Andreas Biermann im Gespräch über Depression und Fußball

Kalt im Herzen

Andreas Biermann berichtet in ­einem Buch über sein Leben als an Depressionen erkrankter Fußballprofi.

Andreas Biermann hat unter anderem für den Chemnitzer FC, Union Berlin und den FC St. Pauli gespielt, doch seinen Job als Fußballer auszuüben, ist ihm nicht mehr vergönnt – obwohl er erst 30 Jahre alt ist. Biermann ist zum Verhängnis geworden, dass er sich im Herbst 2009, kurz nach dem Selbstmord Robert Enkes, als Depressiver outete. Der Linksverteidiger hatte bereits zwei Selbstmordversuche und einige Jahre nächtlicher Schlaflosigkeit hinter sich, ehe ihm bewusst wurde, dass er depressiv war. Das geschah, als Teresa Enke einen Tag nach dem Suizid ihres Mannes eine Pressekonferenz gab. Biermann, der in den 15 Monaten zuvor wegen Verletzungspech nur zwei Zweitligaspiele für St. Pauli bestritten hatte, begriff, dass sie auch über seine Krankheit redete. Er begab sich in stationäre Therapie. Zusammen mit dem Journalisten Rainer Schäfer hat er in »Rote Karte Depression« die Geschichte seiner Krankheit aufgeschrieben. Ende März musste er sich selbst wieder in stationäre Therapie begeben. Via Facebook teilte er mit: »Ich versuche, nach Möglichkeit den offenen Weg weiter zu gehen, weil’s der einzige ist, der etwas positiv verändern kann.«
Was war der Auslöser dafür, dass Sie im Herbst 2009 mit Ihrer Depression an die ­Öffentlichkeit gegangen sind?
An dem Tag, als ich meine stationäre Therapie begonnen habe, habe ich mir geschworen: keine Lügen mehr. Damit war auch klar, dass ich an die Öffentlichkeit gehe. Zum Profifußball gehört dazu, dass auf dem Trainingsplatz die Journalisten nachfragen, wo ein Spieler steckt. Da kann der Verein nicht acht Wochen lang sagen, der Biermann hat die Grippe.
Wie ging es weiter, als die stationäre Therapie vorbei war?
Ich war im Trainingsbetrieb wieder voll dabei und sollte in der zweiten Mannschaft spielen. Für mich war klar: Wenn ich Fußball spielen kann, kann ich mich gesund schreiben lassen. Der Verein wollte dagegen, dass ich weiterhin Krankengeld beziehe. Das betrug 2 000 Euro monatlich – zu wenig, um die laufenden Kosten zu decken. St. Pauli hat vorgeschlagen, mir für den Differenzbetrag einen Kredit zu geben, den ich bis zum Saisonende zurückzahlen kann. Die Frage wäre dann gewesen, woher das Geld hätte kommen sollen, um die Kredite zurückzuzahlen. Also habe ich mich gegen den Willen des Vereins gesund schreiben lassen.
Zum Saisonende wurde über ein Gehalt verhandelt, dass Sie als Trainer im Nachwuchsbereich und Spieler der zweiten Mannschaft verdienen sollten. Der Verein schlug vor, die Hälfte Ihres 4 000-Euro-Gehalts solle das Profiteam bezahlen – aus den Prämien für den Aufstieg in die 1. Liga. Das kommt einem beim Lesen ziemlich exotisch vor.
Ich hatte so etwas bis dato auch noch nie gehört. Ich konnte das nicht annehmen, sonst hätte mich die Hälfte der Spieler gehasst. Schlimmer war noch, dass der Verein für dieses Angebot fünf Monate gebraucht hat. Es war abgesprochen gewesen, dass wir als Familie schnell Planungssicherheit bekommen. Genau das wurde nicht eingehalten. Eine Katastrophe. Das kann jeder nachvollziehen, der einmal eine Depression hatte und in Therapie war. Da kommen dann wieder Grübelgedanken: Warum machen die das? Was mache ich falsch?
Reizt es Sie, im Amateurbereich weiter zu spielen?
Ich hätte weiter Fußball gespielt, wenn das die Familie ernährt hätte. Sonst sind die körperlichen Schäden einfach zu gravierend – das merkt man jetzt, ohne Schmerzmittel.
Haben Sie ständig unter Medikamenteneinsatz gespielt?
Seit 2004, als eine Operation schief lief und ich zwischenzeitlich schon Sportinvalide war.
Sie kritisieren den DFB, weil trotz der edlen Worte von Verbandsboss Theo Zwanziger, der bei der Trauerfeier für Robert Enke dazu aufgerufen hatte, dafür zu sorgen, dass »eine Tabuisierung der Depression unmöglich gemacht wird«, sich niemand vom Verband bei Ihnen gemeldet hat. Glauben Sie, dass die Berichterstattung über Ihr Buch noch ein Umdenken bewirken wird?
Eigentlich nicht, es sind jetzt eineinhalb Jahre vergangen. Der DFB weiß, dass ich eine Therapie durchlebt habe, die Wiedereingliederung in die Mannschaft und in den Trainingsbetrieb. Ich weiß, was da in einem vorgeht.
Sie meinen, solche Erfahrungen könnten für den DFB nützlich sein?
Wenn man etwas ändern möchte, dann ja. Da der DFB mich nicht kontaktiert hat, fragt man sich, ob er wirklich etwas ändern möchte. Dass man schweigend weiter macht, ist für mich nicht nachvollziehbar. Wir sind wieder auf dem Stand von vor eineinhalb Jahren. Das Thema muss öffentlich gehalten werden. Mit jedem Zeitungsartikel, der über mich oder mein Buch erscheint, kann man Leuten Mut machen, in Therapie zu gehen – das ist die Erfahrung, die ich gemacht habe.
Inwiefern?
Betroffene, die etwas über mich gelesen haben, melden sich über meine Website oder Facebook und fragen nach meinen Erfahrungen und nach Tipps. Ich versuche, im Rahmen meiner Möglichkeiten zu helfen. Ich habe das anfangs ein bisschen unterschätzt, aber die Reaktionen zeigen auch, wie viel Bedarf da ist.
Sie wollen nun Sportpsychologie studieren. Schwebt Ihnen vor, irgendwann bei einem Verein als Psychologe zu arbeiten?
Man müsste eher eine neutrale Anlaufstelle schaffen, eine vereinsunabhängige Plattform, an die man sich zunächst auch anonym wenden kann. Als Fußballer hat man die Sorge, dass der Psychologe sich mit dem Trainer oder Manager kurzschließt.
Seitdem Sie sich als Depressiver geoutet haben, sind Sie gelegentlich im Fernsehen zu sehen gewesen. Hat es für Sie eine nervliche Anspannung bedeutet, in Talkshows Einzelheiten über Ihre Krankheit auszubreiten?
Aufregung kann ich nach wie vor nicht empfinden. Bei einem Depressiven mit einem Krankheitsverlauf wie meinem sind viele Gefühle nach wie vor einfach nicht da, so traurig das klingt. Dazu gehört auch Aufregung. Die Freude von Herzen, etwa im Alltag mit den Kindern, ist aber zurückgekommen.
Im Buch ist eine brenzlige Situation auf dem Spielfeld beschrieben, wo Sie vom »kalten Herz des Depressiven« profitieren. Wie ist das zu verstehen?
Wenn bestimmte Gefühle nicht da sind, ist es einem auch völlig egal, dass da plötzlich drei Spieler auf einen zukommen. Man konnte schwierige Situationen mit extremer Ruhe locker klären, weil man kalt war im Herzen.
St. Paulis Coach Holger Stanislawski bescheinigt Ihnen einen »starken Charakter«, weil Sie in der Lage waren, trotz permanenten Schlafmangels physische Extremsituationen, etwa in der Saisonvorbereitung, durchzustehen. Können Sie sich erklären, wie Sie das körperlich geschafft haben?
Nein, obwohl wir das in der Therapie aufgerollt haben. Vielleicht ist an dem Grundgedanken von Felix Magath etwas dran. Der bringt die Spieler oft dazu, über ihre Grenzen zu gehen, und ich habe das indirekt auch gemacht. Man sieht, dass der Körper mehr leisten kann, als man denkt. Man glaubt, man hält es nicht durch, tut es dann aber doch, wenn man den Willen hat. Sollte das Magaths Ansatz sein, kann ich nur sagen: Das habe ich bei mir auch festgestellt.

Andreas Biermann/Rainer Schäfer: »Rote Karte Depression. Das Ende einer Karriere im Profifußball«, Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2011, 192 Seiten, 14,99 Euro