»Die Linke« lehnt die Intervention in Libyen ab

Bomben helfen Libyen nicht

Die Partei »Die Linke« hat die internationale Militärintervention in Libyen abgelehnt – geschlossen, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen.

Es ist Krieg. Bomben der Nato werden auf Libyen geworfen. Aber tausende »Peace«-Fahnen, Mahnwachen und Massendemonstrationen gibt es nicht zu sehen, es ist merkwürdig still. Und einiges hat sich tatsächlich verändert: Die USA wollen keine Führungsrolle, Deutschland enthält sich im UN-Sicherheitsrat und die europäische Linke und die Friedensbewegung sind sich bei der Bewertung des Kriegs uneinig. Teile von ihnen sowie die Mehrheit bei SPD und Grünen haben die Einrichtung der Flugverbotszone begrüßt, während CDU/CSU und FDP eine deutsche Beteiligung mehrheitlich ablehnen.

Die Erfahrungen aus Tunesien und Ägypten haben die Illusion entstehen lassen, jede Revolte in der Region sei schnell und erfolgreich. Aber wer einen Aufstand beginnt, muss auch mit seinem Scheitern oder zumindest mit langen Kämpfen rechnen. Das ist dann brutaler, wenn der Konflikt gewaltsam ausgetragen wird. In Ägypten haben sich Teile der Eliten, insbesondere das Militär, frühzeitig mit dem Veränderungsbedarf abgefunden und sich auf die Seite der Protestierenden gestellt. Dadurch wurden schnelle, kaum gewalt­same Umwälzungen ermöglicht, deren erfolgreicher Abschluss allerdings offen ist. Die ökonomische, soziale und auch politische Situation in den von Protesten betroffenen arabischen und nordafrikanischen Staaten ist zu differenziert, um von einem gleichen Umbruchsverlauf auszugehen.
So hat Muammar al-Gaddafi noch zahlreiche Anhänger und ist weiterhin zum Kampf mit militärischer Gewalt entschlossen – und auch fähig. Ähnlich ist allerdings in den verschiedenen Ländern die politische Starre und der Drang vor allem der jungen Generation nach mehr Freiheit, mehr sozialer Gerechtigkeit und einer selbstbestimmten Zukunft. Eine weitere Ähnlichkeit besteht darin, dass der Westen sich jahrelang mehr für gemeinsame Flüchtlingsabwehr und gute Geschäfte, einschließlich Rüstungslieferungen, mit den dortigen Diktaturen interessiert hat als für Demokratie und Menschenrechte. Offen ist, welche Umbrüche noch folgen und was am Ende für gesellschaftliche Wandlungen vollzogen werden. Die EU ist jedenfalls mit ihrer bisherigen Politik gescheitert und muss sich neu orientieren.
»Die Linke« steht als Partei, für die Solidarität und Gerechtigkeit wichtige Werte sind, natürlich auf der Seite der Schwachen, der politisch Entrechteten und sozial Benachteiligten. Regime, die Macht usurpieren, eine Beteiligung der Bevölkerung an Entscheidungsprozessen weitgehend ausschließen, die Bereicherung kleiner Eliten befördern, Armut produzieren, die Opposition unterdrücken und Repressionsapparate gegen Bürger des eigenen Landes einsetzen, sind mit linken Vorstellungen unvereinbar. Daran können weder die zeitweise Opposition gegen hegemoniale Politik anderer Staaten noch einige soziale Standards etwas ändern. Deshalb sieht die »Linke« die Revolten der vergangenen Monate mit großer Sympathie und hilft – wo gewünscht – den Oppositionsbewegungen. Aber die konkrete Unterstützung ist nicht einfach. Wir können uns für die Aufnahme von Flüchtlingen einsetzen, die Protestbewegungen moralisch stützen, ihre Informationen verbreiten und dies den dort Herrschenden verdeutlichen. Wir unterstützen zielgerichtete Sanktionen gegen Diktatoren einerseits und den internationalen Dialog über die Umwälzungen andererseits.

Aber sollen wir auch Geld für Waffen sammeln, die Nato an die Front schicken, Luftschläge gutheißen und damit unmittelbar in einen Bürgerkrieg eingreifen? Was ist mit unserem Ruf nach der Stärke des Völkerrechts? Was ist mit unserer Forderung nach dem Verbot von Waffenexporten, noch dazu in Krisengebiete? Was ist mit »Kollateralschäden« bei militärischen Eingriffen? Haben wir wirklich genug verlässliche Informationen über die Situation in Libyen? Was hat ein international unterstützter, gewaltsam herbeigeführter Regimewechsel für Folgen für die internationalen Beziehungen? Diese schwierigen rationalen Fragen sollten emotional verständliche, schnelle Entscheidungen mit gravierenden Konsequenzen zurückdrängen. Gründliches Nachdenken tut Not und Dilemmata sind selten einfach aufzulösen.
Das Plädoyer des Vorsitzenden der Europä­ischen Linksfraktion, Lothar Bisky, für die Resolution des Europäischen Parlaments zu Libyen und die Zustimmung französischer, schwedischer, tschechischer, dänischer und portugiesischer Genossinnen und Genossen unserer europäischen Linkspartei zur Flugverbotszone zeigen, dass das Nachdenken innerhalb der Linken zu unterschiedlichen Schlussfolgerungen geführt hat, auch wenn die Bundestagsfraktion der »Linken« die Bombardements in Libyen ablehnt. Hier, wie bei vielen Mitgliedern von SPD und Bündnis 90/Die Grünen, lediglich Kriegstreiberei als Motiv zu unterstellen, ist absurd.
Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat eine Bedrohung der internationalen Sicherheit durch die gewaltsamen Aktionen von Gaddafis Sicherheitskräften gegen Demonstranten und gegen die eigene Bevölkerung festgestellt. Das kann er. Auch die Kritik, dies sei nicht mit der UN-Charta vereinbar und deshalb völkerrechtswidrig, ist nicht überzeugend. Das Bombardieren der eigenen Bevölkerung mit allen weiteren Folgen für die Situation im Lande und der Region kann so interpretiert werden, da der Sicherheitsrat einen großen Ermessensspielraum hat. Zusätzlich könnte man auch auf die von der Generalversammlung der Vereinten Nationen beschlossene responsibility to protect verweisen. Allerdings ist die darin enthaltene militärische Komponente nur bei massenhafter ethnischer Vertreibung und Völkermord vorgesehen. Beides findet in Libyen nicht statt. In keinem Fall ist die Uno legitimiert, in einem Bürgerkrieg die Interessen einer Seite militärisch durchzusetzen.
Eine Bombardierung von Heerestruppen, Kasernen und Präsidentenpalästen, um die militärische Situation der Rebellen zu verbessern, ist nicht durch das Mandat gedeckt. Dieses Überschreiten der Resolution des UN-Sicherheitsrats fordern verständlicherweise die Aufständischen und auch ihre Unterstützer hierzulande. Aber Maßnahmen, die über den Schutz der Zivilbevölkerung hinausgehen, sind aus gutem Grund nicht völkerrechtlich gedeckt. Denn wie sollte die Staatengemeinschaft dies auf Dauer rechtfertigen und mit dem Gewaltverbot und der Staatensouveränität der Charta der Vereinten Nationen vereinbaren? Die sind jedoch Grundlagen unserer internationalen Ordnung, an deren Erhalt wir zumindest in diesem Punkt alle ein Interesse haben sollten.
Wenn man einmal von einer pazifistischen Sichtweise oder einer, die militärische Maßnahmen durch die Nato oder solche mit UN-Mandat nach Kapitel VII generell ablehnt, absieht, dann bleibt die Frage, ob eine rechtlich begründete Mandatierung einer Flugverbotszone das geeignete Mittel zum Schutz der libyschen Bevölkerung vor Gaddafis Militär ist. Das Argument, es bedürfe eines regime changes, kann nicht gelten, weil es nicht dem UN-Mandat entspricht und über das Schutzziel hinausgeht. Es müsste also möglich sein, durch die Bekämpfung libyscher Luftverteidigungssysteme und Flugzeuge sowie durch die Bombardierung offenkundig anrückender Bodentruppen den Schutz der Menschen in einem Teil des Landes zu gewährleisten. Dies aber ist unrealistisch, weil es nach den brutal niedergeschlagenen Demonstrationen und der Machtübernahme in Teilen Libyens durch die Rebellen zu einem Bürgerkrieg gekommen ist. Insofern bekämpfen sich Kombattanten in einem innerstaatlichen gewaltsamen Konflikt.

Was politisch unterstützenswert ist, kann im Rahmen des Völkerrechts bei einem Bürgerkriegsszenario nicht militärisch von außen unterstützt werden. Würde hier die Hürde tiefer gelegt, dürfte die Zahl von Interventionen und von internatio­nalisierten Bürgerkriegszuständen geradezu unüberschaubar werden. Und auch wenn es hier als praktischer Kompromiss scheint, dann Waffenlieferungen an die Rebellen an die Stelle eigener Unterstützung zu setzen, bliebe das Problem des einseitigen Eingriffs in einen Bürgerkrieg und die Verletzung des eben ausgerufenen Waffenembargos gegen das Land. Das können und dürfen Staaten und die Uno nicht.
Wie auch immer sich die militärischen Auseinandersetzungen entwickeln, am Ende werden ein Waffenstillstand und politische Verhandlungen stehen müssen. Die Uno und die EU müssen jetzt mit gezielten Sanktionen Gaddafi unter Druck setzen, damit sich der Diktator zurückzieht. Das ihm nutzbringende Ölgeschäft muss endlich zum Erliegen kommen. Das vergrößert die Chancen für eine demokratische Entwicklung. Bis dahin geht es um Hilfen für Flüchtlinge und um Vermittlung im Bürgerkrieg. Die Nato-Bomben hingegen sind eine schlechte Hilfe für Libyen.

Der Autor ist Bundestagsabgeordneter der »Linken« und Mitglied des Auswärtigen Ausschusses