Hier kotzen wir selbst!

Der 1. Mai naht, und das bedeutet für Berlin, dass mindestens eine »revolutionäre Demonstration« stattfindet, zu der seit 1987 ein wenig Krawall gehört. Was die Demonstration revolutionär macht, ist nicht ganz klar. Doch ist sie, wie bei indymedia festgestellt wird, »die größte regelmäßige Demonstration der radikalen Linken in der BRD«. Man weiß nicht so recht, ob das für die Demonstration oder gegen die radikale Linke spricht, aber man geht hin, weil man nicht riskieren möchte, etwas zu versäumen. Für die Fotografen der Revolverpresse wird es zwar von Jahr zu Jahr schwieriger, wenigstens den für die Schlagzeile »Mai-Krawalle: Chaoten immer brutaler« nötigen brennenden Müllcontainer aufzuspüren, aber man kann ja nie wissen. Und wenn es doch wieder so langweilig wird wie im vorigen Jahr, ist die nächste Kneipe nicht weit. Allerdings könnten alle Tische mit guter Sicht auf potentielle Krawalle bereits von Touristen besetzt worden sein. Denn möglicherweise schadet es »dem Ansehen Berlins als Bundeshauptstadt, wenn gewaltbereiten Linksautonomen Freiräume gelassen werden«, wie der bayerische Innenminister Joachim Herrmann annimmt. Dem Ansehen Berlins als Eventmetropole schadet es gewiss nicht. Armut kann man sich auch anderswo anschauen, doch nur Kreuzberg und einige andere Stadtteile Berlins bieten jenes Flair der Rebellion, das die Touristen anzieht.
Das missfällt den Eingeborenen. In Kreuzberg hat sich eine informelle Koalition von Grünen (Jungle World 12/11) und Autonomen gebildet. In ihrem Demonstrationsaufruf klagt die Antifaschistische Linke Berlin über »die immer größeren Touristenhorden, denen die Stadt sich mundgerecht präsentiert«. Die Invasoren kommen, um »dem ›coolen und authentischen‹ Party-Berlin nachzuspüren und den hier lebenden Menschen nachts in die Hauseingänge zu kotzen«. Es soll auch Eingeborene geben, die sich schon mal nach einer Sauftour ihres Mageninhalts entledigt haben. Aber das ist indigene Kotze und deshalb etwas ganz anderes. Ein wenig provinziell zu sein, hat in der autonomen Szene Tradition. Seit nunmehr rund 30 Jahren wird die Kritik daran ignoriert, dass im Kampf gegen die »Yuppiisierung« oder »Gentrifizierung«, wie es nun heißt, berechtigte soziale Forderungen mit einer konservativen Abwehrhaltung gegen jede Veränderung in »unserem Viertel« vermischt werden. »Verwandeln wir sie in Gebiete nach unserem Geschmack« – das klingt eher wie eine Drohung. Wenn »apartere Cafés« grundsätzlich abgelehnt werden, während man das Verschwinden von »alten Eckkneipen« bedauert, ist das nicht nur spießig, es bedeutet auch, dass man sich beim Protest gegen den Sozialabbau und die Verarmung keinen Erfolg zutraut. Es wäre ja auch denkbar, dass der indigene Kreuzberger mehr Geld bekommt und dann das aparte Café der miefigen Eckkneipe vorzieht.