Der erste bundesweite »Boy’s Day«

Echte Kerle sind flexibel

Vergangene Woche fand der erste »Boy’s Day« statt. Er gehört zu einer Reihe von ­Initiativen, mit denen die Männer von morgen auf die Neubestimmung des Verhältnisses von Ökonomie und Geschlecht vorbereitet werden sollen.

Wie die penetrante Beschwörung von Fitness im Alter die reale Verwandlung von Senioren in lebende Tote begleitet, so erweckt die Veranstaltung eines »Jungen-Zukunftstages« den Verdacht, dass die Zukunft der Jungen akut bedroht ist. Tatsächlich stellen die Aufrufe, mit denen Familienministerin Kristina Schröder (CDU) und die Initiatoren der von der Bundesregierung unterstützten Kampagne »Neue Wege für Jungs« Schulen, Unternehmen und gemeinnützige Einrichtungen zur Teilnahme am bundesweit ersten »Boy’s Day« in der vergangenen Woche animieren wollten, den minderjährigen Vertretern des männlichen Geschlechts zwischen den Zeilen ein vernichtendes Zeugnis aus. Jungen, heißt es darin etwa, müsse beigebracht werden, »Chancengleichheit und Rollenvielfalt« als »persönlichen Gewinn« anzusehen, den »Ausbau sozialer Kompetenzen« zu betreiben und »facettenreichere Männlichkeitsmuster« zu entwickeln.

Übersetzt in Alltagssprache, beschreibt diese Diagnose einen unbestreitbaren Sachverhalt: Viele männliche Jugendliche, die Schulen, Freizeiteinrichtungen und Clubs bevölkern, gerieren sich tatsächlich als aggressionsgeladene Chauvinisten, die jeden niedermachen, der schwächer ist als sie, jede Spur zivilisierten Verhaltens bei anderen verhöhnen und deren Kommunikation mit weib­lichen Menschen sich weitgehend in Grunz- und Balzlauten erschöpft. Soziale Fähigkeiten, die entwickelt werden könnten, lassen sich bei manchen kaum entdecken.
Doch die Annahme, Kristina Schröder habe aus Anlass des »Boy’s Day« zu einer härteren Hand beim pädagogischen Umgang mit dem männ­lichen Nachwuchs auffordern wollen, ginge fehl. Im Gegenteil bringt sie Verständnis für den Machismo der Knaben auf. Mitschuld an ihm trage, so die vulgärpsychologische Erklärung, die Schröder auch zum »Boy’s Day« wiederholte, das Fehlen »männlicher Bezugspersonen« in den weiblich dominierten Erziehungsberufen, was dazu führe, dass die »spezifischen Bedürfnisse von Jungen« an Kindertagesstätten und Schulen zu wenig Berücksichtigung fänden. Als Gegenmaßnahme empfiehlt sie, Männer stärker für »weibliche« Berufe anzuwerben, und propagiert eine »Enttraditionalisierung« und »Flexibilisierung« überkommener Geschlechtermodelle.
Bei dem Versuch, Geschlechterkonservatismus und »Enttraditionalisierung« miteinander zu verbinden, kommt dem Schlagwort vom »Facettenreichtum« eine wichtige Bedeutung zu. Selbstverständlich soll mit keinem Wort in Frage gestellt werden, dass es so etwas wie »spezifisch männliche« oder »spezifisch weibliche« Bedürfnisse gibt. Vielmehr geht es darum, die von der ökonomischen Entwicklung überholten bürger­lichen Geschlechterrollen durch einen weichgespülten Essentialismus zu ersetzen, der die bio­logistisch begründeten Stereotype nicht abschafft, sondern als Optionen verfügbar hält, die je nach strategischem Bedarf flexibel eingesetzt werden können.

Jungen, so muntern Schröder und ihre männerbewegten Kollegen die Buben auf, müssten sich nicht schämen, wenn sie sich für eine Arbeit im »weiblichen« Erziehungs- und Pflegebereich entscheiden oder gar als Hausmänner das Heim hüten. Vielmehr wird ihnen die Bereitschaft, ihrem Geschlechtscharakter so fremde Eigenschaften wie Empathie, Kommunikativität, Geduld und Rücksichtnahme zu entwickeln, als Virilitätsbonus gutgeschrieben, der aus ihnen allererst echte Männer macht. Deshalb konnte schon vor fünf Jahren, als die Idee einer »Jungenförderung« erst im Entstehen begriffen war, die Kampagne »Coole Jungs« für die Tätigkeit von Jungen als Pfleger oder Hausmänner mit T-Shirts werben, auf denen öde Kalauer wie »Mach’ meine Alte nicht an« oder »Geh’ mir nicht an die Wäsche« prangten, um zu beweisen, dass die Überschreitung der geschlechterspezifischen Berufsgrenzen durchaus mit der Reanimierung stumpfsinnigster Geschlechter­klischees vereinbar ist. Und deshalb konnte die Zeit ihr PR-Interview mit Schröder anlässlich des »Boy’s Day« mit dem vatertagstauglichen Slogan »Ein Tag für Kerle« betiteln. Der »Neue Mann«, der sich zum Babywickeln und Bügeln nicht zu schade ist, die Schwiegermutter beim regelmäßigen Wochenendbesuch innig herzt und mit seiner Partnerin gleichberechtigt über Verhütungsmethoden diskutiert, ist eben zugleich ein viel virilerer Typ als die abgeschriebenen Altmänner, die sich nicht einmal ihre Knöpfe selbst annähen können.
Schröders Engagement für einen höheren Anteil von Frauen in Führungspositionen, das scheinbar im Widerspruch zu ihrer Begeisterung für »Jungenförderung« steht, fügt sich genau in diese Ideologie des »Facettenreichtums«. Denn obwohl die Farben Rosa und Blau bei der Kinderkleidung und Zimmereinrichtung längst wieder zur Norm geworden und die abgeschmacktesten Geschlechterstereotype (»Einparken und zuhören können«) Bestandteil des Massenbewusstseins sind, rümpfen dieselben Eltern, die Mädchen für naturgemäß gefühlvoller halten als Jungen, die Nase, wenn ihre Kleine sich für nichts anderes als Puppen und Pferde interessiert. Mädchen wie Jungen sollen eben beides zugleich sein: vollendete Prachtexemplare des eigenen Geschlechts und flexible Wettbewerber beim Existenzkampf, die durch mimetische Aneignung angeblich geschlechtsfremder Charaktermerkmale optimale »Zukunftsfähigkeit« beweisen. Zu diesem Bedürfnis passt eine Geschlechterpolitik, welche die vermeintlich natürlichen Differenzen immer wieder betont, um sie als überwindbar und ihre Überwindung als besonderen Erfolg darzustellen. Wenn Mädchen, die doch eigentlich dumm und gefühlvoll sind, zu Intellektuellen mutieren oder einen technischen Beruf ergreifen, vollbringen sie dieser Logik zufolge eine ebenso außergewöhnliche Leistung wie Knaben, die lernen, Babys die Flasche zu geben oder Frauen als gleichberechtigte Menschen zu behandeln.

Welche Misere dieser Renovierung der tradierten Geschlechterrollen zugrundeliegt, zeigt ein Blick auf die Unterstützerliste des »Boy’s Day«, der unter anderem von der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe, der Arbeitslosenversicherung der Bundesagentur für Arbeit und der Freien Wohlfahrtspflege gefördert wird. Eine Rangliste ökonomischer Tristesse, die den wahren Sinn der Forderung offenbart, Jungen müssten ihre »eingleisige Fixierung auf die Erwerbsarbeit« aufgeben. Wo tendenziell jeder Bürger ein prospektiver Erwerbsloser ist, müssen Frauen sich die Hoffnung auf ein unbehelligtes Dasein als bessere Hälfte ebenso abschminken wie Männer das Vertrauen auf eine sichere Karriere. Stattdessen müssen alle sich gegenseitig bei der Selbstverwaltung des eigenen Elends helfen, so gut es geht.
In Anbetracht der omnipräsenten Drohung, jederzeit als nutzlos ausgemustert zu werden, sind Mann und Frau tatsächlich gleich: daher die so liberal daherkommende Forderung nach »facettenreicheren« Geschlechtermustern. Und während Familie und Partnerschaft immer stärker zu Teilzeitjobs im Rahmen eines allumfassenden Selbstmanagements werden, avanciert »Genderkompetenz« im Berufsleben zur Schlüsselqualifikation, mit der hin und wieder auch Männer ihre Konkurrentinnen ausstechen können. Kristina Schröder wäre die Erste, die sie dafür lobt.