Libyen-Intervention ohne Konzept

Nicht schießen, ich bin pink

Trotz der Luftunterstützung konnten die libyschen Rebellen keine militärischen Erfolge erringen. Den Interventionsstaaten fehlt ein Konzept für die Fortsetzung des Einsatzes.

Man müsse sich darauf einstellen, dass »dieser Krieg von längerer Dauer ist«, sagte der französische Verteidigungsminister Gérard Longuet am Wochenende. Gemeint war der seit nunmehr einem Monat laufende Kampfeinsatz in Libyen, um dessen politisch-militärische Führung sich Frankreich und die Nato-Zentrale längere Zeit gestritten hatten. In der Sonntagsausgabe der Boulevardzeitung Le Parisien fügte Longuet hinzu: »Ja, es dauert lang und ist kompliziert. Und weil es kompliziert ist, deswegen dauert es lang.«
Dies sind insofern neue Aussagen, als zunächst der Eindruck erweckt wurde, die Intervention in Libyen sei ein kurzer Einsatz. Man werde die vor allem in Ostlibyen ansässigen Rebellen und die dortige Zivilbevölkerung vor der Luftwaffe des Regimes von Muammar al-Gaddafi schützen, lau­tete die Absicht. Nicht zu den offiziell genannten Zielen gehörte der Sturz Gaddafis, doch erwar­teten wohl viele, die Rebellen könnten, wenn sie keine Bombardierungen mehr fürchten müssten, nach Tripolis vorrücken.
Die Luftwaffe Gaddafis dürfte weitgehend ausgeschaltet sein, bereits in der vorvergangenen Woche verkündete die Einsatzleitung der »Operation United Protector«, 35 Prozent der gesamten ­libyschen Militärkapazitäten seien zerstört worden. Dennoch gelingt es den Rebellen nicht vor­zurücken. Nach wie verläuft die Front nahe Ajdabiya, der ersten Stadt westlich von Bengasi.

Schlechter ausgerüstet und weitgehend ohne Kommandostruktur, müssten die Rebellen eigentlich einen Guerillakrieg führen. Das Terrain in Küstennähe, das kaum Deckung bietet, ist dafür sehr ungünstig. Die Rebellen beschränken sich weitgehend darauf, auf der einzigen Ost-West-Straße vorzurücken und sich wieder zurückzuziehen. Militärisch ist das wenig aussichtsreich, zumal Gaddafis Truppen weiterhin Artillerie einsetzen können.
Nach Angaben von Human Rights Watch beschossen sie Misurata auch mit international ­geächteter Streumunition. Am Montag genehmigte Gaddafi Hilfslieferungen der Uno für die belagerte Stadt, ob diese auch ankommen werden, ist jedoch unklar. Dass Gaddafi seine Zusagen für einen Waffenstillstand gebrochen hat, ist ein Grund für Ablehnung des Vermittlungsangebots der ­Afrikanischen Union (AU) durch die Rebellen. Überdies wird die AU, auf die Gaddafi großen Einfluss genommen hatte, als parteiisch angesehen.
Eine Verhandlungslösung erscheint derzeit ebenso ausgeschlossen wie eine schnelle militärische Entscheidung. Der Koalition der intervenierenden Staaten fehlt ein Konzept. Am Ende der vorvergangenen Woche verkündete die US-Regierung noch, sie halte einen Sturz Gaddafis nunmehr für »wenig wahrscheinlich«, und bereitete sich offenbar auf Verhandlungen vor, während sie 50 ihrer Kampfflugzeuge zurückzog. Am Wochenende forderten Nicolas Sarkozy, David Cameron und Barack Obama dann in einem gemeinsamen Gastbeitrag für den Pariser Figaro: »Gaddafi muss gehen.« Sie sagten jedoch nicht, wie erreicht werden soll, Libyen »eine Zukunft ohne Gaddafi« zu eröffnen.
Der französische Verteidigungsminister Longuet sagte auf einer Pressekonferenz am Freitag voriger Woche, die Koalition sei »sicherlich« dabei, »über die UN-Resolution hinaus« zu gehen. Dies könnte als Bestätigung der Gerüchte gewertet werden, dass nun doch ein Einsatz von Bodentruppen geplant ist. Die Resolution 1 973 vom 16. März erlaubt den Schutz von Zivilisten, schließt aber eine foreign occupation force aus und bietet keine Legi­timation für den Sturz des Regimes. Eine Ermächtigung zum gewaltsamen regime change hätte einen brisanten Präzedenzfall geschaffen. Hingegen hätten die Rebellen die Legitimität, das Regime ihres Landes zu stürzen.

Wegen der möglichen Ausweitung der Intervention sowie der unklaren Strategie und Zielbestimmung wächst nun die Kritik an den Einsätzen. Überdies wurde bekannt, dass die konkreten Pläne für die Intervention offenbar weitgehend einer ohnehin zu einem ähnlichen Zeitpunkt vorgesehenen und seit längerem geplanten Militärübung entsprechen. Vom 21. bis 25. April sollte ursprünglich das französisch-britische Manöver Southern Mistral 2011 stattfinden, bei dem der Angriff auf »Southland« geprobt wurde.
Gaddafi war nie der Wunschkandidat der westlichen Führungsmächte, sein Sturz mit militä­rischen Mitteln war in der Vergangenheit Gegenstand zahlreicher Planspiele. Doch bestätigt die Übereinstimmung von Planung und realer Intervention nicht die Verschwörungstheorien, die behaupten, die Forderung der Rebellenführung in Bengasi nach Luftunterstützung sei fingiert, manipuliert oder bestellt gewesen. Diese Forderung, die den Einsatz von Bodentruppen ausschloss, war eine Reaktion auf die Bedrängnis, in die das Vorrücken der Truppen Gaddafis die Rebellen gebracht hatte.
Die französische Luftwaffe begann am Nachmittag des 19. März mit den Luftangriffen gegen diese Truppen, bereits einer der ersten Einsätze rief heftige Kritik hervor. Auf der Straße, die nach Bengasi führt, hatten die französischen Piloten am Morgen des 20. März zwei Konvois von libyschen Soldaten beschossen. Der erste Konvoi rollte auf die Stadt zu, der zweite bestand jedoch offenbar aus Soldaten, die sich von der Front absetzten, bereits Zivilkleidung trugen und sich von Bengasi entfernten. Journalisten fanden anschließend Dutzende von verkohlten Leichen, als »Gemetzel« bezeichnete dies Kareem Fahim, ein Reporter der International Herald Tribune. Christophe Ayad von der Tageszeitung Libération sprach von einem »jeu de massacre«, was »Massakerspiel«, aber auch »Schießbude« bedeutet.
Die meisten Berichte über zivile Opfer der Bombardierungen sind nicht überprüfbar. Zumindest zweimal wurden irrtümlich Konvois der Rebellen bombardiert. Sie haben angekündigt, ihre Fahrzeuge rosa anzumalen, um tödliche Verwechslungen zu vermeiden.