Frauenfußball in der DDR

Freiraum in der Nische

Der DDR-Frauenfußball wurde zwar nicht gefördert, aber immerhin auch nicht verboten, wie 15 Jahre lang in der BRD.

Bereits 1971 berichtete die Sendung »Sportreporter« des DDR-Fernsehens über »Knäckebäckerinnen gegen Schokoladenmädchen«. Auf dem Fußballplatz der Knäckebrotwerke in Burg empfingen die heimischen Spielerinnen die Gäste von Empor Tangermünde, die dort im täglichen Leben in der Zuckerraffinerie tätig waren. In Burg rechnete man für dieses Spiel, so der »Sportreporter«, mit dem Besuch von etwa 900 Zuschauern. Der Platzrekord lag bei 1 500 – eine Zuschauerzahl, die jeder gegenwärtige Frauen-Bundesligist mit Begeisterung akzeptieren würde.
Die kleine Reportage gibt einen kurzen Einblick in die fast vergessene Geschichte des Frauenfußballs in der DDR. »20 Jahre nach der Vereinigung ist es wichtig zu betonen, dass es auch in diesem Teil Deutschlands Frauenfußball gab und nicht nur in der Bundesrepublik«, sagt Carina Sophia Linne, die am Lehrstuhl »Zeitgeschichte des Sports« in Potsdam zur deutsch-deutschen Geschichte des Frauenfußballs forscht. Ihr Fokus liegt auf dem DDR-Sport, sie hat mit vielen ehemaligen Spielerinnen gesprochen: »Meine Arbeit ist auch eine Gelegenheit, die Geschichten dieser Frauen zu präsentieren.«
Oder die bisherige Fußballhistorie zu korrigieren, denn die datiert das erste Frauenfußballspiel in der DDR auf das Jahr 1969. Carina Sophia Linne stieß jedoch in den Archiven der ostdeutschen Fußballwoche auf eine deutlich frühere Erwähnung: »Am 2. Februar 1960 berichtet die FuWo über ein Spiel in Dresden zwischen einer Dresdener und einer Leipziger Mannschaft. Leider ist es mir auch über Anzeigen in Lokalzeitungen bisher nicht gelungen, diese Spielerinnen zu finden.« Gemessen an Titeln war der ostdeutsche Frauenfußball weniger erfolgreich, mit einem Verbot durch den Verband allerdings, wie es 15 Jahre lang in der Bundesrepublik galt, mussten sich die DDR-Fußballerinen nicht herumschlagen. Frauenfußball wurde geduldet, allerdings auch nicht besonders gefördert. Als nicht-olympische Disziplin fiel er aus dem Leistungssportsystem heraus und galt buchstäblich als zweitklassig, als Freizeit- und Erholungssport. Carina Sophia Linne sagt: »Zur Geschichte des Frauenfußballs in der DDR gehört, dass er eine Bewegung von unten war. Der Verband musste auf das Interesse der Frauen reagieren. Das war ein großer Gegensatz zu den Strukturen des DDR-Sportsystems mit seinen zentralistischen Planungen von oben.«
Exemplarisch für die Haltung des Deutschen Fußball-Verbandes (DFV) in der DDR ist die Geschichte der Leipzigerin Waltraud Horn. 1967 wandte sie sich mit einem Brief an den DFV und bat um Unterstützung beim Aufbau einer Frauenmannschaft. Im Antwortbrief, den Waltraud Horn bis heute sorgfältig aufbewahrt, heißt es, ihr Schrei­ben sei bei der Weihnachtsfeier der Männer-Nationalmannschaft vorgelesen worden, man danke für ihr Interesse, plane aber im Moment nicht, den Frauenfußball zu fördern. Horn ließ sich nicht entmutigen und baute gemeinsam mit ihrem Vater schon ein Jahr später ein Team bei der Betriebssportgemeinschaft Chemie Leipzig auf.
Die Betriebssportgemeinschaften sind entscheidend für die Geschichte des DDR-Frauenfußballs, sie boten den »Schokoladenmädchen« und »Knäckebäckerinnen« eine strukturelle und finanzielle Absicherung. Nach Carina Sophia Linnes Einschätzung war die Situation des Frauenfußballs in den siebziger und frühen achtziger Jahren dadurch besser als im Westen: »Durch den Betrieb im Hintergrund waren die Trainingsplätze abgesichert, das Training wurde auf die Arbeitszeiten abgestimmt, es gab Freistellungen für Trainingslager, was in der Bundesrepublik nicht immer Usus war. Insofern hatten die Frauen bessere Voraussetzungen, um ihren Sport neben dem Beruf auszuüben.« Das Beispiel der erfolgreichsten ostdeutschen Mannschaft zeigt, wie der Frauenfußball von unten in die Betriebe und Kombinate kam. Die Gründung einer Frauenfußballmannschaft in der BSG Turbine Potsdam 1971 war zunächst eine Art Silvesterscherz, nach einem entsprechenden Aufruf meldeten sich jedoch so viele fußballinteressierte Frauen, dass daraus schnell Ernst wurde. Bernd Schröder erklärte sich bereit, den Trainingsbetrieb zu leiten, und tut das heute noch.
In die Spieleordnung des DDR-Verbandes wurde der Frauenfußball 1971 aufgenommen, derweil hatte der westdeutsche DFB sein Verbot aufgehoben. Eine Meisterschaft trug man erst 1979 aus, in der Sprache des DDR-Sports hieß sie »Bestenermittlung«, denn Disziplinen des Freizeit- und Erholungssports waren nicht meisterschaftsberechtigt. »Unter sich haben die Spielerinnen wohl dennoch von Meisterschaft gesprochen«, erzählt Carina Sophia Linne, »auch wenn das nach außen nicht ging.« So positiv die Betriebssportgemeinschaften (BSG) für den Frauenfußball in den ersten Jahren gewesen sein mochten, die Entwicklung nationaler Verbandsstrukturen erwies sich als schwierig. Die Gründung einer Nationalmannschaft samt Auswahltraining mit den entsprechenden Ausrüstungen und Konzepten zog sich hin – die Trainer der verschiedenen BSG hatten ein großes Interesse daran, konnten sich jedoch erst Ende der achtziger Jahre durchsetzen.
In der Bundesrepublik fand das erste Länderspiel eines Frauenfußballteams 1982 statt, die Nationalelf entwickelte sich in der Folge zu dem, was sie noch heute ist: das Zugpferd des Frauenfußballs. Die DDR-Fußballerinnen kamen zu ihrem ersten Länderspiel, als es ihr Land selbst schon fast nicht mehr gab: Am 9. Mai 1990 traten sie in Potsdam gegen die Tschechoslowakei an und verloren 0:3. Für die Spielerinnen war es dennoch ein wichtiges Erlebnis: »Mehrere Spielerinnen wie Katrin Nicklas oder Doreen Meier haben mir gesagt, dieses Spiel sei etwas Besonderes gewesen – die Nationalhymne zu hören, das Trikot anzuhaben und zum ersten Mal ihr Land zu repräsentieren.«
Sportlich war der Frauenfußball im Osten Deutschlands damals der westdeutschen Konkurrenz unterlegen, mit Birte Weiß schaffte 1991 nur eine Spielerin den Sprung in die gesamtdeutsche Nationalmannschaft. Auch für die BSG war der Übergang schwierig: »Da die Betriebe nach der Vereinigung wegbrachen, gab es für die ehemaligen BSG große Strukturprobleme«, sagt Linne. Diese »Strukturprobleme« zeigten sich auch im gesamtdeutschen Ligabetrieb. Mit dem USV Jena und dem FC Wismut Aue ­gelangten 1991 zwei Ostvereine in die kurz zuvor eingeführte zweigleisige Bundesliga und stiegen postwendend wieder ab. Turbine Potsdam schaffte den Aufstieg in die erste Liga erst 1994.
Derzeit gibt es mit Potsdam und Jena zwei ostdeutsche Clubs in der Bundesliga – und damit zwei mehr als bei den Männern. Ehemalige Spielerinnen wie Sabine Seidel, Maja Bogs, ­Katrin Nicklas oder Doreen Meier sind in Verbänden und Vereinen tätig, so werden die Früchte der Arbeit im DDR-Frauenfußball auch heute noch geerntet. Carina Sophia Linne re­sümiert: »Die DDR-Fußballerinnen haben sich Freiräume geschaffen in einem vom Leistungssport dominierten System. Ihre Motivation war ganz einfach: Sie wollten Fußball spielen.«