Über den Kongress der Kommunistischen Partei und die Reformen in Kuba

Kuba wird perfektioniert

Fast 14 Jahre lang mussten die Kubaner auf den VI. Kongress der Kommunistischen Partei warten. Nun wurden Reformen beschlossen, doch die Comandantes wollen der Kontrolle über Politik und Wirtschaft nicht entsagen.

»Die finanzielle Situation ist nach wie vor prekär. Wir leben von der Hand in den Mund und sind auf Reformen angewiesen, die unsere Wirtschaft auf eine tragfähige Grundlage stellen«, sagt Omar Everleny Pérez Villanueva. Der Ökonom, der am Studienzentrum der kubanischen Ökonomie (CEEC) arbeitet, plädiert seit Jahren für Reformen in Kuba und für eine Dezentralisierung auf allen Ebenen der Wirtschaft. Die ist in einer extrem schwierigen Situation.
Die Auslandsschulden Kubas stiegen in den vergangenen Jahren auf rund 20 Milliarden Dollar, hinzu kommen noch fällige Zahlungen an ehemals sozialistische Staaten. Der Peso convertible, der den Dollar als Zweitwährung ersetzte, ist nicht ausreichend durch Devisenreserven gedeckt, und die Produktivität der kubanischen Wirtschaft sinkt seit 1989. Das bestreiten nicht einmal Ökonomen im Staatsdienst wie Pérez Villanueva. Das Ausmaß der ökonomischen Krise ist gigantisch, wie Oscar Espinosa Chepe, ehemals Ökonom bei der kubanischen Zentralbank und derzeit ein in Havanna lebender Dissident, anhand offizieller Zahlen nachgerechnet hat. Demnach ist die Industrieproduktion nur noch halb so hoch wie 1989, die Gehälter haben in etwa 25 Prozent des damaligen Werts. Die Berechnungen stimmen mit dem überein, was man zu sehen bekommt – ein zumindest auf den ersten Blick weitgehend deindustrialisiertes Land.

Das soll sich nun ändern. Nach fast 14 Jahren trat erstmals wieder das oberste Gremium des Landes zusammen, die Kommunistische Partei (PCC) rief zum viertägigen Parteitag in den Palast der Konventionen in Havanna. Am Dienstag voriger Woche endete die Veranstaltung. Mehr als 1 000 Delegierte sollten ein neues Wirtschaftsmodell beschließen und den Sozialismus »perfektionieren«. Zu den Reformen gebe es keine Alternative, hatte Raúl Castro in den vergangenen Monaten mehrfach gemahnt. Kuba stehe am Abgrund, sagte der 79jährige Staatschef.
Bereits 2009 konnte er die Pleite des Landes nur abwenden, indem er die Konten von internationalen Investoren und Handelsunternehmen einfror und auf deren Kapital zurückgriff. Seitdem hat Raúl Castro eine Sparpolitik verordnet, die mit den Parteitagsbeschlüssen fortgesetzt wird. Dort wurde über die etwa 300 Reformvorschläge der Regierung debattiert, die dann in ­einer Abstimmung gutgeheißen wurden. Seit Ende vorigen Jahres war über diese Vorschläge in Abertausenden Nachbarschaftsversammlungen, in Betrieben und öffentlichen Einrichtungen diskutiert worden, etliche tausend Änderungswünsche gingen ein, der Entwurf wurde überarbeitet. Nun soll die Wirtschaft modernisiert werden.
So sehen es zumindest die Beschlüsse des Parteitags vor. Bereits im März hat Raúl Castro den damaligen Wirtschaftsminister Marino Murillo zum Verantwortlichen für die Verwirklichung der Reformen ernannt. Murillo gilt als einer der Aufsteiger im politischen Establishment. Den ideologischen Rahmen referierte der 50jährige auf dem Parteikongress: »Nur der Sozialismus ist in der Lage, die Errungenschaften der Revolution zu verteidigen, und in der Aktualisierung des ökonomischen Modells wird die Planwirtschaft vorherrschen.«

Die »Aktualisierung« hat eine privatwirtschaftliche Note, denn der Staat soll sich, wie bereits seit mehreren Monaten bekannt ist, aus einzelnen Bereichen der Wirtschaft zurückziehen. Bislang wurden nur 178 Tätigkeiten für Selbständige freigegeben. Dies sei zu wenig, um aus der Wirtschaft ein Mischmodell mit planwirtschaftlicher Prägung zu machen, moniert der kubanische Ökonom Pavel Vidal von der Universität Havanna. Zu wenige Berufschancen haben auch die insgesamt 1,8 Millionen Kubaner, die bis 2015 den offiziellen Plänen zufolge aus dem Staatsdienst entlassen werden sollen, kritisierte Omar Everleny Pérez Villanueva ein paar Tage vor dem Parteikongress.
Ein Wandel ist nötig in einer Gesellschaft, die jährlich rund 35 000 gut qualifizierte Jugendliche durch Abwanderung verliert, die eine ähnlich niedrige Geburtenrate wie Deutschland aufweist und spätestens 2025 die älteste Gesellschaft der Region sein wird. Das wissen auch die Verantwortlichen im Zentralkomitee und im erlauchten Kreis des Politbüros. In dem 15köpfigen Gremium liegt das Durchschnittsalter bei 67 Jahren, das Führungstrio der KP kommt sogar auf ein Durchschnittsalter von 79 Jahren.
Die beiden Castros, der jüngere Raúl und der ältere Fidel, haben Maßnahmen zur Integration der jüngeren Generation angemahnt. Immerhin soll fortan die Amtszeit in der Staats- und Parteiführung auf zehn Jahre beschränkt werden. Eine sicherlich richtige Entscheidung, doch hätte sich nicht nur die Opposition weiter reichende politische Reformen gewünscht.
Aber auch die geplanten wirtschaftlichen Reformen muten überaus vorsichtig an, gestattet wird die Gründung von Kleinunternehmen. Trotz der Krise der Landwirtschaft sind neue Initiativen jenseits der seit 2008 praktizierten Vergabe von Brachland an Klein- und Neubauern nicht geplant. Doch große Erfolge hat diese Reform bisher nicht gezeitigt, die Landwirtschaft konnte auch 2010 nicht nennenswert wachsen. Genau das aber wäre nötig, denn die Kosten für die Lebensmittelimporte steigen stetig, wie Raúl Castro in seiner Abschlussrede bestätigte. Mit 800 Milli­onen Dollar Mehrkosten in diesem Jahr rechnet der Staatschef, Einsparungen seien unumgänglich.

Das kleine Rationierungsbuch, die libreta, die die Grundversorgung der Kubaner mit Lebensmitteln garantiert, soll abgeschafft werden. Alternative Versorgungssysteme für die Armen und Bedürftigen gibt es allerdings noch nicht, und Raúl Castro hat unmissverständlich erklärt, dass sich Kuba das Sozialsystem im bisherigen Umfang nicht mehr leisten könne. Effizienter soll es werden – eine beachtliche Herausforderung angesichts ­einer alternden Gesellschaft.
Kritiker der Regierung wie Oscar Espinosa Chepe monieren vor allem, dass die alte Garde schlicht nicht gewillt sei, die Macht aus der Hand zu geben. Das belegt die Tatsache, dass die Comandantes der Revolution nach wie vor die zentralen Machtpositionen besetzen. Zwar gibt es längst eine jüngere Generation, die bereits in den Betrieben und Gremien Verantwortung trägt, nur war sie auf dem Parteitag kaum sichtbar.
Gleichwohl ist es in einigen Bereichen auch zu unerwarteten Neuerungen gekommen. So darf Grundbesitz in Kuba zukünftig wieder legal veräußert werden. Wohnungen und Häuser, aber auch Autos wird das betreffen, die zuvor unter dubiosen Umständen getauscht werden mussten. Zwar sind die Modalitäten bisher unklar, aber das Interesse aus dem Ausland ist sicherlich vorhanden. Eine Konzentration von Eigentum, so schränkte Parteichef Raúl Castro bereits ein, werde es jedoch nicht geben.
Neuerung ist gut, Kontrolle ist besser – das scheint die Devise bei den Reformen zu sein. Die Comandantes wollen ihre Führungsrolle in Politik und Wirtschaft nicht aufgeben. Die derzeitige Situation erinnert an die Reformen in den neun­ziger Jahren. Damals reagierten die Comandantes auf die schwere Krise nach dem Zusammenbruch der realsozialistischen Staaten ebenfalls mit ökonomischen Maßnahmen. Als sich die Wirtschaft leidlich erholt hatte, wurden sie wieder zurückgenommen.