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Wenn man morgens an der popeligen Fahrschule vorbeigeht und den Eingang zur Redaktion nimmt, hat man nicht das Gefühl, sich an einer der Topadressen Berlins in einem Trendbezirk zu befinden. Aber der Eindruck täuscht. Die Mieten explodieren, teure Biosupermärkte schießen aus dem Boden, und hartnäckig wird man von Touristen nach dem Weg zu irgendwelchen Currywurstbuden gefragt, als ginge es um den Louvre oder sonstwas Wichtiges. Wenn irgendwo eine Wohnungsbesichtigung stattfindet, gibt es auf den Bürgersteigen lange Warteschlangen wie beim DSDS-Casting. Man ist hier in einem Stadtteil, wo plötzlich alle Welt hin will: in Kreuzberg.
Die Jungle World wusste das schon immer. Als die Zeitung vor mehr als einem Jahrzehnt gegründet wurde, kam nichts anderes infrage als das immer noch halbwegs versiffte Kreuzberg der Neunziger. Geht ihr mal ruhig alle nach Friedrichshain und wie die Ostbezirke alle heißen …
Dreimal wurde bisher umgezogen, der Bezirk aber nicht verlassen. Von der szenigen Lausitzer Straße über die idyllische Bergmannstraße in die verkehrstechnisch günstige Gneisenaustraße. Auch der größte Teil der Redaktion landete privat in Kreuzberg oder war sowieso schon immer in Kreuzberg ansässig gewesen. Die paar Nicht-Kreuzberger wurden ein bisschen bemitleidet wegen des weiten Anfahrtsweges und überhaupt.
Allmählich aber ändert sich die Lage. Zum Arbeiten morgens nach Kreuzberg reinfahren und dann abends wieder raus in die billigeren Bezirke, wo man sich die Wohnung noch leisten kann, das ist der neue Trend. Inzwischen kommen Versprengte aus Mitte, Schöneberg und sogar aus Zehlendorf angereist, und Neukölln, lange Zeit der Schrecken der SO-36-Fraktion, wird als Ausweichmöglichkeit von immer mehr Redakteuren genutzt. Und damit ist jetzt keineswegs nur der »Kreuzkölln« genannte Premium-Kiez gemeint, sondern auch die Gegend um den Gaza-Streifen, wie die Sonnenallee wegen der vielen libanesischen Imbisse, Cafés und Telefonläden neuerdings heißt. Auch hierhin verschlägt es immer mehr Jungle World-Redakteure, so dass gentrifizierungskritische Stimmen schon von einer Art anti-deutschen Siedlerbewegung sprechen. Immer weniger Kollegen wohnen noch in Kreuzberg, und wer aus irgendwelchen Gründen umziehen muss, wird in Kreuzberg nicht mehr fündig. Mit Häuserkampf-Erfahrung kommt man jedenfalls nicht mehr weiter, fette Verdienstbescheinigungen sind das neue Krawall. Da ist es natürlich sehr gut, dass es sich bei der Jungle World um ein junges, aufstrebendes Medienunternehmen handelt. Das aus dem schicken Kreuzberg kommt, ihr Muschis!