Adriano kehrt nach Brasilien zurück

Kein Tamtam für Adriano

Wie viele andere Profis kehrt der brasilianische Star in sein ­Herkunftsland zurück – seine letzte Chance wolle er nutzen, ­erklärte der Stürmer.

Eine einfache Pressekonferenz – das war’s. Ohne die zunächst geplante große Begrüßungszeremonie für die Fans wurde Ende März Adriano Leite Ribeiro, kurz Adriano, bei Corinthians São Paulo als neuer Angreifer vorgestellt. Dies ist die übliche Praxis im Club für weniger namhafte Neuzugänge; Stars wie der kürzlich nach Russland gewechselte Roberto Carlos oder der vor wenigen Wochen zurückgetretene Ronaldo waren den Anhängern dagegen mit viel Tamtam im Stadion Parque São Jorge präsentiert worden.
Aber vielleicht war es gar nicht so unklug, dass Adrianos Vorstellung eher zurückhaltend und nüchtern verlief. Schon oft wurde der Spieler bei seinen neuen Clubs zunächst euphorisch begrüßt und später dann sang- und klanglos entlassen. Zuletzt Anfang März beim AS Rom. Während neun Monaten bestritt Adriano gerade einmal fünf Spiele, ohne ein Tor zu erzielen. Am 8. März wurde sein Vertrag schließlich vorzeitig aufgelöst.
Sein Ruf als enfant terrible eilt Adriano voraus. Deshalb hat sein neuer Arbeitgeber einige Vertragsklauseln eingebaut, um sich für den Fall der Fälle abzusichern. Bei Verspätungen, Abwesenheit vom Training oder anderen Disziplinverstößen außerhalb des Platzes kann der Club das Arbeitsverhältnis vorzeitig beenden. Zudem ist der Vertrag stark leistungsbezogen. Der Club scheint einige Zweifel zu hegen, ob »O Imperador« (der Imperator) noch einmal sein früheres Niveau erreichen kann.
Der 29jährige hatte in der Vergangenheit immer wieder Probleme: Übergewicht, Alkohol, ausschweifende Partys und Trunkenheit am Steuer, dazu kamen Depressionen.
Mit dem üblichen Reflex sehen viele Beobachter die Ursache dafür im schnellen Aufstieg von der Favela zum Millionenverdiener – nach dem Motto: Er hat das viele Geld nicht verkraftet. Da mag etwas dran sein, aber im Gegensatz zu vielen anderen hat Adriano nie vergessen oder verleugnet, woher er kommt: aus Vila Cruzeiro, einer der größten Favelas Rio de Janeiros.
Im Jahr 2000 debütierte Adriano als 18jähriger in der brasilianischen Liga bei Flamengo Rio de Janeiro. Schnell, robust und kopfballstark, wurde er noch im selben Jahr in die Seleção, die brasi­lianische Nationalmannschaft, berufen. Inter Mailand wurde auf den Spieler aufmerksam, verlieh ihn nach der Verpflichtung 2001 aber zunächst nach Florenz und Parma, wo er in 37 Spielen 23 Treffer erzielte. Im Winter 2003/04 holte ihn Inter zurück, und Adriano schoss Tore wie am Fließband. Bei der Copa America 2004 erzielte er den entscheidenden Treffer im Finale gegen Argentinien, ein Jahr später gewann er zusammen mit Ronaldinho und Ronaldo im Sturm den Confederations-Cup in Deutschland.
Doch abseits des Platzes hatte Adriano immer stärker mit Problemen zu kämpfen. Im August 2004 war sein Vater Almir gestorben – ein Schicksalsschlag, der Adriano stark zusetzte. Erstmals tauchten Berichte über mögliche Depressionen und Selbstmordgedanken auf, der Fußball wurde immer nebensächlicher. Nach dem frühen WM-Aus mit Brasilien 2006 folgte auch der Einbruch bei Inter. Der Stürmer wechselte nach São Paulo, wo er 2008 sowohl in der nationalen Liga als auch in der Copa Libertadores, dem südamerikanischen Pendant zur Champions League, reüssierte. Adriano kehrte zurück zu Inter, um unter Mourinho neu zu beginnen. Aber irgendwann gab es wieder Probleme. Adriano zog sich nach Brasilien zurück und verkündete, er brauche Abstand vom Fußball und werde für unbestimmte Zeit nicht spielen. Sein Vertrag bei Inter wurde aufgelöst; das vorzei­tige Karriereende schien besiegelt. Doch kurz darauf unterschrieb der Imperator einen Vertrag bei seinem Heimatverein Flamengo. Mit 19 Toren wurde Adriano in der Saison 2009 Torschützenkönig und führte Flamengo zur ersten Meisterschaft nach 17 Jahren.
Doch der nächste Rückschlag ließ nicht lange auf sich warten. Anfang 2010 kamen Gerüchte auf, dass er alkoholkrank und drogenabhängig sei; kurz darauf sollte er sich über seine Kontakte zu diversen Drogenbossen in Vila Cruzeiro äußern. Im Juni 2010 ging er schließlich zurück nach Italien, wo er einen Vertrag beim AS Rom unterschrieb, der allerdings nach einem Vorfall wegen Trunkenheit am Steuer während eines Heimaturlaubs Anfang dieses Jahres aufgelöst wurde.
Corinthians bietet dem Angreifer nun vielleicht die letzte Chance, noch einmal für positive Schlagzeilen zu sorgen, nachdem Flamengo den Star zuvor nicht hatte verpflichten wollen. Die Zeit der Alkoholexzesse sei vorbei, versicherte Adriano gegenüber TV Globo und kündigte an, nie wieder in den europäischen Fußball zurückzukehren. »Wer zuletzt lacht, lacht am besten«, sagte er und zeigte sich überzeugt, die Chance bei Corinthians zu nutzen, wo er einen Vertrag bis Juni 2012 unterschrieben hat. Die Fans scheinen da skeptischer. Der Club sei kein »Rehabilitationszentrum«, protestierten sie gegen die Verpflichtung. Vielleicht hat der Verein auch deshalb die Begrüßungsparty ausfallen lassen. Nach dem peinlichen Aus in der Qualifikation zur Copa Libertadores gegen ein No-Name-Team aus Kolumbien hatte es bereits genug Ärger gegeben.
Der FC São Paulo dagegen ließ es sich nicht nehmen, seinen neuen Star in großem Stil zu empfangen. 45 000 Zuschauer feierten im Stadion Morumbi die Verpflichtung von Luis Fabiano, der nach sieben Jahren in Europa zu dem Verein zurückkehrt, für den er schon von 1999 bis 2000 und von 2001 bis 2004 gespielt hatte.
Traditionell verliert Brasilien seine besten Spieler und größten Talente an die europäischen Ligen. Auch wenn dieser Trend keineswegs gestoppt ist, führen Adriano und Luis Fabiano eine lange Liste von Spielern an, die in den vergangenen beiden Jahren ins Land zurückgekehrt sind: Ronaldinho vom AC Mailand zu Flamengo, Edu vom FC Valencia zu Corintians, Edmilson von Villarreal zu Palmeiras, Fred von Olympique Lyon zu Fluminense, Rivaldo zu FC São Paulo, Elano zum FC Santos, Deco zu Fluminense …
Zwar haben altgediente Nationalspieler ihre Karriere schon immer in der Heimat ausklingen lassen, doch nun sind mehr und mehr Spieler darunter, die noch längst nicht an ein Kar­riereende denken und noch ohne Probleme einen Verein in Europa gefunden hätten. Elano und Luis Fabiano sind sogar gegenwärtig Nationalspieler.
Denn mittlerweile lässt sich auch in der brasilianischen Liga viel Geld verdienen. Luis Fabiano, für den São Paulo immerhin 7,6 Millionen Euro nach Sevilla überwiesen hat, oder Elano spielen keineswegs nur aus alter Verbundenheit zu ihren Heimatvereinen wieder in Brasilien. Die Millionenverträge werden zum Teil von Sponsoren übernommen oder aus den gesteigerten Trikotverkäufen bezahlt. Und von den großen Namen bei den Traditionsvereinen profitiert die gesamte Liga. Die Aufmerksamkeit der Zuschauer und Medien steigt und mit ihnen das Interesse der Sponsoren.
Dass in der Liga derzeit relativ viel Geld bewegt wird, hängt auch mit Brasiliens Wirtschaftswachstum zusammen. Die Schlüsselindustrien befinden sich in Staatsbesitz, die weltweite Wirtschafts- und Finanzkrise hat das Land kaum getroffen; hinzu kommt die Euphorie um die Fußballweltmeisterschaft 2014 und die Olympischen Spiele in Rio de Janeiro 2016. Fußballstadien werden modernisiert oder neu gebaut. Brasiliens Wirtschaft boomt und mit ihr die einheimische Liga. So kehren nicht nur bekannte Spieler in die Liga zurück, sondern auch ehemalige Nationaltrainer wie Carlos Alberto Parreira, Vanderlei Luxemburgo oder Felipe Solari.
Trotz allem aber bleibt Brasilien der größte Exporteur von Fußballspielern. Mehr als 1 000 brasilianische Profis verdienen derzeit im Ausland ihr Geld. Die Ausbildung und der Export von jungen Fußballtalenten ist zu einem hart umkämpften Geschäftszweig geworden, in dem Fußballer schon im Kindes- und Jugendalter als Ware gehandelt werden. Derzeit liefern sich die europäischen Spitzenclubs ein Wettbieten um das nächste große Talent des brasilianischen Fußballs – Santos’ Stürmer Neymar.