Über Patrick Bahners’ Buch »Die Panikmacher. Die deutsche Angst vor dem Islam«

Der kommende Anstand

Patrick Bahners kritisiert das Ressentiment gegen den Islam im Namen von Anstand und Moral und endet bei der Diffamierung der Religionskritik.

Ja, es gibt hierzulande ein Ressentiment gegen Muslime, das Debatten über den Islam und über Integration pathologische Züge verleiht. Dies kann 2011 nur leugnen, wer es einfach nicht sehen will. Aus diesem Grund ist es zunächst einmal zu begrüßen, wenn der Feuilletonchef der FAZ sich des Themas annimmt. Und tatsächlich: Bei fast allem, was Patrick Bahners in seinem Buch »Die Panikmacher. Die deutsche Angst vor dem Islam« gegen Thilo Sarrazin, gegen den CDU-Rechtsaußen Hans-Jürgen Irmer oder gegen den Lieblingsorientalisten der Islamfeinde, Hans-Peter Raddatz, vorbringt, ist er im Recht; auch in der Auseinandersetzung mit den Texten von Necla Kelek, Ayaan Hirsi-Ali oder Henryk M. Broder hat er in vielen Punkten das bessere Argument auf seiner Seite. Er zeigt auf, dass immer wieder mit zweierlei Maß gemessen wird, grobe Generalisierungen vorgenommen und Gerüchte und Unwahrheiten verbreitet werden. Den meisten seiner Aussagen könnte man zustimmen, wäre die Argumentation nicht von Grund auf so irreführend angelegt, dass es das Buch als Ganzes verdirbt.
Das Hauptproblem besteht darin, dass Bahners keinen ernsthaften Versuch unternimmt, einen Begriff von Ideologie, Vorurteil oder Ressentiment zu entwickeln. Das wäre aber notwendig, um der größten Herausforderung beim Reden über das Reden über den Islam gerecht zu werden, nämlich der Trennung von rationaler Kritik und Ressentiment. Es ist ein Unterschied, ob christliche Fundamentalisten gegen die Konkurrenz hetzen, ob Rassisten ihre Vorurteile islamkritisch rationalisieren oder ob eine – oft überspitzt und übergeneralisiert vorgetragene – Kritik an einer Religion formuliert wird. Doch die Mühe des Unterscheidens erspart sich Bahners. Stattdessen leistet er für das Feuilleton, was Kai Sokolowsky für die linke Publizistik und Sabine Schiffer für die Halbwelt zwischen Vorurteilsforschung und pro-islamistischer Lobby erledigen: Er sammelt Autoren, die sich negativ über denIslam äußern, wirft sie in einen großen Topf, rührt kräftig um und klebt ein Label darauf. Dass er dieses dann nicht wie sonst üblich mit dem Wort »Islamophobie«, sondern mit dem Ausdruck »Islamkritik« beschriftet, macht die Sache nur noch schlimmer.
Denn damit zielt Bahners auf eine andere Entgegensetzung als die von Kritik und Ressentiment, nämlich auf die von Anständigem und Unanständigem. Ausgehend von der Frage: »Was ist los in Deutschland?« beschreibt er einen großen Angriff auf Anstand und Moral in diesem Land. Die dem Sturm der Islamkritiker entgegenstehenden und ihm teils zum Opfer gefallenen Bollwerke heißen dann »Intuition des Gemeinsinns«, »instinktive Liberalität des mitbürgerlichen Daseins« (ja, er spricht wirklich von Deutschland) und »Prägekraft der christlichen Tugend der Dezenz«. Für unanständig hält Bahners nicht nur das plumpe Ressentiment, sondern auch jede Kritik an Glaubensinhalten.
Auch Muslime wie Bassam Tibi, die einen säkularen Islam fordern, zählt Bahners zu den Panikmachern. Schon die Formulierung »säkularer Muslim« hält er für »paradox«, weil damit gefordert werde, »fast alles zu verwerfen, was der großen Mehrheit der Muslime zu allen Zeiten als unbezweifelbar gegolten hat«. Doch was sind Tibis angeblich so unverschämte Forderungen? Das lässt sich in seinen Texten nachlesen: Er fordert einen Islam ohne Sharia, ohne Da’wa und ohne Jihad; einen Islam also, der individuelle Glaubenspraxis und Spiritualität umfasst, aber keinen Anspruch erhebt, das weltliche Recht zu bestimmen, langfristig alle Menschen auf den rechten Weg zu leiten oder mit Gewalt durchgesetzt zu werden. Diese für den Säkularismus selbstverständlichen Forderungen sind für Bahners nicht die Bedingung des friedlichen Zusammenlebens von und mit Religionen, sondern eine Anmaßung, die die Grenzen des guten Geschmacks verletzt.
Kritik an reaktionären Ausprägungen des Islam in Deutschland zu üben, hält er ohnehin nicht für notwendig, weil das deutsche Staatskirchenrecht alle Probleme löse, gestehe man den islamischen Verbänden bloß die rechtlichen Privilegien der christlichen und jüdischen Konfessionen zu. Anstatt Kritik zu üben, seien »positive soziale Aspekte muslimischer Werte wie Gottesfurcht und der geregelten Lebensführung« hervorzuheben. Dies exerziert Bahners vor: Er gibt sich nicht damit zufrieden, die zu kritisieren, die unter jedem Kopftuch eine unterdrückte Importbraut oder eine Terroristin vermuten, sondern fühlt sich darüber hinaus berufen, die Verschleierung als Symbol der Mäßigung zu loben. Darin entdeckt er den Anstand, den er bei den Islamkritikern vermisst. Die Behauptung aber, »es gebe in gewissen Richtungen des Islam das Gebot, die Tochter gegen den Willen zu verheiraten und bei einem Verstoß gegen den Sittlichkeitsbegriff der Familie umzubringen«, ist für ihn eine »schwarze Legende«.
Auf den letzten Seiten lässt der Autor es sich dann nicht nehmen, hyperbolische Vergleiche zu Antisemitismus und Nationalsozialismus anzustellen. Wenn Necla Kelek angesichts der neuerlichen Fixierung auf Religion die rhetorische Frage stellt, ob Menschen denn zuerst Bürger oder zuerst Gläubige und Ungbläubige seien, ist dies für Bahners nicht etwa einfach eine laizistische Position, sondern gleich die Wiederkehr der von den nationalsozialistischen Deutschen Christen propagierten Staatsfixiertheit. Schließlich erkennt er in den Islamkritikern die Widergänger Heinrich von Treitschkes und in ihren Texten eine Neufassung des Ausspruchs »Die Juden sind unser Unglück!« Damit ignoriert Bahners nicht nur die in den vergangenen Jahren an diesem Vergleich geübte Kritik, sondern auch die gesamte Antisemitismustheorie des 20. Jahrhunderts. Unterm Strich ist »Die Panikmacher« trotz aller darin enthaltenen richtigen Argumente genau das, was Angela Merkel über Sarrazins »Deutschland schafft sich ab« zu Protokoll gab: »nicht hilfreich«.

Patrick Bahners: Die Panikmacher. Die deutsche Angst vor dem Islam. Eine Streitschrift. Beck, Frankfurt 2011, 320 Seiten, 19,95 Euro