Über die Ethikkommission zur Atomkraft

Das Restrisiko aktualisieren

Die Ethikkommission »Sichere Energieversorgung« plaudert den Grund für die derzeitige Atompolitik der Regierung aus: Die Atomkraft könnte die Geschäftsgrundlagen des Standorts bedrohen.

Müssen politische Entscheidungen getroffen werden, bedarf es der Verbreitung eines passenden ideologischen Beiwerks in der Öffentlichkeit. Steht ein außerordentlich kniffliger Beschluss an, bedient sich die Bundesregierung eines besonderen Gremiums: Sie setzt eine »Ethikkommission« ein. Denn »Ethik« – das klingt ziemlich ernst und respekteinflößend.
In der Ethikkommission »Sichere Energieversorgung« sitzen keineswegs ergraute Philosophinnen und Philosophen. Sie wird vom ehemaligen Umweltminister Klaus Töpfer (CDU) und von Matthias Kleiner, dem Präsidenten der Deutschen Forschungsgesellschaft, geleitet. Mitreden dürfen Jürgen Hambrecht, der Vorstandsvorsitzende von BASF, Miranda Schreurs, die Leiterin des Forschungszentrums für Umweltpolitik der Freien Universität Berlin, und andere bisher nicht durch die Veröffentlichung moralphilosophischer Abhandlungen auffällig gewordene Personen – mit Ausnahme von Weyma Lübbe, Professorin für praktische Philosophie an der Universität Regensburg, und Vertretern der evangelischen und katholischen Kirche.
Ausgewiesene Gegner der Atomkraft dürfen nicht teilnehmen. Schließlich soll die Kommission auf Wunsch von Angela Merkel über einen »Atomausstieg mit Augenmaß« verhandeln. Und so warnt das Gremium einerseits weihevoll vor »einer Hypothek, die wir unseren Kinder nicht überlassen dürfen«, andererseits aber auch vor übereilten Entscheidungen. »Es reicht nicht zu sagen: Wir schalten ab«, sagte Töpfer der Presse. »Da müssen wir uns auch anschauen, ob und wie ein zu schneller Atomausstieg die Versorgungsrisiken erhöhen könnte«, gab Kleiner zu bedenken und bediente sich damit eines Arguments des Stromkonzerns RWE, der ebenfalls vor Stromausfällen warnt.
Man sollte angesichts dieser Äußerungen aber dennoch nicht annehmen, der Bundesregierung ginge es mit der Einrichtung der Kommission bloß um die arglistige Täuschung der Öffentlichkeit zum Vorteil der Atomkonzerne. Es ist durchaus wahrscheinlich, dass einige der wegen des »Atom-Moratoriums« abgeschalteten Kraftwerke endgültig außer Betrieb bleiben. Und jedes abgeschaltete Kraftwerk schädigt die Konzerne.
Warum sich die Bundesregierung zu solchen erstaunlichen Schritten genötigt sieht, plauderte Töpfer in der FAZ aus: »Und wir müssen dabei die ökonomische Stabilität einer der führenden Volkswirtschaften dieser Welt sichern.« Bisher muteten die verschiedenen Bundesregierungen ihren Bürgern das Risiko eines Unfalls in einem Atomkraftwerk zu – gerade weil die Wertschöpfung stimmte. »Aber eine solche Aktualisierung des atomaren Restrisikos ausgerechnet in einem Hightech-Land wie Japan schafft ein neues Faktum«, ließ Töpfer die FAZ wissen. Die Bundesregierung hat also offensichtlich ihre Kalkulation des »atomaren Restrisikos« aktualisiert und ist zu dem Ergebnis gekommen: Atomkraft lohnt sich nicht mehr. Verstrahlte Landstriche, kranke, tote und deshalb nicht mehr sonderlich tüchtige Bürger – das wären schlechte Geschäftsbedingungen für den Standort Deutschland.