Tanz den Tango

Berlin Beatet Bestes. Folge 90. Tanzorchester mit Refraingesang: »Manches ›Nein‹ heißt ›Vielleicht‹« (1931). Von andreas michalke

Seit Monaten lässt mich meine neue Sammelleidenschaft für Schellackplatten nicht los, obwohl die Handhabung viel komplizierter ist als die von Vinyl. Am Wochenende habe ich zum Beispiel nur deshalb eine Plattenbörse besucht, um mir stabile kartonierte Hüllen zu kaufen, die verhindern, dass die Platten schon beim Sortieren zerbrechen. In 30 Jahren, in denen ich Schallplatten sammle, habe ich beim Kauf immer nur oberflächlich auf grobe Kratzer geachtet, jetzt suche ich nur noch Plattten in hervorragendem Zustand. Leider gehört vorliegendes Exemplar nicht dazu, es knistert fürchterlich. Aber es hat auch nur 50 Cent gekostet und ist kleiner als gewöhnliche Schellackplatten, statt 25 nur 20 Zentimeter im Durchmesser. Auch ist Tango nicht so mein Fall. Meine Freundin und ich haben mal versucht, Tango tanzen zu lernen, aber wir konnten beide nichts mit dem ernsten Pathos der Musik anfangen. Außerdem werde ich nicht auch noch Platten aus den zwanziger und dreißiger Jahren sammeln. Deutsche Platten aus der Zeit von ’33 bis ’45 kommen mir sowieso nicht ins Haus, egal wie »swingend« sie sein mögen. Diese Platte hier ist aber überraschend anders. Zu hören ist eher heiterer Tango, vorgetragen in dem von Max Raabe wieder populär gemachten, zart affektierten Stil der zwanziger Jahre:
Manches ›Nein‹ heißt ›Vielleicht‹/Und ›Vielleicht‹ heißt ›Gewiss‹, oder so/Denn die Dame von Welt, die auf’s Äußere hält, bis auf da mit dem ›Ja‹/Man kaschiert sein Gefühl, teils aus Scheu, teils kokett, oder so/Kurz, in dem Augenblick, macht der Ton die Musik.
Natürlich heißt »Nein« immer noch »Nein«, aber wie gesagt: Der (zarte) Ton macht die Musik. Das Tri-Ergon-Verfahren wurde übrigens 1919 in Berlin erfunden, um Tonfilmaufnahmen zu machen, wobei der Ton direkt auf den Film geschnitten wurde. Obwohl erste Versuche der Ufa scheiterten, wurde das Patent letztlich 1927 vom amerikanischen Filmstudio Fox für einen der ersten Tonfilme, »Sonnenaufgang – Lied von zwei Menschen« von Friedrich Wilhelm Murnau, verwendet. Das deutsche Tri-Ergon-Label veröffentlichte bis 1932 Schellackpatten in verschiedenen Größen, die kleinen Platten waren die billigen. So billig, dass noch nicht mal der Name des Orchesters angegeben wurde.
Geschrieben wurde »Manches ›Nein‹ heißt ›Vielleicht‹« von Ralph Benatzky, einem österreichischen Komponisten, der in den zwanziger Jahren in Berlin mit seinen Revuen berühmt wurde. Am Bekanntesten ist bis heute die Revue »Im weißen Rössl« von 1930, die im nationalsozialistischen Deutschland wegen ihrer jüdischen Mitautoren verboten und wegen des despektierlichen Umgangs mit »Folklore« als »entartet« gebrandmarkt wurde. 1932 verließ Benatzky Berlin und ging in die Schweiz und von da aus 1938 nach Hollywood. Schon 1930 schrieb er:
»Die Situation in Deutschland ist schwierig durch den Sieg der Natio­nalsozialisten, ein Sieg, der mir viel weniger sonderbar und über­raschend erscheint, als man allgemein hört.
Ist doch nach meinem Dafürhalten der Nationalsozialist in seiner blonden, gojschen Präpo­tenz, Großschnauzigkeit, arroganter Halbbildung, die auf Schlagworte fliegt und von ihrer Bedeutung durchdrungen ist, so vielprozentig der Typus der Piefkischen Mehrheit, dass mir das Tendieren dorthin eher eine naturgemäße Entwicklung der wahren, zum Durchbruch kommenden Nationaleigenschaften, ein sich allmähliches Annähern der deutschen Idealform erscheinen will, als wie die große Überra­schung.«