Über die Ausstellung »Traummänner« in Hamburg

Wann ist ein Mann ein Supermann?

In der Hamburger Ausstellung »Traummänner« wird Männlichkeit und das, was von ihr übrig ist, untersucht.

Was genau will die Hamburger Ausstellung »Traummänner«, in der immerhin 50 »Star­foto­grafen ihre Vision vom Ideal« zeigen? Mit traditionellen Männlichkeitsidealen aufräumen: »Jahrhundertelang hatte sich die Vorstellung vom starken, männlichen Typus in den Hirnen vor allem der Herren der Schöpfung eingenistet, und selbstbewusst hatten sie die Rolle des Ernährers und des Beschützers ausgefüllt. Sie hatten Mammuts gejagt und Kriege geführt und ein Haus gebaut, hatten einen Baum gepflanzt und ein Kind gezeugt«, so Nadine Barth, Kuratorin der Ausstellung, in ihrem Katalogtext. Doch mit Mammut, Krieg und Haus und Baum und Kind sei es nun vorbei, seit »das Wort ›metrosexuell‹ aufkam« und »ein Ruck durch die Gesellschaft« ging, genauer: »Ein Ruck der Verunsicherung«, wie Barth schreibt, »denn nun plötzlich sollten sie ›weicher‹ werden, ›gepflegter‹, ›umgänglicher‹? Sollten sich die Brusthaare rasieren, dieses Zeichen archaischer Kraft, sollten am Herd stehen, Babys wickeln, Hemden bügeln?«
Tatsächlich tauchte der Begriff der Metrosexualität erstmals Mitte der neunziger Jahre auf. Der britische Journalist Marc Simpson hatte ihn für ein neues Phänomen verwendet, das er in seinem Bekanntenkreis beobachtet hatte: den Einzug weiblicher oder homosexuell verstandener Eigenschaften in ein heterosexuelles männliches Milieu. »Der typische Metrosexuelle ist ein junger Mann mit Geld zum Ausgeben, der in oder nahe bei einer Metropole wohnt – denn dort gibt es die besten Läden, Clubs, Fitnessstudios und Friseure. Offiziell kann er schwul, hetero oder bisexuell sein, aber das ist völlig irrelevant, weil er eindeutig sich selbst zum Objekt seiner Liebe macht und das Vergnügen zu seiner sexuellen Vorliebe. Bestimmte Berufe wie Modeln und Kellnern, die Medien, Popmusik (…) scheinen ihn anzuziehen«, schrieb Simpson 1994 im Independent. Der metrosexuelle Mann war eine neue Zielgruppe, mit deren Erforschung in den neunziger Jahren sicherlich viele Werbeunternehmer beauftragt waren. Seine frühesten Idole waren David Beckham und, mit Abstrichen, Liam Gallagher. Die Überlegungen zu dieser vermeintlich neuen Form der Männlichkeit, die sich vor allem durch den Einfluss normativ weiblicher Merkmale auszeichnete, sind als kritischer Ausgangspunkt der Ausstellung gedacht. Zur Kritik taugt das natürlich überhaupt nicht. Man wollte sich von der Norm verabschieden und schafft es nur bedingt. Wie hätte man sich auch Traummannvisionen jenseits von Norm vorzustellen? Um Verallgemeinerungen und kollektive Wunschbilder kommt man hier nicht herum – wozu auch? Kein Foto von einem Mammutjäger hängt somit in der Ausstellung, keines von einem Häuslebauer und Baumpflanzer.
Stattdessen werden jede Menge Alternativen angeboten. Vertreten sind in der Hamburger Ausstellung zahlreiche Aufnahmen der ganz großen männlichen Stars aus Kultur und Politik. Betritt man die Schau, muss man zunächst unweigerlich an Martin Schoellers berühmten Starportraits vorbei und findet sich Barack Obama gegenüber, der von Brad Pitt und Justin Timberlake zur einen und Zinedine Zidane und George Clooney zur anderen Seite flankiert wird. Schoellers großformatige Portraitfotografien haben natürlich etwas von Heiligenikonen, sie behaupten eine Art überirdischer Größe, bringen die Stars aber auch mit den gleichen Mitteln – Format und Schärfe – wieder auf den Teppich, indem sie Falten, Pickel und spröde Lippen sichtbar werden lassen. Dass die vielleicht naheliegendsten Stars hier in der Traummmännerschau gleich zu Beginn auftauchen, verhindert zumindest ihre Wiederkehr als wie auch immer gearteter Höhepunkt an einer späteren Stelle.
Wie einen wahren Heiligen inszeniert Bryan Adams in seinen Aufnahmen etwa Ben Kingsley. Zwei hochformatige Abzüge zeigen den Schauspieler, wie er in vergeistigter Pose vor gleißendem Hintergrund über einen Teppich schreitet. Kingsleys kahler Schädel, der spitze Bart und seine schwarze Kutte verstärken das Bild. Das Fotografenduo Kirchknopf und Grambow schließlich schoss von den beiden Jesusdarstellern der Oberammergauer Passionsspiele, Andreas Richter und Frederik Mayet, eine Serie Modefotos – Kunstblut und Dornenkrone inklusive. Der Traummann Jesus leidet in Schwarzweiß mit nacktem muskulösen Oberkörper und Designerjeans.
Selbstverständlich kommt dem Körper innerhalb der Ausstellung eine besondere Rolle zu. Handelt es sich bei Barack Obama und Ben Kingsley wohl vorrangig um eine Art geistige Größe oder Macht, durch die sie zu Idealen erhoben werden, besticht der Rapper Kanye West auf Ralph Meckes Farbaufnahmen wohl einzig durch seinen Körperbau. Mecke macht die Inszenierung der Körper selbst zum Thema seiner Arbeiten. Von ihm ist auch eine Aktaufnahme des Tänzers Benjamin Pech zu sehen. Pechs ebenfalls sehr muskulöser Körper unterscheidet sich in seiner Darstellung erheblich von der des Rappers. Indem Meckesbei der Art der Beleuchtung und der Farbgebung sich hier an Bildern der Renaissance orientiert, bekommt Pechs Körper, verstärkt noch durch eine tänzerische Bewegung, etwas sehr Erhabenes. Auf einem dritten Foto schließlich, das den Titel »Andre & Guest« trägt, zeigt Mecke einen in einem Sessel liegenden Mann, der in einem fleischfarbenen Gummikostüm mit Brüsten und Schamlippen steckt, quasi als nackte Frau verkleidet ist. Solcherart weitergehende Arbeiten, die sich einer positiven Bestimmung des Traummannes versperren, sind in der Ausstellung zwar selten, kommen aber durchaus vor. Elisabeth Toll porträtiert in ihrer Serie »Legionäre« Angehörige verschiedener Armeen. Von jedem Militär fertigte sie dabei zwei Aufnahmen an: in Uniform und in Freizeitkleidung, Pyjama oder Morgenmantel. Selbst wenn die Körperhaltung meist beibehalten wird, verändert sich der Eindruck, den man vom Körper und schließlich der gesamten Person gewinnt, auf fundamentale Weise.
Am Ende der Ausstellung haben die Besucher die Möglichkeit, an einer dafür vorgesehenen Wand ein Bild ihres ganz persönlichen Traummannes anzubringen. Hier wird das Mittelmaß schließlich zur normativen Macht: Auf Computerausdrucken sieht man langweilige Ehemänner und Familienvatis in schlechtsitzender Kleidung vor ihrem Ikeamobiliar. Das Bekenntnis zu dieser Realität ist der Verzicht auf den Traum, der in der Welt der Stars enthalten ist.

Traummänner. Bis zum 22. Mai in den Hamburger Deichtorhallen