Ermittlungen gegen Antifas wegen Angriffen auf Nazis

17 Antifas auf einen Streich

Wegen Angriffen auf Nazis ermittelt die sächsische Polizei derzeit gegen 17 Personen. Dass sie der Bildung einer kriminellen Vereinigung beschuldigt werden, freut auch die NPD.

Wenn im Laufe von zwei Jahren in einer Stadt etwa eine Handtasche entwendet und eine Bank ausgeraubt wird oder in unterschiedlichen Stadtteilen einige Autos gestohlen werden, dann muss zwischen diesen Straftaten nicht automatisch ein Zusammenhang bestehen. Dieser wird umso unwahrscheinlicher, wenn sich das Vorgehen und die Motive der Täter in den einzelnen Fällen stark unterscheiden. Die einzige Gemeinsamkeit der Täter wäre, dass es sich um Diebe handelt.

Der Zusammenhang zwischen den Taten, die einer Gruppe von 17 jungen Menschen in Sachsen derzeit vorgeworfen werden, erschließt sich ebenfalls nicht ohne weiteres. In der vergangenen Woche klingelten Polizisten an den Türen der 17 Verdächtigen, um anschließend deren Wohnungen zu durchsuchen. Die Hausdurchsuchungen wurden mit den Ermittlungen im Fall von drei Angriffen auf Nazis in Dresden begründet. So wurde im Oktober 2009 eine Gruppe Nazis auf dem Rückweg von einer Demonstration von etwa 15 Vermummten attackiert. Die Polizei ermittelt ebenfalls wegen eines Angriffs auf Nazis im August 2010, bei dem die Attackierten zum Teil schwer verletzt wurden. Sie hatten ein alternatives Wohnprojekt überfallen, wurden jedoch von den Bewohnern des Hauses verfolgt und verprügelt. Die letzte von der Staatsanwaltschaft angeführte Tat ereignete sich am 19. Februar. Eine Gruppe von zehn Vermummten demolierte im Dresdner Vorort Freital die Fensterscheiben zweier parkender, von Nazis angemieteter Busse und soll dabei in Kauf genommen haben, dass sich auch der Busfahrer Verletzungen hätte zuziehen können, was aber nicht geschah.
Diese Tat soll vom Informations- und Pressebüro des Bündnisses »Dresden nazifrei« geplant worden sein, sagt Staatsanwalt Lorenz Haase auf Anfrage. Wie sich der Zusammenhang zwischen den unterschiedlichen Taten herstellen lässt, beantwortet Haase wegen der laufenden Ermittlungen nicht. Ebenso wenig gibt er Auskunft darüber, weshalb die Staatsanwaltschaft die Schlussfolgerung zieht, dass bei den Taten eine kriminelle Vereinigung am Werk war.

Martin V.*, der von der Staatsanwaltschaft beschuldigt wird, sich an der Bildung einer kriminellen Vereinigung beteiligt zu haben, ist am Tag nach der Hausdurchsuchung noch sichtlich schockiert. Gegen 4.30 Uhr klingelten die Polizeibeamten. Neben Computern und Datenspeichern wurde eine Fahne beschlagnahmt, anschließend wurde V. auf der Wache einer erkennungsdienstlichen Behandlung samt DNA-Probe unterzogen. Trotzdem ist er sehr zuversichtlich, dass es zu keiner Anklage gegen ihn kommen wird: »Die Auflistung der Staatsanwaltschaft macht den Anschein, als ob man mal eben alle unaufgeklärten Antifa-Aktionen in Dresden und Umgebung aufgelistet hat, um dann im Anschluss die absurde Behauptung aufzustellen, dass das immer die gleichen Täter waren. Das ist aber völlig haltlos.«
Die Polizei beruft sich auf telefonische Abhörprotokolle. So soll V. zweimal telefonisch seine Gesprächspartner über die Treffpunkte von Nazis informiert haben. Deshalb hätte es zu Angriffen kommen können. Dass diese nicht stattfanden, spielt in der Beschlussvorlage zur Hausdurchsuchung keine Rolle.
Besser vorbereitet als das Verfahren selbst ist die Pressearbeit der Staatsanwaltschaft Dresden. Am Tag der Durchsuchungen wurden unter anderem Bilder eines Pflastersteins, eines beschädigten Busses und das Bild von Kopfverletzungen eines Nazis in der Öffentlichkeit verbreitet. Der Vorwurf der Bildung einer kriminellen Vereinigung nach Paragraph 129 des Strafgesetzbuchs ist ganz im Sinn der Extremismus-Ideologie der derzeitigen schwarz-gelben Regierung und sichert den Ermittlungsbehörden umfangreiche Möglichkeiten der Kommunikationsüberwachung, Observation und Datensammlung. Der Öffentlichkeit wird dabei das düstere Bild von gewalttätigen Chaoten vermittelt. Und das sächsische Innenministerium kann mit entsprechenden Zahlen aufwarten. Auf die Frage nach der Gefahrenlage im Freistaat antwortet der Pressesprecher des Ministeriums: »Besorgniserregend ist vor allem der starke Anstieg und neue Höchststand linksmotivierter Gewaltdelikte von 89 im Jahr 2009 auf 130 im Jahr 2010.«

Die sächsische Regierungskoalition scheint es nicht zu stören, dass es im Themenbereich »Linksextremismus« durchaus Übereinstimmung mit der NPD-Fraktion im Landtag gibt. Exemplarisch dafür steht eine parlamentarische Anfrage zum sächsischen Aussteigerprogramm. Der CDU-Abgeordnete Ronald Pohle fragte 2010 bei der Staatsregierung nach, warum es angesichts der Zunahme der linksextremen Gewalttaten kein »Ausstiegsprogramm für Linksextreme« gebe. Die Antwort auf diese kleine Anfrage wurde vom NPD-Abgeordneten Andreas Storr genutzt, um insgesamt drei schriftliche Nachfragen zu stellen. Der dem rechten Flügel seiner Partei angehörende innenpolitische Sprecher der CDU-Landtagsfraktion, Volker Bandmann, wird für seine Redebeiträge über »kriminelle Antifa-Gruppen« immer wieder von der NPD gelobt – zuletzt im Rahmen einer Landtagsdebatte im März.
Wenige Tage vor den Durchsuchungen wurde der CDU-Politiker Jörg Michaelis neuer Präsident des Landeskriminalamtes Sachsen. Er hatte immer wieder gefordert, dass der »Linksextremismus« zum neuen Arbeitsschwerpunkt der Behörde werden müsse. In der vergangenen Woche beschloss der Dresdener Stadtrat mit einer knappen Mehrheit der Stimmen von CDU, FDP und NPD, nur unter Vorbehalt die Förderung des Jugendvereins »Roter Baum« zu gewähren. In dessen Räumen hatte die Polizei im Februar eine Razzia gegen das Info- und Pressebüro des Bündnisses »Dresden nazifrei« durchgeführt. Der Dresdener NPD-Kreisvorsitzende Jens Baur bedankte sich postwendend bei der CDU für den gemeinsamen Beschluss, er freue sich, dass die Konservativen sich der Sache angenommen hätten. Nach dem Beginn der Ermittlungen wegen des Verdachts der Bildung einer kriminellen Vereinigung geht es nach Baurs Ansicht nun um die »generelle Trockenlegung des Fördermittelsumpfes für linke Jugendprojekte, die mit öffentlichen Geldern ihre antideutschen Aktivitäten finanzieren«.

* Name von der Redaktion geändert