Die Renationalisierung der europäischen Politik

Europa stößt an seine Grenze

Die EU-Staaten haben nur noch eines gemeinsam: ihren Trend zum Rassismus.

Paradoxer könnte die Lage kaum sein. Einerseits unterstützen viele europäische Staaten, darunter auch Italien, die militärische Intervention in Libyen, um die Zivilbevölkerung vor Gaddafis Schergen zu schützen. Zugleich drohen europäische Politiker nordafrikanischen Flüchtlingen mittlerweile unverhohlen mit Gewalt, falls sie nach Europa kommen sollten.
»Dieses Problem könnte so unglaublich groß werden, dass wir uns fragen müssen, ob wir Waffen einsetzen sollen«, hetzte vergangene Woche der italienische Vize-Transportminister Roberto Castelli von der Lega Nord. Auch in Deutschland ist man bereit, bis zum Äußersten zu gehen. Vor begeisterten Anhängern dröhnte der CSU-Vorsitzende Horst Seehofer kürzlich, er wolle die Zuwanderung in deutsche Sozialsysteme »bis zur letzten Patrone« bekämpfen.
Viel mehr als die Militarisierung ihrer Grenzen ist der EU bislang zum Thema Migration nicht eingefallen. Bereits eine bescheidene Zahl nordafrikanischer Flüchtlinge genügt, um halb Europa in Angst und Schrecken zu versetzen. Gerade 26 000 Migranten haben bislang Italien erreicht. Zum Vergleich: Tunesien, ein Land mit knapp zehn Millionen Einwohnern, das selbst mit gravierenden Problemen zu kämpfen hat, nahm bisher mehr als 200000 Menschen aus Libyen auf. Von Forderungen, die Grenzen zu schließen, ist in Tunis bisher nichts zu hören.
Dafür umso mehr in Europa. Nachdem die italienische Regierung begonnen hat, den Migranten vorläufige Aufenthaltsgenehmigungen auszustellen, drohen die anderen EU-Staaten damit, ihre Grenzen zu schließen. Man dürfe schließlich »kein Signal geben, dass wir irreguläre Migration in der EU akzeptieren«, erklärte der französische Innenminister Claude Guéant. In Bayern kündigte Innenminister Joachim Herrmann (CSU) an, die Kontrollen in den grenznahen Gebieten zu verstärken. Seine österreichische Kollegin Maria Fekter warnte vor einem »Staubsaugereffekt«, wenn sich herumspräche, dass Italien Visa an Illegale verteilt, um sie wieder loszuwerden.
Bei der Migrationsdebatte setzt sich die Renationalisierung der europäischen Politik fort, die sich seit Beginn der Währungs- und Finanzkrise abzeichnet. Immer mehr pochen die EU-Regierungen auf ihre jeweiligen nationalen Interessen – oder was sie im Zweifelsfall dafür halten. Immerhin stehen demnächst in Italien wichtige Kommunalwahlen an. Und Stimmung gegen Flüchtlingen zu machen, kommt gut an – so wie derzeit fast überall in Europa.
»Zuwanderer, die hier leben, bedrohen meine persönliche Lebensweise und meine Werte«. Diese Aussage stößt nicht nur bei Horst Seehofer, sondern bei vielen Europäern auf Zustimmung, wie die kürzlich veröffentlichte Studie »Die Abwertung der Anderen« der Friedrich-Ebert-Stiftung belegt. Jeder zweite Befragte meinte, dass zu viele Ausländer in Europa leben. Die Rechtspopulisten von den »Wahren Finnen« in Helsinki bis zur Lega Nord in Mailand werden sich darüber freuen. Zumindest in der Ablehnung der Anderen sind sich die Europäer einig.