Der Wahlkampf der NPD in Bremen

Keine Zierde für den Verein

Seit vier Jahren regiert die rot-grüne Koalition in Bremen weitgehend unauffällig, und ebenso wäre wohl auch der Wahlkampf im kleinsten Bundesland abgelaufen – wenn nicht Jens Pühse von der NPD auf den Plan getreten wäre.

Seitdem die NPD den 39jährigen Jens Pühse aus Dresden als Landeswahlkampfleiter nach Bremen entsandte, bestimmt der Mann die Schlagzeilen in der Stadt. Und das, obwohl fast alles, was Pühse, der auch als Spitzenkandidat in Bremerhaven antritt, versuchte, entweder scheiterte oder mit Zurückweisungen endete. Mit einer Ausnahme allerdings.
Höhepunkt des Wahlkampfes der Rechtsextremen in Bremen sollte ein »Sozialkongress gegen Turbokapitalismus« und eine Großdemonstration mit 1 000 Nationalisten am 1. Mai, drei Wochen vor der Wahl, werden. Doch der DGB wurde frühzeitig auf die Pläne der Partei aufmerksam und meldete für diesen Tag so viele Kundgebungen in der Innenstadt an, dass der NPD nur die Möglichkeit blieb, in entlegene Außenbezirke auszuweichen.

Fast 100 Organisationen – darunter Antifa, Ehrenbürger, die Gewerkschaft der Polizei und die »Christlich-Demokratische Arbeitnehmerschaft« – schlossen sich unter der Führung des DGB im Bündnis »Keinen Meter« zusammen und riefen dazu auf, am 1. Mai die Straßen zu blockieren.
Dann bekam Pühse auch noch Konkurrenz. Erst hatte es geheißen, dass die NPD und die freien Kameradschaften für den 1. Mai bundesweit zu den Veranstaltungen in Bremen aufrufen. Wegen der am 22. Mai anstehenden Landtagswahl sollte Bremen das einzige Zentrum der rechtsextremistischen Aktivitäten am 1. Mai sein. Doch die Einigkeit zerbröselte – wenn es sie denn je gegeben hatte. Nach und nach bekamen die Bremer Kameraden Konkurrenz aus Halle, Greifswald, Heilbronn und Sachsen. Angesichts dessen 1 000 Neonazis nach Bremen zu bringen, schien ausgeschlossen.
Doch Pühse machte aus der Not eine Tugend. Völlig überraschend verkündete er vorige Woche, auf die Veranstaltungen zum 1. Mai zu verzichten. Das Bündnis »Keinen Meter« wertete dies sofort als großen Erfolg. Doch gleichzeitig meldete Pühse offenbar drei Kundgebungen für den 30. April an, die in der Bremer Innenstadt stattfinden sollen. »Die Wahlkampfleitung ermöglicht es zudem mit ihrer Entscheidung auch ihren Unterstützern aus dem gesamten Bundesgebiet, an dem betreffenden Wochenende an mehreren Veranstaltungen teilzunehmen, um so deutschlandweit verschiedene kraftvolle Zeichen gegen die europäische Arbeitnehmerfreizügigkeit zu setzen«, schrieb Pühse auf der Internetseite des Bremer Landesverbandes der NPD.
»Jetzt haben wir den Nachteil«, sagt Henner Günther, der stellvertretende DGB-Vorsitzende in Bremen. Die Antifa und viele Bürger wollen natürlich trotzdem blockieren, doch vermutlich wird die Stadt nicht darum herumkommen, der NPD zum ersten Mal überhaupt eine große Demonstration in der Bremer Innenstadt zu gestatten. Das Bündnis »Keinen Meter« muss nun abwarten, bis der genaue Versammlungsort der Nazis bekannt wird, und will dann versuchen, in der Nähe einen Sammelpunkt für die Gegenaktionen anzumelden.

Pühse ist der Mann, der Rechtsrock in Deutschland groß gemacht hat. Mit seiner »Pühse-Liste« begann er vor Jahren mehr oder weniger im Alleingang den Vertrieb rechtsextremer Musik und förderte so die Subkultur der freien Kameradschaften. Sein Label fusionierte später mit dem der NPD gehörenden Verlag »Deutsche Stimme« – die Fusion galt als wichtiges Signal für die Annäherung von freien Nationalisten und der Partei. Pühse war auch der Erfinder der »Schulhof-CD«, jenem Rechtsrock-Sampler, mit dem die NPD seit Jahren Jugendliche zu agitieren versucht. Die CD wurde nun auch an Bremer Schulen verteilt – in der Stadt reagierte man darauf mit Entsetzen, was Teil des Kalküls der Rechtsextremen gewesen sein dürfte.
Der Rechtsrock-Labelbesitzer als Spitzenkandidat für die Stadt Bremerhaven – das mag für einen der bundesweit führenden Neonazis klingen wie ein politischer Abstieg, doch tatsächlich handelt es sich um den aussichtsreichsten und strategisch entscheidenden Listenplatz der gebeutelten Partei. Denn um am 22. Mai in Bremen in das Landesparlament, die Bürgerschaft, einzuziehen, muss die Partei nicht wie sonst überall in Deutschland im ganzen Bundesland fünf Prozent der Stimmen erreichen. Fünf Prozent in Bremerhaven reichen – eine Sonderklausel für die ansonsten in der inneren Statik des Zwei-Städte-Staats immer etwas an den Rand gedrängte Hafenstadt. Und eben deshalb gelang es der DVU, seit 1987 mit nur einmaliger Unterbrechung in der Bremer Bürgerschaft vertreten zu sein.

Im Herbst vorigen Jahres fusionierte die NPD mit der siechen DVU in einem noch immer umstrittenen Verfahren. Mit der Kandidatur Pühses in Bremerhaven könnte die deutschnationale DVU-Stammwählerschaft der NPD so dazu verhelfen, zum ersten Mal seit Jahrzehnten in ein westdeutsches Landesparlament einzuziehen. Neben dem deklassierten Kleinbürgertum dürften die Rechtsextremen bei ihrem Wahlkampf vor allem die 16- bis 18jährigen im Blick haben – sie dürfen wegen einer rot-grünen Wahlrechtsreform am 22. Mai zum ersten Mal in Deutschland mitwählen. Um bei beiden Wählergruppen Sympathien zu gewinnen, setzt Pühse offenbar vor allem darauf, so häufig wie möglich zur persona non grata erklärt zu werden und sich so als Protestkandidat für alle Unzufriedenen ins Gespräch zu bringen. Exemplarisch hierfür war das, was sich am Montag voriger Woche ereignete. Da hatte die NPD ihr rassistisches Wahlprogramm vorgestellt, das unter anderem die Forderung enthielt, alle Deutschen dazu zu bewegen, ihren Pass wieder zurückzugeben, wenn sie »nichtdeutscher Abstammung« seien. Das Wahlprogramm interessierte niemanden in der Stadt, doch am selben Tag kündigte der Fußballverein Werder Bremen an, Pühse aus dem Verein auszuschließen. Seine politische Gesinnung sei »mit der Vereinssatzung unvereinbar«, schrieb ihm Werder-Vorstand Hubertus Hess-Grunewald. Pühse schickte eine lange Antwort nicht an Grunewald, sondern an alle Zeitungen und Nachrichtenagenturen. Doch so erfolgreich er dabei sein mag, als Vertreter einer Splitterpartei einen öden Landtagswahlkampf zu dominieren – auf der Straße bekommt man nicht genug Leute zusammen. Am Samstag vor zwei Wochen protestierte die NPD vor dem Gebäude der Bremer Landesbank, weil diese ihr kein Konto einrichten wollte – für die Anfahrt reichte den Rechtsextremen ein einziger Pritschenwagen. Viele in Bremen hoffen, dass die Rechtsextremen am 1. Mai ein ähnliches Bild abgeben werden.