Die Debatte über das »Bildungspaket«

Mit Bildung drohen

Hartz-IV-Empfänger zeigen bisher kein großes Interesse an den »Bildungspaketen« für ihre Kinder – und haben damit vollkommen recht.

Da will Ursula von der Leyen (CDU) den Armen einmal etwas Gutes tun, und was ist der Dank? Die Arbeitslosen ignorieren das fürsorgliche Angebot der Ministerin für Arbeit und Soziales. Nur 2,5 Prozent aller Eltern der zweieinhalb Millionen Kinder, denen ein »Hartz-IV-Bildungspaket« zustände, hätten sich bisher bei den Ämtern gemeldet, beklagte eine Autorin des Tagesspiegel. Die auf dem »Kontinent der Bildungsferne« lebenden Arbeitslosen hätten »schlicht kein Interesse«. Bargeld sei hingegen begehrt, »es ist umsetzbar in Konsum, in Fernseher, Mobiltelefone, Alkohol«.
Andere lieferten ähnliche Erklärungen für die mangelnde Nachfrage nach »Bildungspaketen«. Diese ließen sich »eben nicht verrauchen und versaufen«, meinte etwa Frank Steffel (CDU). Die Bild-Zeitung zitierte den Bundestagsabgeordneten ausgiebig. Das Boulevard-Blatt B.Z. vermeldete: »Berliner geben Klartext-Steffel recht!« Der Berliner FDP-Vorsitzende Christoph Meyer ließ wissen: »Die Frage ist berechtigt, ob die Zahl der Anträge nicht bedeutend höher wäre, wenn es um Kippen, Alkohol und Unterhaltungselektronik ginge.« Von der Leyen selbst gab sich lediglich im Ton zurückhaltender: Arbeitslose hätten »jahrzehntelang nichts als Bargeld« erhalten. Nun müssten sie ihrer »Holschuld« nachkommen.
Als Erklärung getarnt, wird wieder einmal das Ressentiment gegen die Abgehängten bedient. Der Arbeitslose tut in der Phantasie des asketischen Bürgers das, was dieser sich aus Angst vor dem eigenen Abstieg verkneift: faulenzen, sich berauschen und um gar nichts kümmern. Dabei lässt sich tatsächlich darüber spekulieren, warum das »Bildungspaket« ignoriert wird. Die banalste Vermutung: Die Anträge können erst seit April eingereicht werden. Hat wirklich jemand erwartet, dass die Eltern von zweieinhalb Millionen Kindern sofort in die Ämter stürmen? Die zweite Vermutung: Hartz-IV-Empfänger können besser rechnen, als von der Leyen, Steffel und andere es ihnen zutrauen. Dass die vorgesehenen Gutscheine gerade einmal für die Schnupperstunde im Sportverein, im Musik- oder Nachhilfeunterricht reichen, kann jeder auf die Schnelle überschlagen. Die dritte Vermutung: Viele der Hartz-IV-Empfänger dürften im Lauf ihres Lebens verinnerlicht haben, dass die »Bildung« und ihre Institutionen in Deutschland ihnen nicht die vom Arbeitsministerium versprochenen »Zukunftschancen« eröffnen, sondern im Gegenteil garantieren, dass sich auch ihre Kinder im Erwachsenenalter noch öffentlich als unnützer Pöbel beschimpfen lassen dürfen. Die Pisa-Studien oder die Iglu-Studie haben das bestätigt: Das deutsche Bildungssystem sorgt dafür, dass aus Kindern wohlhabender Eltern wohlhabende Erwachsene, aus Kindern armer Familien arme Erwachsene werden. Bildung, für den idealistischen Bürger der »Schlüssel zum Erfolg«, ist für die Unterschicht eher eine Drohung mit Armut über Generationen.
Und so wird den Arbeitslosen mit dem »Bildungspaket« lediglich wie mit allen anderen angepriesenen Neuerungen wieder vorgeführt, dass sie zur staatlichen Verwaltungsmasse gehören, der nicht einmal mehr die Freiheit zugestanden wird, mit Bargeld umzugehen. Aus welchen Gründen sie das »Bildungspaket« jeweils auch ignorieren – sie haben recht damit.