einig: Den Abhängigen das Sorgerecht für die Kinder zu entziehen, gilt angesichts einer Untersuchung von 15 Kindern von Bremer Methadon-Konsumenten derzeit als einzige Lösung.
Bei 14 Kindern, so meldete das Sozialressort Mitte März, seien Drogenrückstände in den Haaren gefunden worden, beispielsweise von Methadon, Heroin, Kokain, Cannabis oder Antidepressiva. Der für Gesundheitsfragen zuständige Staatsrat Hermann Schulte-Sasse mutmaßte: »Eltern, die manchmal selbst mit den Nerven am Ende sind, könnten versucht sein, quengelige oder schreiende Kleinkinder ruhigzustellen.« Dass die Vorstellung, man könne Kinder mit Kokain beruhigen, offensichtlich ebenso unsinnig ist wie die, dass Junkies ihr stets knappes Heroin ausgerechnet ihren Kindern spritzen, und vor allem, dass die Behörde den Untersuchungsergebnissen selbst nicht traute – all das interessierte niemanden mehr. Im Mai wird in Bremen gewählt, die Parteien versuchen, sich im Wettbewerb um die härteste Politik gegen die »Drogen-Eltern« zu überbieten.
Der SPD-Abgeordnete Klaus Möhle, ein ehemaliger Grüner und Bauwagenbewohner, stellte das Methadon-Programm gänzlich in Frage. »Das System der akzeptierenden Drogenarbeit funktioniert anscheinend nicht.« Es müsse »ernsthaft hinterfragt werden«, sagte er. Seine ehemaligen Parteifreunde von den Grünen forderten »regelmäßige obligatorische Haaranalysen und gegebenenfalls Blutproben bei Kindern von Subsituierenden-Familien«. Wer sich weigere, müsse das Methadonprogramm verlassen. Substituierende mit Kindern sollten Methadon künftig in der Praxis des behandelnden Arztes konsumieren.
Die CDU wollte nicht zurückstehen. »Die Zeit der Verharmlosung ist ein für allemal vorbei«, sagte ihre Fraktionsvorsitzende Rita Mohr-Lüllmann, eine Apothekerin. Sie würden »inzwischen Hinweise erreichen, dass drogenabhängige Eltern ihren Kindern sogar die Haare abschneiden, um Haaranalysen zu verhindern«. Auch die Kassenärztliche Vereinigung schaltete sich ein. »Bremer Kinder mit Methadon ruhiggestellt: Wir warnen schon seit Jahren!« klagte sie an.

Dass zu diesem Zeitpunkt niemand genau wusste, welche Mengen genau nachgewiesen wurden und wie die Drogenrückstände in die Haare gelangt waren – ob durch Verabreichung, Konsum oder Kontakt –, tat nichts zur Sache. Nur die Linkspartei meldete Zweifel an. »Ich verstehe überhaupt nicht die angebliche Motivationslage der Eltern«, sagte ihr Abgeordneter Peter Erlanson. Illegale Drogen seien teuer, Methadon sei nur begrenzt verfügbar. »Es macht aus meiner Sicht wenig Sinn zu glauben, dass Eltern Kleinkinder mit Drogen versorgen.« Ähnlich äußert sich der Geschäftsführer der Ambulanten Drogenhilfe in Bremen, Bethold Reetz. »Ich habe gedacht, das kann nicht sein«, sagt er. »Wir kennen viele Substituierende, für die wir unsere Hand ins Feuer legen würden. Und auch bei deren Kindern wurden Spuren gefunden. Das wundert mich und macht mich misstrauisch.«
Selbst beim Sozialressort, das die Untersuchungsergebnisse veröffentlichte, ist man skeptisch. Die Trefferquote von 14 aus 15 »widerspricht allen Erkenntnissen, die man bisher hatte«, sagt die Sprecherin des Ressorts, Petra Kodré. »Das hat uns auf der Seite der Methodik stutzig gemacht.« Alle Erfahrungen zeigten, dass solche Rückstände üblicherweise »von außen kommen und nicht verabreicht werden«. Zwar wurden die Kinder vorübergehend aus den Familien genommen. Doch bevor irgendetwas endgültig entschieden wird, sollen gleich zwei weitere Labore neue Untersuchungen an den Kinderhaaren vornehmen.
Es gibt wohl keine Stadt in Deutschland, in der die Kombination von Drogenabhängigkeit und Elternschaft so sehr als Problem gesehen wird wie in Bremen. 2005 starb hier das zweijährige Kleinkind Kevin. Polizisten fanden es tot im Kühlschrank der Wohnung seiner Eltern. Der heroinabhängige Stiefvater hatte den Jungen schwer misshandelt, dieser überlebte die über 20 Knochenbrüche nicht, die ihm zugefügt worden waren. Seither haben Junkies keine allzu große Lobby in der Stadt.

»Wenn sie ihre Substitutionsvereinbarung unterschreiben, haben sie ihre Finger oft schon hinter dem Rücken gekreuzt«, sagt Jörg Herrmann, der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung, die das Methadon-Programm evaluiert. Bremer Ärzte hätten dem Jugendamt von sich aus gemeldet, wenn ihre Substitutionspatienten kleine Kinder haben. Der Senat habe zwar über »Datenschutzbeschwerden« geklagt, sagt Herrmann. Doch darüber habe man sich zunächst hinweggesetzt und die Fälle weiterhin gemeldet. Der Vorstandsvorsitzende fordert, dass Ärzte künftig grundsätzlich, also ohne jeden weiteren Verdacht auf Misshandlung oder ähnliches, »Methadon-Eltern« melden sollen. Ende des Monats soll die Berliner Universitätsklinik Charité ihre endgültigen Untersuchungsergebnisse zu den Drogenrückständen in Kinderhaaren vorlegen. Doch angesichts der bevorstehenden Wahlen und der vorherrschenden Stimmung dürfte selbst der harmloseste Befund nicht für Vernunft in der Debatte sorgen.