Stichwahl bei den Präsidentschaftswahlen in Peru

El Comandante legt die Krawatte an

Bei der Stichwahl zur Präsidentschaft müssen sich die Peruaner zwischen zwei dubiosen Kandidaten entscheiden. Ollanta Humala versuchte, sich an die Macht zu putschen, Keiko Fujimori repräsentiert ihren wegen Menschenrechtsverletzungen und Korruption inhaftierten Vater.

»Wir brauchen mehr Initiativen in der Bildung, wir müssen mehr für die Kinder tun. Perus Bildungssystem ist desolat. Doch mit dem Ausgang der Wahl habe ich wenig Hoffnung, dass wir da Fortschritte sehen werden«, sagte Susana Baca. Die Sängerin, die mit dem Soul der schwarzen Minderheit auch außerhalb Perus Erfolg hat, ist ratlos. Weder von Keiko Fujimori noch von ihrem Konkurrenten Ollanta Humala erwartet sie Initiativen für die Verbesserung des Bildungssystems.
Peru ist nach Haiti das Land mit dem schlechtesten Bildungsniveau in Lateinamerika. Als der noch amtierende Präsident Alan García 2007 landesweit die Qualifikation der Lehrer testen ließ, waren die Ergebnisse verheerend. Doch der wirtschaftsliberal agierende Garcia, ein ehemaliger Sozialdemokrat, hat das nicht zum Anlass genommen, endlich in die Bildung zu investieren.
Unzufrieden mit den Kandidaten ist auch der berühmteste peruanische Schriftsteller, der Literaturnobelpreisträger Mario Vargas Llosa. Der für seine markanten politischen Aussagen bekannte Liberale kritisierte bereits vor der Wahl vom 10. April, dass sich gleich drei Kandidaten um die Stimmen der politischen Mitte beworben und so den Extremen in die Hände gespielt hätten. Besagte Kandidaten waren der liberal-konservative Pedro Pablo Kuczynski, der ehemalige Präsident Alejan­dro Toledo und Luis Castañeda, der ehemalige Bürgermeister der Hauptstadt Lima. Die drei gelten zwar allesamt als erfahrene Politiker, haben allerdings eine zentralen Schwäche. Sie konnten die arme Bevölkerungsmehrheit nicht überzeugen.

Unter den armen Peruanern hat nur Alejandro Toledo, der von 2001 bis 2006 das Land regierte, einen gewissen Zuspruch. Der aus einfachen Verhältnissen stammende Mann wurde erster indigener Präsident Perus als Nachfolger des Autokraten Alberto Kenya Fujimori. Die Erwartungen der armen indigenen Mehrheit konnte Toledo entgegen seinen zahlreichen Versprechen zwar nicht erfüllen, immerhin sorgte er aber dafür, dass man in Peru begann, sich mit der Aufarbeitung der Vergangenheit zu beschäftigen. Ein wesentlicher Grund, weshalb der ehemalige Präsident Fujimori in mehreren Verfahren wegen Menschenrechtsverletzungen und Korruption zu hohen Haftstrafen verurteilt wurde.
Doch auch Toledo gewann nur 15 Prozent der Stimmen, knapp vier Prozent weniger als Pablo Kuczynski. Erfolgreicher waren Keiko Fujimori, die Tochter Albertos, die 23,2 Prozent der Stimmen ergatterte, und der linksnationalistische Ollanta Humala, ein ehemaliger Offizier, der 31 Prozent erhielt. Da kein Kandidat die absolute Mehrheit bekam, kommt es am 5. Juni zu der Stichwahl zwischen Ollanta Humala und Keiko Fujimori, die Mario Vargas Llosa schon vor Wochen prognostiziert und als »Wahl zwischen Aids und Krebs im Endstadium« bezeichnet hatte.
Keiko Fujimori ist erst 35 Jahre alt, war aber schon als Teenager die First Lady an der Seite ihres Vaters, nachdem sich dessen Frau von ihm getrennt hatte. Sie studierte Betriebswirtschaft an der Columbia University in New York, bis sie dort erfuhr, dass ihr Vater in Chile festgenommen worden war. Die peruanische Regierung hatte ein Auslieferungsgesuch gestellt, um dem 2001 nach Japan geflohenen Alberto Fujimori den Prozess zu machen. Daraufhin eilte die treue Tochter nach Lima und setzte sich an die Spitze der Fujimori-Bewegung, die gegen die Auslieferung und gegen die Strafverfolgung des ehemaligen diktators ist und für die Wiederwahl des in Peru als »El Chino« bekannten Autokraten wirbt.

Diese Ziele erreichte die Bewegung nicht, doch war sie insofern erfolgreich, als im April 2006 Keiko Fujimori in den Kongress gewählt wurde – mit den meisten Stimmen, die je eine Abgeordnete in Peru erhalten hat. Im Zentrum ihrer politischen Agenda steht die Rehabilitierung ihres Vaters. Bereits Anfang 2009 begann sie ihre Kampagne »Fuerza 2011« für die Präsidentschaftswahlen. Im Wahlkampf sprach sie unermüdlich von den Erfolgen ihres Vaters im Kampf gegen die maoistischen Rebellen des Sendero Luminoso und die Revolutionäre Bewegung Túpac Amaru (MRTA) sowie bei der Bekämpfung der Hyperinflation Anfang der neunziger Jahre. Die zahlreichen Menschenrechtsverletzungen, die Korruption, die allgegenwärtigen Manipulationen und die Erpressung politischer Gegner unter seiner Herrschaft erwähnte sie nicht.
Ob Keiko Fujimori ihren Vater – wie in der Vergangenheit oft angekündigt – rehabilitieren und begnadigen wird, ließ sie als Präsidentschaftskandidatin zwar offen. Doch für die Aufklärung der Menschenrechtsverletzungen während der Bürgerkriegsjahre, die gerade erst begonnen hat, wäre ihre Wahl ein Desaster. »Der Bau des Museums der Erinnerung würde sicherlich storniert werden, und eine Kultur des Gedenkens kann ich mir unter Keiko Fujimori schlicht nicht vorstellen«, sagte Solomón Lerner schon lange vor der Wahl. Der international bekannte ehemalige Leiter der peruanischen Wahrheitskommission ist sich allerdings auch nicht sicher, wie Ollanta Humala in dieser Frage entscheiden würde.
Humala war als Offizier gegen die beiden Guerillaorganisationen im Einsatz, und ob er sich vor die Armee stellen wird, wenn es um die Aufklärung der Verbrechen im Bürgerkrieg (1980–2000) geht, ist vollkommen unklar. Ansonsten gibt sich der Mann, der bereits 2006 für das höchste Staatsamt kandidierte und Alan García unterlag, im Wahlkampf nun deutlich moderater. Er legt Wert auf Distanz zur Bewegung des »Etnocacerismus« und zum venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez. Humala hat PR-Experten des ehemaligen brasilianischen Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva angeheuert und das rote Hemd gegen Anzug und Krawatte getauscht. Gleichwohl nennen ihn viel Peruaner »El Comandante«, weil er ähnlich wie Hugo Chávez ein ehemaliger Offizier ist und wie dieser versucht hat, sich an die Macht zu putschen. Das war im Jahr 2000, und 2004 versuchte es sein Bruder Antauro noch einmal. Der sitzt heute noch im Gefängnis.

Für die peruanische Oberschicht, aber auch die internationalen Investoren will Ollanta Humala die Bedingungen allerdings verändern. Dabei soll nicht, wie noch 2006 angekündigt, verstaatlicht, sondern neu verhandelt werden. Félix Jiménez, Humalas Wirtschaftsberater und Professor an der katholischen Universität von Lima, betonte mehrfach, dass man sich eher am bolivianischen Modell von Evo Morales als am Vorbild von Chávez orientiere. So sollen die internationalen Konzerne angehalten werden, die Verträge neu auszuhandeln, wodurch die Marge, die in den Kassen des Staats landet, deutlich erhöht werden soll. Die Investoren sollen einen höheren Anteil abtreten, aber nicht abgeschreckt werden.
Unstrittig ist, dass der 48jährige Humala für seine »Umwandlung« des Landes Kapital braucht. Höhere Investitionen in Bildung und Gesundheitsversorgung sind geplant, und die nötigen finanziellen Mittel sollen durch höhere Steuern für Bergbau- und Erdgasfirmen erwirtschaftet werden. Dafür will Humala »eine soziale Mehrheit schaffen«, und die Chancen stehen nicht schlecht. Der Kandidat Alejandro Toledo hat ihm bereits Unterstützung angeboten, und selbst der Liberale Mario Vargas Llosa hat nun angekündigt, er wolle genau beobachten, wie Humala sich verhält, und werde ihn am 5. Juni eventuell wählen. Denn wie viele Peruaner will er auf keinen Fall noch einmal von einem Mitglied der Familie Fujimori regiert werden.