Der Machtkampf in der Partei »Die Linke«

Lafontaine als Drohkulisse

Vorhang auf: Die Partei »Die Linke« ist wieder da! Zur Aufführung gebracht wird ein Machtkampf, wie man ihn gerade im »Superwahljahr« nicht für möglich gehalten hätte.
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Ein Mitglied der Partei »Die Linke« in Stralsund soll Klopapierrollen aus der Rathaustoilette geklaut haben. Und in Dresden wurde die »LiLiPlatt« gegründet, die »Liberale Plattform in und bei den Dresdner ›Linken‹«, um ehemaligen FDP-Mitgliedern eine neue Heimat zu bieten. Unterzeicher des Gründungsmanifests: »Kommunikationswissenschaftler Maximilian Kretschmar, Ausdruckstänzer Tilo Kießling und der Arbeiterdichter Uwe Schaarschmidt«. Dass es solche bizarren Meldungen über die »Linke« überhaupt in die Öffentlichkeit schafften, lag auch daran, dass zuletzt kaum etwas zu vernehmen war von jener Partei, die noch vor zwei Jahren mit Oskar Lafontaine vorneweg die Landtage und Talkshows der Republik aufmischte.
Die Medien haben gerade andere Themen, bessere: die Umbrüche bei der FDP und natürlich den Megahype um die Grünen. Und gerade dieser Erfolg der Grünen ist auch eines der Probleme der »Linken«. Die SPD macht zwar weiterhin Verluste, aber die Wählerinnen und Wähler fliehen nicht mehr zur Linkspartei, sondern zu den viel trendigeren Grünen. Die Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz waren für die »Linke« eine Enttäuschung.

Doch jetzt hat es auch die »Linke« geschafft, wieder ins Gespräch zu kommen – mit dem, was medial immer zieht: parteiinterner Knatsch. Also genau das, was die Parteistrategen um alles in der Welt vermeiden wollten mitten im »Superwahljahr«. Und ein solches ist das Jahr 2011 für die »Linke« definitiv. In Berlin und Mecklenburg-Vorpommern stehen zwei Landtagswahlen bevor, die für die Partei entscheidend sein werden. In Berlin regieren die »Linken« seit bald zehn Jahren zusammen mit der SPD, und in Mecklenburg-Vorpommern haben die beiden Parteien zwischen 1998 und 2006 regiert. Derzeit liegt die »Linke« dort bei Umfragen immer noch bei 20 Prozent. Zugleich scheint es in der nordostdeutschen SPD zunehmend das Bedürfnis zu geben, die unbeliebte rot-schwarze Koalition zugunsten einer rot-roten zu beenden. Dies könnte für die Linkspartei eine erneute Regierungsbeteiligung bedeuten. Das wäre dann, mit Berlin und Brandenburg, die dritte, so viele wie noch nie gleichzeitig.
Allerdings: In Berlin wiederum droht das Ende der Koalition. Zwar wäre auch schon 2006 eine rot-grüne Mehrheit möglich gewesen, die SPD hatte sich dennoch für Rot-Rot entschieden, doch ob der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) dies im kommenden Herbst noch einmal tun wird, ist fraglich angesichts der grünen Welle, die durchs Land schwappt und die letztlich auch im Bundestag zu einer rot-grünen Mehrheit und Regierungsbildung führen soll. Selbst wenn Wowereit weiterhin Rot-Rot im Land wollen würde, wird ihn die SPD-Zentrale wohl zum Wechsel zwingen, falls Rot-Grün eine Mehrheit bekommt. Oder aber die Grünen werden stärkste Partei, dann würden sich die Bedingungen sowieso völlig verändern. So oder so keine gute Perspektive für die »Linke«.

Auch bundesweit liegt die Partei jüngsten Umfragen zufolge nur noch bei sieben Prozent. Bei der Bundestagswahl 2009 waren es noch fast zwölf. Doch seit sie die linke Opposition mit Grünen und SPD teilen muss und die großen Zampanos Lafontaine und Gysi in den Hintergrund getreten sind, steckt die Partei in einer strategischen wie personellen Krise. Und nichts deutet auf eine baldige Wende hin: Die Themen, die derzeit debattiert werden, allen voran die Atomkraft, sind keine »Linke«-Themen und sogar bei ihrer sogenannten Friedenspolitik findet sich die Partei plötzlich im Mainstream und an der Seite der Bundesregierung wieder.
Auch Personal, das der Partei Glanz verleihen könnte, steht nicht bereit. Die beiden Vorsitzenden Gesine Lötzsch und Klaus Ernst sind schwer angeschlagen. Klaus-Peter Schöppner vom Meinungsforschungsinstitut Emnid analysierte in der Mitteldeutschen Zeitung: »Die Partei hat kein Aushängeschild. Klaus Ernst ist eine große Katastrophe, Gesine Lötzsch ist eine mittlere Katastrophe.« Im kundigen Internet-Blog über die Partei, »Lafontaines Linke«, heißt es, es könne der Eindruck entstehen, »dass über Gesine Lötzsch und Klaus Ernst als Parteivorsitzende fast schon in der Vergangenheitsform gesprochen wird, dass sie eigentlich nur noch auf Abruf amtieren«.
Einen solchen Abruf formulierte ausgerechnet Gregor Gysi, der verlauten ließ, »im Notfall« könne ja auch Oskar Lafontaine wieder Verantwortung übernehmen. Dies wurde allgemein zuerst als Affront gegen die beiden Parteivorsitzenden gewertet, dann jedoch umgedeutet als Warnschuss gegen die Lafontaine-kritischen Reformer um Dietmar Bartsch und Bodo Ramelow, denen lange schon nachgesagt wird, in die erste Reihe zu drängen. Die Reformer betrachten auch die derzeitigen Vorsitzenden skeptisch: Gesine Lötzsch, weil sie ihnen zu ostig-traditionell ist und mit ihrem »Kommunismus«-Dampfgeplaudere nicht gerade einen souveränen und erst recht keinen für andere Parteien anschlussfähigen Auftritt hingelegt hat. Und Klaus Ernst verpflichtet ihnen die Partei zu sehr auf Sozialpolitik und einen populistischen Oben-unten-Antikapitalismus – und kann bei allen anderen Themen ­ohnehin kaum als links gelten. Das sieht er selbst natürlich ganz anders. Am Wochenende auf dem Landesparteitag in Hamburg erklärte Ernst im Hinblick auf die Reformer: »Es gibt einen harten Kern von Funktionären und Mandatsträgern, die sich zu keiner Zeit mit der im Mai 2010 gewählten Führungsspitze abfinden konnten, weil sie mit der Fortsetzung des Kurses von Oskar Lafontaine – die Beharrung auf einem klaren sozialen und friedenspolitischen Profil, mit klaren Alternativen zum herrschenden Finanzmarktkapitalismus und in Abgrenzung zu allen anderen Parteien, auch zu SPD und Grünen – nicht einverstanden sind.« Er wolle »klare Kante statt ›Linke‹ Light!«
Es gibt jedoch auch viele junge Mitglieder, die einfach schon sehr lange auf einen echten Generationswechsel warten. Der Brandenburger Landtagsabgeordnete Gerrit Große etwa brachte gegen Gysis Vorstoß die stellvertretende Parteivorsitzende Katja Kipping als künftige Vorsitzende ins Spiel. Und der sächsische Landesvorsitzende Rico Gebhardt, der eine mögliche Wiederkehr Lafontaines als »Weg in die Vergangenheit« bezeichnet hatte, schlug seinerseits die Reformer Bartsch und Ramelow vor. Dies wiederum brachte einen Lafontaine-Gefährten, den ehemaligen SPD-Politiker Ulrich Maurer, auf die Palme, und er entgegnete Gebhard gereizt: »Wenn er irgendwann mit seinem Landesverband wenigstens bei Bundestagswahlen das Niveau von Brandenburg oder Sachsen-Anhalt annähernd erreicht, dann kann er auch wieder laut werden.« Maurers pampige Äußerung stieß auf energischen Protest, Sachsen-Anhalts Parteivorsitzender Matthias Höhn drohte gar mit Rücktritt. Das Blog »Lafontaines Linke« kommentierte: »Damit hat Maurer, der übrigens auch als Parteibildungsbeauftragter fungiert, einen interessanten Maßstab in die Debatte gebracht: Meckern darf nur, wer genügend Prozente bekommen hat.«

Dass die Partei nicht nur eine kontraproduktive Personaldebatte auf der Bundesebene führt, sondern dass konkrete Machtkämpfe dahinter stecken, wurde in Mecklenburg-Vorpommern deutlich. Obwohl die bevorstehende Landtagswahl von so großer strategischer Bedeutung für die Partei ist, kam es ausgerechnet dort auf dem Landesparteitag am 9. und 10. April zum Showdown. Der Vorsitzende der Landtagsfraktion, der Ober-Realo Helmut Holter, und der Landesparteivorsitzende Steffen Bockhahn konnten bei der Wahl der Landesliste alle ihre Kandidaten durchbringen, was sich aus Sicht der selbsterklärten Parteilinken als »ein von langer Hand geplanter Putsch von oben« darstellte.
Die Landtagsabgeordnete Birgit Schwebs, die der Strömung »Antikapitalistische Linke« angehört, wurde, wie der NDR süffisant feststellte, »regelrecht gedemütigt«. Der Landesausschuss hatte sie für den Listenplatz 2 vorgeschlagen, gleich hinter Spitzenkandidat Holter, doch sie scheiterte bei der Wahl an einer Konkurrentin, die dem Reformer-Lager zugerechnet wird. Schwebs kandidierte dann für Platz 3 – ebenfalls vergebens, und weiter für Platz 7, dann Platz 9 – keine Chance. Dann gab sie auf. Stattdessen erhielt der ehemalige Parteistratege André Brie mit Platz 8 einen als sicher geltenden Listenplatz. In der Jungen Welt war empört von einem »regelrechten Rechtsruck« die Rede, der Kreisvorstand Bad Doberan, der Birgit Schwebs ins Rennen geschickt hatte, klagte: »Unsere Landespartei ist in der Hand karrieregeiler, machtbesessener Autokraten.« Schwebs erklärte: »Diejenigen, die sich von Bockhahn, Bartsch, Brie und Co. haben einwickeln lassen, sind auch diejenigen, die seit 1998 von einer Regierungsbeteiligung träumen.« Das würden diese vermutlich gar nicht dementieren. Der ehemalige Arbeitsminister Holter befand die gewählten Kandidaten für den Landtag als »politisch zuverlässig und fachlich kompetent« und als gutes »Angebot« an Wähler und an andere Parteien – sprich: an die SPD.
Häme ist angesichts des Hickhacks um Mandate im Landtag und ums Personal allerdings nicht angebracht. Denn wer den Parteibetrieb kennt, weiß, dass personelle Entscheidungen tatsächlich viel bedeutsamer sind als etwa die Programmdebatte, die bei der »Linken« ja ebenfalls weiterhin geführt wird und dennoch kaum für Diskussionen sorgt. Inhalte werden eben nicht durch das geschriebene Wort bestimmt, sondern durch jene Personen, die an den Partei- und Fraktionsspitzen im Alltag wirken. So gesehen streiten sich die »Linken« ums Wesentliche, nämlich um Pöstchen.

Nur so ist es wohl auch erklärbar, dass nicht einmal das für die Parteimehrheit sicher provokative Papier zum Umgang mit den Grünen, das Katja Kipping und die eher libertäre Strömung »Emanzipatorische Linke« rund um die Zeitschrift Prager Frühling vorgelegt haben, bisher zu keinen größeren Debatten führte. Darin wird ein neues, entspanntes Verhältnis zur »grünen Herausforderung« gefordert. Anstatt ständig »die Nase über Bionade und Wellness-Lifestyle im sozialliberalen Bürgertum« zu rümpfen, sollten die »Linken« durch einen »konstruktiv-kritischen Dialog mit dem grünen Milieu den Boden für ein mögliches linkes Reformprojekt bereiten«. Sprich: sich für den Fall der Fälle auf Rot-Rot-Grün einstellen. Die Autorinnen und Autoren rund um Kipping wollen nicht nur eine kulturelle Öffnung, sondern auch eine inhaltliche. Sie fordern als Parteiprofil eine Mischung aus »sozialökologischem Umbau« und »Linkspopulismus«.
Dass sich die Partei entlang der Fraktionen »antikapitalistischer Linkspopulismus à la Lafontaine und Ernst« und »grün-liberales Bionade-Bürgertum« spaltet, darf allerdings bezweifelt werden, schon weil letzeres Milieu in der »Linken« so gut wie gar nicht existiert. Doch von Spaltung ist tatsächlich schon die Rede. Im Blog »Lafontaines Linke« wird berichtet, dass an der Basis hin und wieder der Gedanke geäußert werde, ob es nicht besser sei, die ehemalige Wasg und die ehemalige Linkspartei gingen künftig wieder getrennte Wege.